Quote macht sinnlich

Wiederauferstehung der Zensur", Litographie von J.J. Grandville, 1831.Bild: gemeinfrei

Der Fernsehjournalist Wolfgang Herles justiert seine umstrittene Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendern

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Was hat Wolfgang Herles nun gesagt? Es gebe bei den öffentlich-rechtlichen Medien "Anweisungen von oben" (Medienkritik: Anweisungen ohne Anweisungen). Die Vorgaben kommen von der Regierung. Oder hat er gesagt: Nichts ist von oben befohlen. Informationen werden nicht unterdrückt, auch wenn sie politisch inopportun scheinen?

Sowohl das eine als auch das andere ist in verschiedenen Quellen nachzulesen. Beides zusammen ergibt für den Medienjournalisten Stefan Winterbauer "Gequassel". Aber die erste Aussage wurde auch in den sozialen Netzwerken zum Aufreger, ist sie doch Wasser auf die Mühlen des "Lügenpresse"-Chores. In einem Vortrag an der Freien Universität Berlin bemühte sich Herles, der lange Jahre mit zunehmendem Frust in redaktionellen Schlüsselstellungen des ZDF tätig war, selbst um Entwirrung des Widerspruchs.

Viel wirksamer, weil weniger greifbar als politischer Einfluss, ist die Quote. Mit Politikern konnte man noch streiten, sagt Herles, mit der Quote nicht. "Die Gefallsucht der Medien und Politik folgt dem Markt der Meinungen und Stimmungen", schreibt er in seiner jüngsten Veröffentlichung "Die Gefallsüchtigen (siehe auch das Interview "Merkel verhält sich nicht anders als quotensüchtige Medien"). Die Programmplaner der öffentlich-rechtlichen Anstalten sind, obwohl sie das nicht nötig hätten, Quotenjunkies geworden, für die jeder Tag mit der Sichtung der Zahlen des Vortags beginnt. Die Redakteure unterschreiben Zielvereinbarungen zu gewünschten Einschaltquoten.

Das Ziel ist, über die Meinungsführung die Marktführerschaft zu erringen. Ein Grundsatz der Werbepsychologie hilft weiter: Erzähle Deinem Publikum, was es von Dir hören will, und Du kannst ihm verkaufen, was Du willst. Der Konsumismus der Zuschauer und der Konformismus der Medienmacher treffen sich im Mainstream. Die Sendeformate ähneln Produktkampagnen. Die Bilder, welche dem Publikum angeboten werden, hält es für wirklich, weil sie im und aus dem "Geist der Masse" hergestellt sind, würde Gustave Le Bon sagen. Sie sind mit Affekten aufgeladen. Das Fernsehen ist zur Erregungs- und Entrüstungsindustrie geworden.

Die Zuschauer der "heute-Show" zeigen sich im Schnitt besser informiert als die des "heute journal"

Reproduktion von "Denkschablonen" nennt es Herles. Erst wird die Willkommenskultur bejubelt, dann wird der Fokus auf die Grabscher von Köln gelenkt. Beides ist unreflektiert, weil es das jeweils Andere ausblendet. Aktuelle Berichte über Wirbelstürme werden stereotyp mit dem Prädikat "Klimakatastrophe" versehen. Ist aber der Tagesjournalismus in der Lage, Ereignisse zu beurteilen, für die Geologen und Meteorologen ein ganzes Zeitalter, beginnend um 1800, angesetzt haben?

Ein Beispiel aus der Auslandsberichterstattung: In Saudi-Arabien wird Verbrechern die Hand abgehackt, und Frauen ist der Führerschein verwehrt. Das steht im mitteleuropäischen Wahrnehmungskorridor ganz vorne an. Eine differenzierte Betrachtung, die Chancen zu einer Säkularisierung sieht, ist verbaut.

Der wahre Anchorman des Fernsehens ist heute der Satiriker. Im Wie, in der Verpackung der Nachrichten, liegt der Witz, nicht im Was. Die Zuschauer der "heute-Show" zeigen sich im Schnitt besser informiert als die des "heute journal". Auf dem Infotainment-Niveau pegeln sich die meisten Formate ein.

Die Angleichung dient dem "Audience-Flow": Die Zuschauer sollen so eingestimmt werden, dass möglichst viele zur folgenden Sendung überlaufen. Denn Zappen ist der Quote abträglich. Ein Gegenmittel ist die "Sonderprogrammierung", die Platzierung eines Highlights, um zum Beispiel mit einer Sportsendung auf dem Nachbarkanal mitzuhalten.

Politische Dokumentationen, aber auch Kultursendungen werden mit Musik unterlegt, als sollten wie im Supermarkt Greifreflexe mobilisiert werden. Die Genres werden als Ganzes zu einer Seichtigkeit zusammengerührt, in der "man nicht untergehen kann". Vom Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, ist der Stoßseufzer überliefert, ihm komme es so vor, als hätte er alles schon einmal gesehen.

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