Bundeswehreinsatz im Inneren: Regierungspolitiker fordern Tabubruch

Bundeswehr-Parade in Rom, 2007. Bild: Jollyroger/ CC BY-SA 2.5

Auch Auslandseinsätze sollen erleichtert werden. Opposition warnt vor der Militarisierung der Gesellschaft

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Zumindest bei der Ausdehnung von Bundeswehreinsätzen ist Verlass, dass sich die linke Opposition deutlich zu Wort meldet: "Die Union legt es darauf an, unsere Gesellschaft zu militarisieren", kommentiert Ulla Jelpke den Angriff des verteidigungspolitischen Sprechers der Union, Henning Otte, auf grundgesetzliche Sperren:

Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren darf kein Tabu mehr sein.

Otte vertritt einen Trend in der Union. Er machte die Äußerung nach einer Klausursitzung der CDU/CSU-Fraktion, wo man sich über den künftigen Bundeswehreinsatz im Inneren beraten habe.

Der neue Anlauf gegen grundgesetzliche Bestimmungen wird diesmal von der Bekanntgabe eines Auszugs aus dem Entwurf zum Weißbuch 2016 begleitet. Die SZ hat Einblick bekommen und zitiert daraus:

Charakter und Dynamik gegenwärtiger und zukünftiger sicherheitspolitischer Bedrohungen machen hier Weiterentwicklungen erforderlich, um einen wirkungsvollen Beitrag der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr an der Grenze von innerer und äußerer Sicherheit auf einer klaren Grundlage zu ermöglichen.

Mit Weiterentwicklungen gemeint ist eine Erweiterung von militärischen Einsatzmöglichkeiten im Inneren wie auch im Äußeren:

In jüngster Zeit nimmt die Zahl der Einsätze und Missionen zu, die ein verzugsloses und konsequentes Handeln erfordern.

Dafür würde man gerne die Rahmenbedingungen ändern, denn, so wird im Weißbuch-Entwurf beklagt, es werde zunehmend schwierig, "den Rahmen einer Einbindung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuhalten". Laut SZ-Auszügen werden konkret so genannte "Ad-hoc-Kooperationen" von Staaten angesprochen, durch die es "mehr und mehr Einsätze" gebe. Dazu gibt es dann den typischen Satz mit der Verantwortung:

"Angesichts der weiter steigenden sicherheitspolitischen Verantwortung Deutschlands" müsse man in der Lage sein, "auch diesen Herausforderungen" Rechnung zu tragen.

Die nicht konkretisierten Herausforderungen stehen innen und außen mit Anti-Terror-Einsätzen in Zusammenhang. Verlässlich werden Terroranschläge und der Kampf gegen den IS in Diskussionen zu Bundeswehr-Einsätzen zur Begründung angeführt. Die letzten Vorstöße zu einem Bundeswehreinsatz im Inneren gab es nach den November-Anschlägen in Paris. Jedes Mal werden die "hohen rechtlichen Hürden" diskutiert.

Nach den Terror-Akten in Belgien wird das Thema neu auf den Tisch gelegt. Allerdings geht weder aus den Terroranschlägen in Paris noch in Brüssel zwingend hervor, dass ein Militäreinsatz im Inneren notwendig ist oder dass bereits bestehende Gesetze zum Einsatz im Inneren nicht ausreichend sind. Das rechtzeitige Ausfindigmachen von Terroristen, die Einschätzung der Bedrohung, Verhinderung und Aufklärung ist Arbeit der Polizei und der Geheimdienste, nicht des Militärs.

Sollte der Angriff an die Substanz der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Bundes oder eines Landes gehen, gibt es Artikel 87a des GG, der vorsieht, dass die Bundesregierung "Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen (kann)".

Es ist besser, wenn die Bundesregierung angesichts der grundgesetzlichen Bestimmungen sich sicher sein muss, dass diese Voraussetzungen gegeben sind und öffentlich Rechenschaft darüber abgeben muss, statt mit einer Grundgesetzänderung diese Hürde wegzuräumen.

Zur gewünschten Flexibilisierung bei den Auslandseinsätzen liefert Brigadegeneral Carsten Breuer Hinweise dafür, an welche "ad-Hoc-Einsätze" gedacht wird.

Frau Mogherini (Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik) wird nicht über die Inhalte unseres Weißbuches überrascht sein, wenn wir dieses nächstes Jahr veröffentlichen. Im Umkehrschluss gehe ich nicht davon aus, dass wir hier in Deutschland überrascht sein werden, wenn Frau Mogherini nächstes Jahr die neue europäische Außen- und Sicherheitsstrategie vorstellen wird.

Es geht um Bündnisfälle, die weder vom Grundgesetz noch vom Urteil des Bundesverfassungsgericht aus dem Jahre 1999 klar abgedeckt sind. Das Bundesverfassungsgericht koppelte die Out-of Area-Einsätze an "Systeme kollektiver Selbstverteidigung und gegenseitiger kollektiver Sicherheit".

Das Grundgesetz ermächtigt den Bund, Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen und sich Systemen kollektiver Selbstverteidigung und gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen. Darin ist auch die Befugnis eingeschlossen, sich mit eigenen Streitkräften an Einsätzen zu beteiligen, die im Rahmen solcher Systeme vorgesehen sind und nach ihren Regeln stattfinden. Allerdings bedarf der Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages ( BVerfGE 90, 286 <381 ff.>)

Als der französische Staatspräsident Hollande von Deutschland und andere EU-Mitglieder an einen bis dato wenig bekannten "Beistand nach Art. 47 Abs. 2 des EU-Vertrags" einforderte, gab es eine Diskussion darüber, ob die EU die Voraussetzung eines Systems kollektiver Selbstverteidigung und gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfüllt.

Angesichts dessen, dass Frankreichs militärische Antwort auf die Terroranschläge Luftangriffe auf den IS in Syrien waren, dessen Ergebnisse absolut obskur bleiben und neue Anschläge in Europa nicht verhindert haben, erscheint es auch bei europäischen Beistandsfällen besser, wenn die Bahn für Automatismen durch neue gesetzliche Rahmen nicht freigeräumt wird.

Kriegswilligen sollten möglichst viele Hindernisse in den Weg gestellt werden. Die Einräumung von Möglichkeiten "verzugslosen und konsequenten Handelns des Militärs" ist in diesen Zeiten das völlig falsche Signal.