Syrien: Angriff auf ein Flüchtlingslager

Screenshot aus dem Video

Wer für den Tod von Schutzsuchenden verantwortlich ist, ist ungeklärt. Offensichtlich ist, dass der Druck auf den Präsidenten Assad verstärkt wird

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Entsetzen bei Uno-Nothilfekoordinator Stephen O'Brien, Entsetzen bei der Sicherheitsberaterin von US-Präsident Barack Obama, Susan Rice, Empörung bei den EU-Vertretern Federica Mogherini und Christos Stylianides: Der Auslöser für die starken Reaktionen ist die Meldung über einen Angriff auf ein Flüchtlingslager im Norden Syriens, in dessen Folge mehrere Menschen getötet wurden, Unschuldige.

"Könnte ein Kriegsverbrechen sein"

Die Meldung über mindestens 30 tote Zivilisten, die in dem Lager Schutz gesucht hatten, mache ihn krank, schreibt der Uno-Nothilfekoordinator. Und dann kommt ein Konditionalsatz:

Wenn sich herausstellt, dass dieser obszöne Angriff absichtlich auf eine zivile Anlage zielte, dann könnte dies ein Kriegsverbrechen sein.

So titeln denn auch Nachrichtenseiten wie die Tagesschau mit dem "möglichen Kriegsverbrechen". Gewiss ist die Erregung darüber, ungewiss aber, was genau vorgefallen ist. Als typischer Verdächtiger wird die syrische Luftwaffe und als dafür Verantwortlicher Baschar al-Assad ins Spiel gebracht.

Der stellvertretende Sprecher des US-Außenministeriums, Marc Toner, räumte in einer Pressekonferenz ein, dass die Faktenlage bislang nichts für eine Schuldzuweisung hergebe. Die USA hätten keine Überwachung in Syrien, sagte er: "We don’t have eyes on the ground". Die Spekulationen über die möglichen Verantwortlichen, genannt wurden Russland und Syrien, überließ er den Journalisten. Er gab ihnen viel Raum dazu, ohne sich dagegenzustemmen.

Vom russischen Sender RT wird übermittelt, dass es keine schlüssigen Informationen zu den Angreifern gebe, und nun das typische Blame-Game im Gange sei. Als dafür symptomatisch wird ein Statement des britischen Außenministers wiedergegeben. Hammond macht die Regierung Assad für den Angriff verantwortlich. Sein Statement endet mit der Forderung, dass "diejenigen, die Einfluss auf Assad haben, sagen, dass es jetzt genug ist".

Vorwürfe einer Propaganda-Aktion

Die regierungskritische US-Website Moon of Alabama berichtet dagegen von Zweifeln daran, ob der Angriff überhaupt stattgefunden hat. Als Beleg für ihre Zweifel verweist sie auf Videos vom Anschlagsort, auf denen nur ein abgebranntes Zelt zu erkennen ist und alle anderen unbeschädigt aussehen.

Screenshot aus dem Video

Bei einem Luftangriff könne dies kaum der Fall sein, so das Argument der Website ("the pilot must have dropped some fire crackers from his cockpit"). Als zusätzlicher Verdachtsmoment, der für eine Propaganda-Aktion spricht, wird erwähnt, dass die "White Helmets" auffallend stark vertreten sind.

Die Syria Civil Defence, wie sie sich auch nennen, werden von USAID, von der britischen Regierung wie auch von der niederländischen Regierung unterstützt. Gegen sie wird nicht allein schon dadurch der der Vorwurf der Parteinahme gemacht. Es heißt auch, dass sie Oppositionsgruppen nahe stehen. Angeblich haben einige von ihnen al-Nusra-Fahnen geschwenkt. Die US-Regierung hat dem Chef der Gruppe die Einreise in die USA untersagt.

Das russische Medium rt verlinkt ebenfalls auf ein Video dieser Gruppe, die sich als unpolitische humanitäre Organisation bezeichnet. Dort sind mehrere beschädigte Zelte zu sehen. Wie glaubwürdig das Video ausfällt, mögen die Leser selbst entscheiden.

Türkischer Expansionismus: Die Einrichtung von Schutzzonen

Das Flüchtlingslager liegt in Samanda, in der Provinz Idlib, nahe der Grenze zur Türkei. Dort ist, um es einmal so nennen, "Rebellengebiet". Dort fand, zumindest laut früheren Berichten, reger Waffenhandel an die oppositionellen Milizen statt. Zum größeren Kontext gehört nicht nur der Bruch der Waffenruhe, der jetzt neben den zivilen Toten das Skandalon ausmacht, das auch das Auswärtige Amt scharf verurteilt, sondern auch der ständige Drang der Türkei, dort "safe zones" einzurichten. Das war übrigens prompt auch Thema des oben verlinkten Pressegesprächs des US-Außenministeriums.

Der russische Außenminister Lawrow kritisierte kürzlich die faktische Etablierung solcher illegitimer Zonen durch die Türkei. Der Gedanke liegt nahe, dass es sich dabei eben auch um solche Flüchtlingslager wie das in Samada handeln könnte. Das würde einen "möglichen" Angriff, um in Stephen O'Briens Konditionalis zu bleiben, der syrischen Luftwaffe erklären, aber selbstverständlich nicht entschuldigen. Dass Gegner der syrischen Regierung hier ihre Hand im Spiel haben, ist auch nicht auszuschließen.

Waffenruhe und militärische Lösungen

Die grundlegende Frage, die auch bei Meldungen über Verhandlungen zwischen den USA und Russland zu Syrien, immer wieder auf den Tisch kommt, ist, inwieweit der Konflikt in Syrien wieder oder noch immer auf eine militärische Lösung zusteuert und inwieweit dies von den unterschiedlichen Parteien angeschürt oder nicht verhindert wird.

In Aleppo läuft der vereinbarte Waffenstillstand aus. Ob er verlängert wird, ist zur Stunde noch nicht klar. Indessen verweisen Berichte darauf, dass die al-Nusra-Front in der Stadt in den Vierteln, die von der Opposition kontrolliert werden, dominiert. Bis auf wenige Ausnahmen sie die Nusra-Front in allen "befreite Zonen" präsent, wird einer Sprecher der al-Qaida-Miliz zitiert.

Berichte verweisen darauf, dass es andere salafistische Gruppen wie z.B. alDin al-Zanki in der Stadt gibt, die mit al-Nusra zusammenarbeiten, und Waffen von der CIA bekommen. Dazu gibt es usbekische Gruppen, die mit der al-Nusra-Front verbunden sind, und im kurdisch bevölkerten Stadtviertel Sheikh Maqsud gegen PYD-Gruppen kämpfen.

Für einen Waffenruhe sind das gelinde gesagt schwierige Ausgangspositionen, zumal hier vieles Interessen des Sponsormächtelagers Türkei, Saudi-Arabien und Katar bedient, die an einer Waffenruhe nicht viel Interesse zeigen.

Mit der Machtausweitung Erdogans in der Regierungs-Partei wie auch in der Regierung selbst dürfte sich das nicht zum Besseren ändern. Der Druck darauf, Gebiete im syrischen Norden zu reklamieren - sei es über Medienpolitik im Namen der Sicherheit für syrische Zivilisten - und darauf, Baschar al-Assad bei einer politischen Vereinbarung aus dem Weg zu räumen, steigt.