"Atomkraftwerke sind wirtschaftlich nicht tragbar"

AKW Ascó von Iberdrola. Bild: Willtron/CC-BY-3.0

Der Atomkraftwerksbetreiber Iberdrola hat bei seiner Einschätzung auch die massiven und teuren Probleme im Atomstromland Frankreich im Blick

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Die Lage der französischen Atomindustrie wird zunehmend dramatisch. Die Probleme werden zahlreicher und teurer. Klar ist nun, dass Sicherheitszertifikate über 50 Jahre für wichtige Bauteile für Atomkraftwerke (AKW) gefälscht wurden, weshalb die Stilllegung von Meilern drohe. Dazu kommen weitere Mängeln in diversen AKWs, die auch teuer nachgebessert werden müssen. Diese hatten dazu geführt, dass der Pannenreaktor in Fessenheim außer Kontrolle geriet (Fessenheim soll nach fatalen Vorgängen abgeschaltet werden). Die Situation des hoch verschuldeten Kraftwerksbetreiber EDF spitzt sich zu. Die Aktien stürzen ab, weil er frisches Kapital braucht. Er musste die auch intern umstrittene Entscheidung über den teuren AKW-Bau im britischen Hinkley Point verschieben, der sogar 23 Milliarden Euro kosten soll. So verwundert es kaum, wenn der große spanische Energieversorger und Atomkraftwerksbetreiber Iberdrola nichts mehr von der teuren gefährlichen Technik hält.

Es waren Worte, die in Europa kaum Widerhall fanden. Doch mit erstaunlicher Offenheit äußerte sich der Chef des zweitgrößten spanischen und des siebtgrößten europäischen Stromerzeugers zur Atomkraft-Frage. Der Iberdrola-Chef Ignacio Sánchez Galán hatte in einem Radiointerview erklärt: "Die Atomkraftwerke sind wirtschaftlich nicht tragbar." Der Chef des Konzerns mit Sitz im baskischen Bilbao, der in 40 Ländern aktiv ist, wies darauf hin, "dass heute Atomkraftwerke nicht aus politischen Gründen geschlossen werden, sondern aus ökonomischen". Er stellte seine Aussagen in den Kontext der Frage, "welche Technologien sicher und nachhaltig sowie effizient aus Sicht der Umwelt und der ökonomischen Tragfähigkeit sind".

Für Galán, dessen Firma an fünf spanischen Atomkraftwerken beteiligt ist, ist die Frage entschieden. Atomkraft kann diese Kriterien nicht erfüllen, wobei er vor allem ökonomische Gründe in den Vordergrund stellt. Die Firma setzt längst auf eine Energiewende und investiert immer stärker in erneuerbare Energien. Bestätigt hat Iberdrola damit praktisch vorhergehende Berichte, dass der Uraltreaktor in Santa María de Garoña, der nur 90 Kilometer von Bilbao entfernt in der Region Burgos steht, doch nicht wieder ans Netz gehen wird.

Dem Betriebsrat wurden entsprechende Entscheidungen schon mitgeteilt. Und schon dabei hatte der Iberdrola-Chef klargestellt, dass er Atomkraftwerke für unrentabel hält. Doch in diversen Medien wurde das vor allem auf den Uraltreaktor an der baskischen Grenze gemünzt. Das praktische Aus für Garoña ist damit klar, obwohl die spanische Endesa dort noch ein Wörtchen mitzureden hat. Aber es ist klar, dass es nur politische Gründe der konservativen Volkspartei (PP) sind, die das Kraftwerk, das baugleich mit den in Fukushima havarierten Meilern ist, wieder ans Netz bringen will, deren Notkühlprobleme seit 1971 bekannt sind (Notkühlprobleme von Fukushima-Reaktoren seit 1971 bekannt).

Mit allen Mitteln wollen die konservativen Atomfreunde die Laufzeit des Meilers auf 60 Jahre verlängern. Die Betreiber Iberdrola und Endesa hatten sich schon 2012 nach 42 Betriebsjahren aus ökonomischen Gründen zur Abschaltung entschieden, weil eine Nachrüstung hohe Kosten verursacht hätte. Besonders interessant ist, dass Iberdrola nicht nur diesen Meiler, sondern Atomkraftwerke insgesamt für ökonomisch untragbar hält.

Dabei macht der Iberdrola-Chef eine betriebswirtschaftliche Rechnung auf und muss sich den teuren Spaß nicht einmal volkswirtschaftlich anschauen. Volkswirtschaftlich ist längst klar, dass sich die gefährlichen Meiler nicht rechnen. Betriebswirtschaftlich können sie sich, und auch das immer schlechter, nur rechnen, weil massiv Kosten ausgelagert werden. Zusätzlich werden sie, wie im spanischen Fall, über ein absurdes Tarifsystem hoch subventioniert, wie sogar die EU-Kommission kritisiert.

Kosten für Endlagerung explodieren

Müssten die Betreiber für alle realen Kosten aufkommen, wären sie vermutlich schon ruiniert. Da wäre zum Beispiel die Tatsache, dass mögliche Schäden eines Unfalls nicht versichert sind, also auf die Gesellschaft wie in Japan abgewälzt werden. Dort musste die Pleite-Betreiberfirma Tepco verstaatlicht und damit auf Kosten der Steuerzahler gerettet werden. In Deutschland läuft die Auslagerung ähnlich seit Jahren. So wurden schon die Kosten für das sogenannte "Versuchsendlager" Asse erfolgreich komplett auf die Steuerzahler abgewälzt werden (Asse II; "Die Kosten für den Weiterbetrieb und die Stilllegung trägt der Bund").

Und nun folgt der nächste Schritt. Die Risiken und unkalkulierbaren Kosten der Endlagerung des hochradioaktiven Mülls aus dem jahrzehntelangen Betrieb der Atomkraftwerke sollen nun ebenfalls zu einem guten Teil auf die Gesellschaft abgewälzt. Nachdem die Gewinne jahrzehntelang privatisiert wurden, hat man es nun wohl schon mit einer präventiven Rettung der großen Energieversorger zu tun. Die wären wohl bald Pleite, müssten sie die realen Kosten für Rückbau und Endlagerung tatsächlich stemmen.

Während in Deutschland die Atomkraft wenigstens ein Auslaufmodell ist, halten zum Beispiel unsere französische Nachbarn weiter an der Dinosaurier-Technik fest. Und auch das wird die Steuerzahler in Frankreich noch teuer zu stehen kommen, die noch an das Märchen vom billigen Atomstrom glauben, die ihnen weiter über die Stromrechnung suggeriert wird. Schon jetzt explodieren die Kosten für die Endlagerung, obwohl mit der noch nicht einmal begonnen wurde. So musste die eng mit dem Energieversorger EDF verbundene "Nationale Agentur für das Management radioaktiver Abfälle" (Andra) die angesetzten Kosten für die Endlagerung von geplanten 13,5 bis 16,5 Milliarden Euro längst auf mindestens 35 Milliarden Euro heraufsetzen. Die sollen nun allein für das geplante Endlager im lothringischen Bure fällig werden (Die lästige teure Endlagerfrage). Und dass es dabei bleibt, darf bezweifelt werden.

Sicherheitszertifikate für wichtige Bauteile neuer und alter Reaktoren wurden gefälscht

Auch die französischen Erfahrungen mit dem Kraftwerksbau sind nicht gerade erfreulich für den Kraftwerksbauer Areva oder den Betreiber EDF. So haben sich die Kosten für den neuen Druckwasserreaktor in Flamanville inzwischen von geplanten 3,3 Milliarden Euro auf etwa 10,5 Milliarden mehr als verdreifacht. Auch dabei wird es vermutlich genauso wenig bleiben, wie zu bezweifeln ist, dass der European Pressurized Reactor (EPR) 2018 ans Netz geht. Eigentlich war das schon für 2012 geplant. In Finnland würde man sich freuen, wenn der erste EPR dort in Olkiluoto 2018 angefahren werden könnte, mit dessen Bau schon früher begonnen worden war.

Doch längst ist neues Ungemach für Flamanville und Olkiluoto aufgetaucht, deren Folgen noch nicht absehbar sind. Denn es wurde festgestellt, dass Sicherheitszertifikate für wichtige Bauteile gefälscht wurden. Sie sollen als besser, haltbarer und sicherer beschrieben worden sein, als sie real sind. In China, wo ebenfalls zwei EPR-Reaktoren gebaut werden (Atomkraft: Auch in China verzögern sich die EPR), wurden derweil die Arbeiten gestoppt. Nach Angaben der Tageszeitung "Le Monde" habe das Schmiedewerk "Special Brides Services" (SBS) aus Boën-sur-Lignon zugegeben, dass ausgerechnet ein Mitarbeiter der Qualitätskontrolle Sicherheitszertifikate an seinem Computer gefälscht habe. So konnten Bauteile, die nicht den hohen Sicherheitsanforderungen entsprochen haben, doch ausgeliefert werden. Er sei entlassen worden, aber inzwischen wird vermutet, dass er nicht allein gehandelt hat.

Was dieser Skandal für die vielen Atomkraftwerke im Land bedeutet, die entweder noch laufen oder wie der EPR im Bau sind, bleibt abzuwarten. Doch damit nicht genug musste die französische Atomaufsichtsbehörde (ASN) gerade den nächsten noch deutlich größeren Skandal einräumen. Denn schon 2015 waren Anomalien am Reaktordruckbehälter des neuen EPR in Flamanville festgestellt worden, hatte die Zeitung "Les Echos" kürzlich aufgedeckt. In diesem Zusammenhang wurde klar, dass es auch in der Schmiede "Forges du Creusot" nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, die zum staatlichen Areva-Konzern gehört. Dort wurden offenbar schon seit 1965 Zertifikate für Bauteile gefälscht.

Areva habe etwa 10.000 Unterlagen überprüft und bei 400 seien falsche Angaben gefunden worden. Davon seien "etwa 50" noch in französischen Atomkraftwerken verbaut, erklärte die Atomaufsicht und fordert "frühestmöglich die Liste betroffener Teile" und eine "Sicherheitsbewertung" der betroffenen Anlagen. Sicherheitshalber haben die Firmen, bei denen die Fälschungen aufgetaucht sind, schon einmal erklärt, dass die Sicherheit der Anlagen nicht beeinträchtigt sei. Sie haben auch versichert, dass derlei in der Zukunft nicht mehr vorkommen soll.

Es ist schon etwas erstaunlich, derlei zu behaupten, da offenbar diverse Teile aus dem nuklearen Bereich die nötigen Prüfungen nicht bestanden. Und es sind wohl auch Reaktordruckbehälter betroffen. Denn auch die stellt Forges du Creusot bei Chalon-sur-Saône wie andere große Teile von Atomkraftwerken im nuklearen Bereich her. Sie sind entweder nur schwer und teuer oder gar nicht austauschbar. Und es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass nicht nur an der Grenze zu Deutschland in Belgien Reaktoren mit zweifelhaften Reaktorbehältern ihren Dienst als tickende Zeitbomben tun, sondern auch in Frankreich.

Fordert die Bundesregierung schon die Abschaltung des "Bröckelreaktors" im belgischen Tihange, so drängt die rheinland-pfälzische Landesregierung seit Jahren von Frankreich, den grenznahen Atomreaktor Cattenom abzuschalten. Die neu aufgedeckten Skandale bestätigen sie in ihrer Forderung. Wirtschaftsministerin Eveline Lemke fordert angesichts der gefälschten Zertifikate schnelle Aufklärung: "Die französische Regierung muss schnell handeln und nicht nur die Dokumente, sondern vor allem die betreffenden Teile untersuchen lassen." Sie will, dass alle Zweifel an der Sicherheit ausgeräumt werden. "Jedes Bauteil, bei dem ein Manipulationsverdacht vorliegt, muss genau untersucht werden."

In einigen Fällen dürfte das nur schwer oder gar nicht möglich sein. Weshalb ein Rückruf "bei Teilen dieser Größenordnung mit der Stilllegung des ganzen Kraftwerks verbunden" sein dürfte, meint auch das Handelsblatt. Und Lemke verwies auch darauf, dass Creusot Forge große Bauteile wie Reaktorbehälter herstellt. "Hier darf es keine Nachlässigkeit geben", fordert sie. Es geht um die Sicherheit von Millionen Menschen, auch in Deutschland."