"Ich bin mir sicher, dass es wieder einen Crash geben wird"

Sahra Wagenknecht über den Abschied vom Ordoliberalismus unter Rot-Grün und philosophische Einwände von Homer Simpson

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In ihrem neuen Buch Reichtum ohne Gier untersucht Sahra Wagenknecht unter anderem, wie die Bundesrepublik den Weg weg vom Ordoliberalismus und hin zu einem spekulativen Finanzkapitalismus ging, der auf kurzfristige Profite ausgerichtet ist. Reinhard Jellen hat sie dazu befragt

Frau Wagenknecht, die These Ihres Buches ist, dass Kapitalismus und Marktwirtschaft heutzutage keineswegs mehr eine symbiotische Beziehung eingehen, sondern dass der Kapitalismus die Marktwirtschaft erodiert. Sie wollen mit Ihrem Buch Impulse zur Rettung der Marktwirtschaft vor dem entwickelten Kapitalismus geben.

Nun will ich aber im Sinne des Erkenntnistheoretikers Homer Simpson, von dem der Ausspruch an der Vergangenheit war alles perfekt, bis auf das, dass sie zur Gegenwart geführt hat, überliefert ist, einwenden, dass zumindest nach Karl Marx genau der Markt tendenziell zu Konzentrationsprozessen des Kapitals führt, die Oligopole hervorbringen, die dann wiederum im Stande sind, die Marktgesetze auszuhebeln ...

Sahra Wagenknecht: Ja, auch mal ganz unabhängig von den zweifelsohne bemerkenswerten philosophischen Betrachtungen der Simpsons ist da natürlich etwas dran. Der Markt macht den Starken stärker und den Schwachen schwächer, aber trotzdem gibt es einen Unterschied zwischen einem einfachen Austausch auf Märkten und kapitalistischem Eigentum.

Was ich konkret verdeutlichen will ist, dass auch eine neue Wirtschaftsordnung in bestimmten Bereichen Märkte braucht - nicht überall, bei Bildung, Gesundheit und Grundversorgung brauchen wir keine Märkte -, aber in der kommerziellen Wirtschaft kommt man ohne sie nicht aus. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass wir den Kapitalismus brauchen, weil wir Unternehmen in anderen Eigentumsverhältnissen wesentlich besser und innovativer organisieren könnten, als das heute der Fall ist.

Bild: @DiG/Trialon

"Feudalisierungstendenzen, die die Prinzipien der Marktwirtschaft ad absurdum führen"

Sie schreiben im Buch mehrfach von Feudalisierungstendenzen innerhalb der Gesellschaft, welche die Prinzipien der Marktwirtschaft ad absurdum führen. Welche sind das? Wie und warum haben sich diese Tendenzen durchgesetzt?

Sahra Wagenknecht: Ich denke, wir müssen uns davon verabschieden, dem Kapitalismus immer alle möglichen netten Adjektive zukommen zu lassen, die überhaupt nicht der Realität entsprechen. Dazu gehört zum Beispiel, dass man behauptet, es handele sich um eine Leistungsgesellschaft.

Tatsächlich ist der Kapitalismus eine Wirtschaftsordnung, in der die größten Einkommen überhaupt nicht auf eigener Arbeitsleistung beruhen, sondern darauf, dass man Vermögen besitzt, insbesondere Betriebsvermögen, und dank dessen andere für sich arbeiten lassen kann.

Die höchsten Millioneneinkommen entstammen nicht der eigenen Arbeit, sondern hier werden die Ergebnisse der Arbeit anderer ohne eigene Leistung angeeignet. Das hat nichts mit dem oft propagierten Begriff einer Leistungsgesellschaft zu tun. Was ich als Feudalisierung bezeichne, ist genau das.

Gerade heutzutage, wo die Ungleichheit wieder größer wird und die Lebensperspektive immer mehr vom Elternhaus abhängt und nicht von dem, was man selber geleistet hat, verstärkt sich diese Entwicklung in besonderem Maße.

"Nicht das Eigentum ist eine originäre Hervorbringung des Kapitalismus, sondern das Eigentum mit beschränkter Haftung"

Sie schreiben, dass nicht das Eigentum an sich eine originäre Hervorbringung des Kapitalismus sei, sondern das Eigentum mit beschränkter Haftung, eine juristische Konstruktion, die vor allem Kapitalgesellschaften für sich in Anspruch nehmen. Können Sie das kurz erläutern?

Sahra Wagenknecht: Privates Eigentum ist viel älter als der Kapitalismus. Seit dem römischen Recht kennen wir privates Eigentum und es hat solches auch im Mittelalter gegeben. Aber das Spezielle des kapitalistischen Eigentums ist ja nicht, dass jemand arbeitet und dadurch persönliches Eigentum erwirbt, sondern dass Unternehmen Anlageobjekte sind, aus denen ihre Anteilseigner Profit schlagen.

Das haftungsbeschränkte Eigentum an Unternehmen ist in der Tat eine ganz merkwürdige Konstruktion: Man haftet nur sehr begrenzt für Verluste, aber man hat vollen Zugriff auf alle Gewinne, die heute und in Zukunft gemacht werden. Mit einer relativ geringen Anfangseinlage profitiert man vom gesamten Gewinn des Unternehmens und kann dies auch in vollem Umfang an seine Erben weitergeben. In Deutschland geht das ja weitgehend ungeschmälert durch die Erbschaftsgesetze.

Das ist eine Spezifik, die mit persönlichem Eigentum in dem klassischen Sinne als Freiheitsrecht überhaupt nichts zu tun hat. Im Gegenteil, es ist ein Angriff auf die Freiheitsrechte derer, die im Unternehmen arbeiten und die dort permanent enteignet werden.

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