Kölner Silvesternacht: Keine Ahnung, oder was?

NRW-Landeschefin Kraft hält Telefondaten unter Verschluss, Polizei übt sich in Vergessen, die Opposition kritisiert Versagen von Behörden und Regierung

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NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) schlägt ungewöhnliche Wege ein. Wie am Freitag bekannt wurde, versichert sie gemeinsam mit Kollegen aus der Spitze der Staatskanzlei in einer im Internet veröffentlichten eidesstattlichen Erklärung, dass es vor dem 4. Januar keine persönlichen oder dienstlichen Kontakte mit Bezug auf die massenhaften Übergriffe in Köln gab. In Köln war es in der Silvesternacht zu skandalösen Zuständen gekommen (Kölner Silvesternacht: Heikle Wahrheiten, kapitale Strategiefehler).

Problematisch: Die Rechtfertigungserklärung Krafts und ihrer Unterstützer geht einher mit der Weigerung, Telekommunikations-Daten der Regierung öffentlich zu machen; genau das hatte die Opposition verlangt.

Fünf gleichlautende Erklärungen auf dem Portal der Staatskanzlei, neben Kraft unterzeichnet von Innenminister Ralf Jäger (SPD), seinem Staatssekretär Bernhard Nebe (SPD), dem Chef der Staatskanzlei und Minister für Bundesangelegenheiten Franz-Josef Lersch-Mense (SPD), dessen Staatssekretärin Anja Surmann (SPD) sowie dem Staatssekretär und Regierungssprecher Thomas Breustedt (SPD).

Eine auffallend daherkommende Angelegenheit also. Wie man weiß, baute die NRW-Landeschefin ihre Regierungszentrale sehr zielstrebig um, Anja Surmann beispielsweise gehört zur gestiegenen Zahl der hochbesoldeten Abteilungsleiter unterhalb der Staatssekretäre.

Kraft und die "geheime" Telefonliste

Zum Hintergrund: Der "Untersuchungsausschuss Silvesternacht" des Düsseldorfer Landtags prüft seit rund hundert Tagen unter anderem, ob Kraft und Jäger schon früher über die abenteuerliche Dimension der Kölner Vorfälle Bescheid gewusst und eventuell zu spät reagiert haben.

Der Kölner "Express" kritisiert, Kraft halte Daten zurück; sie weigere sich, dem Ausschuss die - von der Opposition geforderten - Daten über sämtliche bis zum 15. Januar geführten Gespräche vorzulegen. Wie das Blatt schreibt, gehe das aus einem Brief an den Ausschussvorsitzenden hervor, der der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf vorliegt.

Mit ihrer eidesstattlichen Erklärung geht die 54-jährige SPD-Politikerin in die Offensive.

Bei der Kölner Polizei gibt’s unterdes Achselzucken: Sie will nicht mehr nachvollziehen können, wer am 1. Januar in Köln angerufen hat, um eine dringende Meldung zur Silvesternacht abzuändern bzw. möglicherweise unter den Teppich zu kehren; die relevanten Telefondaten seien routinemäßig (wie es heißt: "routinemäßig und automatisiert") gelöscht worden.

Das erklärte vergangene Woche jedenfalls ein Zeuge vor dem Düsseldorfer Untersuchungsausschuss, und das bedeutet: Das Gremium tappt bei der Suche nach dem mysteriösen Anrufer weiterhin im Dunkeln. Es lässt sich rein technisch nicht mehr nachvollziehen, wer am 1. Januar angerufen und versucht hat, das Wort "Vergewaltigung" aus einer Polizeimeldung zu streichen (Strategie: Schönreden und Banalisieren).

"Es wurde nichts vertuscht"

Die Frage steht im Raum: Warum wurden die Telefondaten nicht gespeichert? Oder zumindest nicht rechtzeitig gesichert? Das konnte der Zeuge nicht erklären. Kraft selbst soll als Zeugin noch vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages aussagen, ein Termin steht aber noch nicht fest.

Bis dahin lautet die Botschaft: "Es wurde nichts vertuscht", so die Staatskanzlei in einer Erklärung - und beruft sich auf ihr "informationelle(s) Selbstbestimmungsrecht". Zudem sei der Kernbereich des Regierungshandelns "geschützt".

Also keine Ahnung vom Silvester-Debakel vor dem 4. Januar? Die Sprecherin der CDU im Ausschuss, Ina Scharrenbach, mag das nicht akzeptieren: Die Politik sei es den Opfern der widerwärtigen Übergriffe an Silvester schuldig, lückenlos "die vollständige Wahrheit über das Versagen von Behörden und Regierung ans Tageslicht" zu befördern.