Bitterer Lohn für süße Früchte

Oxfam befragt Erntearbeiter in Costa Rica und Ecuador. Neue Studie beschreibt die Gründe für günstige Südfrüchte

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Billig, billiger, Discounterware: Die Lebensmittelanbieter Edeka, Lidl, Aldi, Rewe und Metro beherrschen den deutschen und beträchtliche Teile des europäischen Marktes. Täglich bieten sie auch frisches Obst aus Übersee an, zu immer günstigeren Preisen. Dass irgendjemand unter diesem Preisdumping leidet, muss jedem klar sein, der sein Gehirn nicht vor der Schiebetür abgibt.

Die Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam hat nun systematisch die Bedingungen bei Zuliefern der größten Discounter untersucht. Das Ergebnis ist - wie zu erwarten - schlecht bis katastrophal: Auf den Ananas- und Bananen-Plantagen der beiden untersuchten Exportländer Costa Rica und Ecuador schuften die Menschen nicht nur für einen kargen Lohn. Sie gefährden auch ihre Gesundheit, weil die Massenproduktion mit dem massiven Einsatz von Pestiziden einhergeht. Einige der Mittel sind hierzulande verboten, weil sie für Mensch und Umwelt zu giftig sind. Oxfam fordert nun von den Supermarktketten und der Bundesregierung Konsequenzen.

Für den Bericht "Süße Früchte, krumme Geschäfte" hatte Oxfam zwischen Januar und April dieses Jahres in Costa Rica und Ecuador zahlreiche Interviews mit Arbeiterinnen und Arbeitern geführt. Laut dem am heutigen Dienstag veröffentlichten Bericht ging es nicht nur darum, die Arbeitsbedingungen so repräsentativ die möglich zu erfassen. Die Oxfam-Mitarbeiter legten auch Wert darauf, die Nachhaltigkeitssiegel der großen Supermarktketten zu prüfen.

Dass die zahlreichen Zertifikate oft nicht das halten, was sie versprechen, wurde bislang schon bei Biomarken bewiesen. Und tatsächlich: Auch bei den Nachhaltigkeitssiegeln von WWF, Rainforest Alliance oder dem Sustainable Agricultural Network übt der Bericht nun Kritik. Trotz der durchaus stattfindenden Kontrollen der Betriebe in Mittel- und Südamerika machten die Interviewer von Oxfam zahlreiche Mängel bei Sozialstandards und Arbeitsschutz aus.

Tagelöhner und Sozialbetrug

Beispiel Costa Rica: In den letzten 14 Jahren hat sich laut der Statistikämter Comtrade und Eurostat der Import von Ananas aus dem mittelamerikanischen Land von rund 57.000 Tonnen im Jahr 2000 auf 168.000 Tonnen im Jahr 2014 bei sinkenden Preisen für die Endverbraucher fast verdreifacht. Wer dafür bezahlt, ist im Oxfam-Bericht zu lesen. Beim Produzenten Finca One - immerhin das einzige Unternehmen, das zu Gesprächen mit den Autoren bereit war - kommen nach Aussagen der Interviewten über 90 Prozent der Erntearbeiter aus dem benachbarten Nicaragua. Weil sie sich ohne Erlaubnis als Tagelöhner in Costa Rica aufhalten, sind die bestehenden Arbeitsschutzrichtlinien für die Auftraggeber leicht zu umgehen.

"Beim Unternehmen Agricola Agromonte stammen nach Angaben der Befragten 60 Prozent der Feldarbeiter aus dem Nachbarland und haben keine Arbeitserlaubnis", heißt es in dem Bericht weiter. Der durchschnittliche Tageslohn auf den Ananasplantagen liegt umgerechnet zwischen 5,50 Euro und acht Euro. Die Gewerkschaft UNT geht davon aus, dass umgerechnet 20 Euro nötig wären, um die Familien der Feldarbeiter zu ernähren.

Im Fall von Ecuador erkennt die Studie immerhin an, dass der Mindestlohn in den vergangenen Jahren unter der Mitte-links-Regierung von Präsident Rafael Correa kontinuierlich erhöht wurde und derzeit bei 366 US-Dollar (324 Euro) im Monat liegt - sofern das vorgeschriebene 13. und 14. Monatsgehalt gezahlt wird. Dem entgegen müssten für den für die Armutsgrenze ermittelten Warenkorb 675 US-Dollar (605 Euro) aufgewendet werden. Ergo: "Die Mehrzahl der Beschäftigten (in der Bananenindustrie) lebt von der Hand in den Mund."

Dabei ist die Branche der wichtigste Exportzweig nach dem Erdöl. Gut zwei Milliarden US-Dollar (1,77 Milliarden Euro) erwirtschaftet das Land mit der Südfrucht, 200.000 Arbeitsplätze werden so direkt gesichert. Die Bedingungen sind trotz aller sozialpolitischen Maßnahmen prekär. Auf den von WWF und der Edeka-Kette zertifizierten Bananenplantagen waren zwar 65 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter sozialversichert, viele aber nur für die Hälfte ihrer tatsächlichen Arbeitszeit.

Massiver Einsatz von Pestiziden, kaum Schutz für die Arbeiter

Das zweite große Problem neben den sozialen Verhältnissen der Erntearbeiter ist die Belastung mit Pestiziden. Bei zwei Ernten im Jahr würde in Costa Rica eine Vielzahl von Pflanzenschutzmittel eingesetzt. "Über 50 verschiedene chemische Substanzen werden einzeln oder in Kombination verwendet", so Oxfam.

Zudem sei Costa Rica das Land mit der längsten Liste zugelassener Agrochemikalien. Darunter befinden sich auch die in der EU verbotenen Mittel Bromacil und Paraquat, das in den USA als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft ist. Die Interviewten Arbeiterinnen und Arbeiter berichteten den Autoren der Studie, dass sie oft unmittelbar nach dem Versprühen der Pestizide auf die Felder zurückmüssten. Oft wüssten sie nicht, welchen Mitteln sie ausgesetzt sind, weil bei den Behältern offenbar zuvor die Etiketten entfernt würden.

Das Problem bei der Kritik am Pestizid-Einsatz ist freilich - wie sich unlängst bei der Glyphosat-Debatte in Berlin und Brüssel gezeigt hat (Streit um Unkrautvernichter Glyphosat beschäftigt erneut die EU) -, dass es keine wissenschaftliche Evidenz der Gesundheitsschäden gibt, die jeweilige Kausalität zwischen Toxin und Krankheit also nicht belegbar ist.

Dass das Gesundheitsrisiko aber erheblich und die Häufung von Krankheiten im Umfeld von besprühten Monokulturen hoch ist, gilt für Costa Rica wie für Ecuador. Für das südamerikanische Land trägt die Studie Aussagen von Betroffenen zusammen, die von den besonders verheerenden Flächenbesprühungen aus Flugzeugen berichten.

Rund 65 Prozent der interviewten Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Plantagen mit einem Zertifikat der Rainforest Alliance gaben demnach an, solche Sprühflugzeuge schon einmal gesehen zu haben. Weniger als eine Stunde nach deren Einsatz mussten sie wieder an die Bananenpalmen. Dabei sind in Ecuador nach solchen Pestizideinsätzen aus der Luft Sperrfristen bis zu 48 Stunden empfohlen, um die Gesundheit der Menschen nicht zu gefährden. Rewe und Aldi geben dem entgegen an, dass der Einsatz der Toxine strikt geregelt sei.

Screenshot aus dem Oxfam-Video Das krumme Geschäft mit Bananen & Co.

Discounter und Regierung werden sich ohne Druck nicht bewegen

Das strukturelle Problem hinter den prekären Produktions- und Arbeitsbedingungen bei der Produktion von Südfrüchten ist, so meint Oxfam, die Marktmacht der großen Ketten. Sie seien "wie Türsteher, an denen Produzenten aus Deutschland und Übersee vorbei müssen".

Weil es kaum eine Alternative zu den genannten Discountern gibt, um in einem signifikanten Maße auf dem deutschen Markt vertreten zu sein, können diese Abnehmer die Konditionen quasi diktieren. Das heißt:

  • dass der Importpreis für Ananas ist zwischen 2002 und 2014 in Deutschland inflationsbereinigt vom 1,34 Euro auf 0,71 Euro pro Kilo gesunken sind;
  • dass der Anteil der Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Ananasfeldern am Preis der Frucht bei 9,7 Prozent liegt, der hiesige Einzelhandel aber 42 Prozent einstreicht;
  • dass der Mindestpreis von 6,16 US-Dollar (5,50 Euro) pro Kiste Bananen in Ecuador massiv unterschritten wird.

Um diese Situation zu verändern, seien Produzenten, Exporteure, Importeure, Supermarktketten und die Bundesregierung gefordert, meint Oxfam. Bei diesem Resümee macht die Studie einen verzweifelt optimistischen Eindruck. Schließlich weisen die Autoren zuvor auf knapp zwei Dutzend Seiten nach, wie die Vermarkter die Verbraucher über intransparente Nachhaltigkeitssiegel täuschen.

Von der Bundesregierung fordert Oxfam, sich die von UN-Menschenrechtsrat im Juni 2011 verabschiedeten Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zu eigen zu machen. Auch solle Deutschland die Marktmacht deutscher Supermarktketten einschränken und unlautere Methoden der Preispolitik unterbinden. Doch es ist unwahrscheinlich, dass das ohne erheblichen Druck geschehen wird.

Als Ecuador und die EU Mitte 2014 trotz der Kritik von Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen ein sozialpolitisch fragwürdiges Freihandelsabkommen unterzeichnete, verwies man in Quito auf die Verhandlungsstrategie in Brüssel (und damit auch in Berlin). Die Regierung in Quito sei vor die Wahl gestellt worden, den neoliberalen Vertrag anzunehmen oder auf Bananenexporte in die EU zu verzichten. Die im Oxfam-Bericht beschriebenen Bedingungen in den Erzeugerstaaten sind, so könnte man schlussfolgern, im Sinne der Wertschöpfung hierzulande also durchaus gewünscht.