Türkei: Strafanzeige gegen Böhmermann mit schrillen Begleittönen

Die türkische Flagge, die man auch symbolisch lesen könnte. Bild: David Benbennick/gemeinfrei

Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus sieht in dem Schmähgedicht ein "schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit"

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Die Bundesregierung betritt wieder Neuland, dank Böhmermann. "Mit den rechtlichen Fragen, die jetzt zu prüfen sind, waren wir in den letzten Jahren nicht befasst", gab Regierungssprecher Seibert gestern Bescheid. Es werde doch ein paar Tage dauern, nicht Wochen, bis die Regierung über die Verbalnote, das förmliche Verlangen der Türkei nach Strafverfolgung entscheide (Hallervorden: "Erdogan, zeig mich an!").

Gestern hat der türkische Präsident Erdogan mit einer Strafanzeige gegen Böhmermann die Voraussetzung dafür geschaffen, dass eine Strafverfolgung auch dann noch in Betracht kommt, wenn die Regierung in Berlin sich gegen eine Ermächtigung der juristischen Aufarbeitung der Causa Böhmermann entscheidet (Was Sie schon immer über Strafanträge wissen wollten, ...).

Die Begleittöne aus Ankara zur Strafanzeige sind schrill. Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus sieht in dem Schmähgedicht Böhmermanns ein "schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Damit die Menschlichkeit nicht mit Erdogan gleichgesetzt wird, sprach er davon, dass das Gedicht nicht nur den türkischen Präsidenten, sondern alle 78 Millionen Türken beleidige. Was mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zutreffend ist, aber darum geht es gar nicht.

Das Ziel der Satire war keine Beleidigung. Das hat weder die Bundesregierung verstanden, noch die türkische Regierung, deren Militär den Einwohnern in Südostanatolien ganz andere Verletzungen und Beleidigungen zufügt.

"Uneigentliches Sprechen"

Es werde schwierig sein, Böhmermann tatsächlich nachzuweisen, dass er "subjektiv tatsächlich Herrn Erdogan beleidigen wollte", schätzt die Titanic-Rechtsberaterin Gabriele Rittig die Lage ein. Denn, was Böhmermann mit seiner Rezitation des Schmähgedichts in der ZDF-Sendung vollführte, war "uneigentliches Sprechen":

Na gut, wenn der Ausspruch "Ziegenficker" einfach so alleine im Raum steht und man es ernst meint und damit tatsächlich eine rassistische oder sexuelle Minderwertigkeit ausdrücken will, dann wäre es selbstverständlich eine Beleidigung, das ist außer Frage. Aber die Satire benutzt ja permanent Worte, die formal wie eine Beleidigung aussehen, aber keine sind, weil es "uneigentliches Sprechen" ist. Daran entzündet sich immer das Problem, weil ja nicht jeder, der das hört, auch versteht, dass er es möglicherweise so nicht gemeint hat.

Es geht also darum, inwieweit sich das Spiel Böhmermanns mit rassistischen Klischees innerhalb der Grenzen von Satire bewegt oder ob es sie überschreitet. Das muss immer wieder neu geklärt werden, im Streitfall vor Gericht.

Bei Fall Böhmermann ist durch eine besondere politische Konstellation aufgeladen, die zuvor schon kritisiert wurde: die Abhängigkeit der deutschen Regierung - und im Schlepptau die EU - von der türkischen Regierung. Ein gekränkter türkischer Staatspräsident verschärft Probleme, für die Böhmermann allerdings nicht verantwortlich ist. Die Reaktionen aus Ankara auf seinen Text machen nur kenntlich, was vorher schon bekannt war, aber gerne verdrängt wurde: ein gestörtes Verhältnis zur kritischen Öffentlichkeit.

Merkels Fehler

Merkel ist ein weiterer politischer Fehler vorzuhalten. Dass sie den als Satire angelegten Text Böhmermanns - der die Grenzen der deutschen Öffentlichkeit, was man hier sagen kann, auslotet - gegenüber türkischen Gesprächspartnern als "bewusst verletzend" qualifizierte, wie dies Seibert noch einmal wiederholte.

Das ist eine fatal falsche Einschätzung dessen, worum es Böhmermann ging - und Zeichen einer Loyalitätsschwäche. Es erschien ihr wahrscheinlich politisch opportun, damit Verständnis für die empörte türkische Regierung zu bekunden. Aber sie hat damit eben nicht den Artikel 5 des Grundgesetzes so hochgehalten, wie dies Seibert schildert. Ihr war die Nähe zu den türkischen Vertragspartnern wichtiger.

Sie hat Böhmermann falsch wiedergegeben. Der sprach nämlich, wie dies auch von Seibert zitiert wird, von einer "bewussten Überschreitung von Grenzen". Das ist etwas anderes als die Absicht einer gezielten Beleidigung.

Das Problem ist nun, dass sich von Merkels mitfühlender Äußerung nicht nur die politische Führung der Türkei darin bestätigt sieht, Ziel eines beleidigenden Angriffs gewesen zu sein, sondern dass auch Gerichte mit der Kanzler-Äußerung belastet werden. Zwar sind Gerichte per Grundgesetz unabhängig, aber in Wirklichkeit spielt es für Richter schon eine Rolle, in welchem politischem Klima sie entscheiden und mit welchen Äußerungen sie sich auseinanderzusetzen haben.