"Die SPD hätte den Kanzler stellen können"

Dietmar Bartsch. Bild: DBT/Inga Haar

Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Dietmar Bartsch, spricht im Telepolis-Interview über das Image seiner Partei , enttäuschte Wähler und eine mögliche Zusammenarbeit mit der SPD

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Herr Bartsch, das Bundesverfassungsgericht hat die Forderung Ihrer Partei nach mehr Rechten für die Opposition im Bundestag kürzlich zurückgewiesen

Dietmar Bartsch: ... Wir waren nicht davon ausgegangen, dass wir vollumfänglich Recht bekommen!

Trotzdem: Macht die Linkspartei sich mit Aussagen, sie werde im politischen Prozess an vielen Stellen benachteiligt, nicht kleiner als sie ist?

Dietmar Bartsch: Nein. Einerseits stimmt es, dass wir eingeschränkt werden, andererseits reden wir vielleicht sogar zu wenig darüber.

Sie sind die größte Oppositionsfraktion.

Dietmar Bartsch: Wir sind auch selbstbewusst. Die erwähnte Klage in Karlsruhe hatte grundsätzliche Bedeutung und wird ihre Wirkung über die Legislatur hinaus entfalten. Jetzt ist höchstrichterlich klargestellt, wo Grenzen der Regierung und wo Möglichkeiten der Opposition liegen. In einer Demokratie sollen Mehrheiten zu Entscheidungen kommen, zugleich müssen Minderheiten artikulieren können, wo deren Alternativen liegen. Und es muss Möglichkeiten verfassungsrechtlicher Prüfungen geben.

Die Grünen haben nicht geklagt.

Dietmar Bartsch: Ich habe die Entscheidung der Grünen nicht zu bewerten. Fakt ist: Wir haben zu Beginn der Legislatur in einigen Fragen ein gewisses Entgegenkommen der Großen Koalition erlebt. Das ist zwar erfreulich, aber aus demokratietheoretischer und praktischer Sicht unzulänglich, weil die Grundlage dafür gesetzlich nicht klar geregelt ist. Mit den Grünen haben wir, wenn nötig und der Sache dienlich, gut zusammengearbeitet. Ich denke da vor allem an die Untersuchungsausschüsse aktuell zum Auto-Abgasskandal, zum NSU und zur NSA - diese Ausschüsse haben wir allesamt gemeinsam eingesetzt. Wir streben aber keine Koalition in der Opposition an.

Die Möglichkeit einer sogenannten Normenkontrollklage, mit der Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden können, bleibt Ihnen verwehrt.

Dietmar Bartsch: Ich finde es gut und wichtig, dass das Gericht in seiner Begründung ausdrücklich auf die Rechte der Opposition abhebt. Und dass es zudem einen Weg aufzeigt, wie wir die nicht bewilligte Möglichkeit eines Normenkontrollverfahrens auf anderem Weg hinbekommen könnten.

; Was antworten Sie denjenigen Mitgliedern, die sagen, die Parteiführung vermittle mit derlei Botschaften in der Öffentlichkeit das Bild, die Linke habe es sich in der Opposition gemütlich gemacht?

Dietmar Bartsch: Zunächst entspricht das den gegenwärtigen Realitäten im Bundestag und unserem Wählerauftrag. Es gibt aktuell kaum Anzeichen, dass sich unsere Rolle 2017 ändern wird. Eine Opposition muss immer kämpfen, das ist doch klar. Und sie muss klar definierte Rechte haben, egal ob DIE LINKE oder die Union diese Aufgabe wahrnimmt.

"Wir haben aus der Opposition heraus das Land relevant verändert"

Ihre Partei hat in den vergangenen Jahren des Öfteren Ungerechtigkeiten im politischen System beklagt. Herr Bartsch, wäre die Linkspartei für potenzielle Wähler nicht attraktiver, wenn sie stattdessen ihre Regierungsambitionen in den Vordergrund rückte?

Dietmar Bartsch: Zunächst will ich feststellen, dass wir aus der Opposition heraus das Land relevant verändert haben. Unser Engagement für den Mindestlohn und die Abschaffung der Praxis- oder der Studiengebühren war ebenso erfolgreich wie jenes gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Zwar haben das letztlich von anderen Parteien gestellte Mehrheiten entschieden, die Initiative und der Druck gingen von uns aus.

Mit Verlaub, das klingt so, als würde Ihnen die Oppositionsrolle doch gut gefallen.

Dietmar Bartsch: Ich sage es ganz deutlich: Ich will einen Politikwechsel in Deutschland. Mitte-Links-Bündnisse sind gut für das Land; jeder kann sehen, wie erfolgreich wir in Bundesländern, Kommunen und Landkreisen regieren. Es ist auch kein Geheimnis, dass ich das gern ausdehnen würde. Hierzu gibt es im Übrigen einen klaren Parteibeschluss. Wir wollen mehr Regierungsverantwortung übernehmen, keine Frage.

Aber?

Dietmar Bartsch: Das darf kein Selbstzweck sein. Wir wollen das Land in eine andere Richtung steuern. Mehr soziale Gerechtigkeit, eine friedliche Außenpolitik, ein ökologisches und solidarisches Miteinander - das will DIE LINKE, dafür trete ich ein.

Schauen Sie, man muss regieren wollen und auch regieren können. Obendrein müssen die Bedingungen stimmen, rechnerisch und politisch. Genau da befinden wir uns im Moment auf Bundesebene in einer schwierigen Situation. Thematisch bewegt sich die SPD seit Jahren auf einem Schlingerkurs, der etwaige Gedankenspiele nicht gerade leicht macht, um es vorsichtig zu formulieren.

Wie ist der aktuelle Stand in der Arbeitsgruppe Rot-Rot-Grün?

Dietmar Bartsch: Eine solche Arbeitsgruppe gibt es nicht.

Aber Ihr...

Dietmar Bartsch: ... Dass Vertreter der Parteien sich über Perspektiven von Mitte-Links-Bündnissen austauschen, ist normal. Das finde ich gut und richtig. Dementsprechend werden solche Gespräche von unserer Seite auch befördert. Aber zur Erinnerung: Obwohl es seit der Bundestagswahl 2013 eine Mehrheit jenseits der Union gibt, haben die Sozialdemokraten ein Zusammengehen mit der LINKEN schon vor dem Start in diese Legislatur ausgeschlossen. Die SPD hätte den Kanzler stellen können! Sie haben allerdings noch nicht einmal mit uns geredet, um wenigstens Chancen für Koalitionsgespräche auszuloten.

Kurzum: Wir können der SPD eine solche Entscheidung nicht abnehmen, sondern lediglich signalisieren, dass wir - unter entsprechenden Bedingungen - zu einer Zusammenarbeit bereit wären. Aber eben nicht um jeden Preis, schon gar nicht den, die bisherige Regierungspolitik fortzusetzen.

Ihr Kollege Niels Annen (SPD) sagte Telepolis kürzlich, er habe festgestellt, Sie würden inzwischen anders - positiver - über die SPD sprechen. Liegt er da falsch?

Dietmar Bartsch: Ach, wissen Sie, ich habe meine Position zur SPD nicht verändert. Ich habe mich mit der Großen Koalition und deren Politik von Anfang an kritisch auseinandergesetzt.

; Herr Annen sagte, ihm sei aufgefallen, dass Sie in Ihren Reden inzwischen auf die "ritualisierte SPD-Kritik" verzichteten, was unter Gregor Gysi noch anders gewesen sei. Der Textbaustein: "Die SPD ist schuld an allem Schlimmen in der Welt", so Annen, komme nicht mehr vor. Das halte er für "erfreulich". Ihr Kommentar dazu?

Dietmar Bartsch: Sie werden keinen Beleg dafür finden, dass ich die SPD verantwortlich für alle Übel dieser Welt gemacht hätte. Bei Gregor Gysi übrigens auch nicht. In meinen Augen war und ist die SPD nicht unser hauptsächlicher politischer Gegner, ein Begriff übrigens, den ich nicht so recht mag. Aber selbstverständlich habe ich nie ein gutes Haar am verhängnisvollen Kurs der "Hartz-Gesetzgebung" gelassen und werde auch künftig zu Fehlleistungen der Sozialdemokraten nicht schweigen, wenn diese soziale Ungerechtigkeiten befördern oder militärische Aktionen preisen.

Und was hat jetzt Priorität?

Dietmar Bartsch: Wir müssen weiter engagiert gegen Rechtspopulisten vorgehen, egal unter welchem Dach diese agieren. Es bleibt in den anstehenden Wahlen unser Ziel, die CDU auf Länderebene aus der Regierungsverantwortung zu drängen. Jeder sieht, dass wir in Thüringen und Brandenburg erfolgreich mit den Sozialdemokraten regieren. Das sollte Ansporn sein. Klar ist aber auch: Wir können auch gut Opposition.