Schluss mit der Bunkermentalität der herrschenden Parteien

CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Angela Merkel. Bild: Tobias Koch/CC BY-SA 3.0 DE

Der "Konvent für Deutschland" fordert die Revitalisierung der Altparteien: "Ungeschminkte Tatsachen sind dem Bürger zumutbar"

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Die Volksparteien sind am Abrutschen. Das ist unübersehbar. Aber wie erklären es sich die Parteien? Das liegt am "kollektiven Versagen der arrivierten Parteien", meint nun ein Text, der am heutigen Mittwoch, dem 13. April, in der Printausgabe der FAZ erschienen ist, mit der Überschrift: "Demokratie braucht vitale Parteien".

Im Auftakt zu einem Vorschlagskatalog für die Vital-Kur wird den Parteien gleich zweimal das Versagen umgehängt, einmal als arrivierte Parteien, dann als Einheitskollektiv: das "Altparteien-Establishment", dessen Versagen den Aufstieg der AFD erklärt. Da der Vorwurf nicht von außen kommt, sondern von innen, macht er neugierig. Tut sich was in der Selbstkritik des "Establishments" im Jahr 2016?

Erschienen ist der Aufruf in der Print-FAZ vom Mittwoch. Online nachzulesen ist er im Webauftritt des Konvent für Deutschland, dessen prominentestes Mitglied ganz oben auf der Unterzeichnerliste steht: Bundespräsident a.D. Roman Herzog, bekannt als Verfasser der Ruck-Rede im April 1997 ("Durch Deutschland muss ein Ruck gehen").

Auch die anderen Mitglieder des Konvents haben bekannte Namen - zumindest für das etwas ältere Publikum -, so etwa Klaus von Dohnanyi, Wolfgang Gerhardt, Jutta Limbach oder Rupert Scholz. Sie stammen zwar aus unterschiedlichen Parteien, meist Union, ein bisschen SPD und FDP, gehören aber allesamt dem "Altparteien-Establishment" an.

Der Untertitel des Konvents ist Programm - "Reform der Reformfähigkeit" - und zeigt schon die Grenzen an. Radikales ist nicht zu erwarten, im Jargon der späten 1960er Jahre, der mit der Rede vom "Establishment" anklingt, hätte man dies als "systemimmanent" bezeichnet.

"Negierung von Problemen durch die herrschende Politik"

Im selbstgesetzten Rahmen der Kritik - "(…) wir stimmen in diesen Verdruss und die Abgesänge auf die Parteien nicht ein" - werden stichwortartig neuralgische Punkte vorgebracht: die Alternativlosigkeit, die "seit Jahren die politische Agenda beherrscht"; dass Parteien immer weniger unterscheidbar werden; der Kontaktverlust zur Bevölkerung ("seismographische Aufmerksamkeit geht verloren"), die Bunkermentalität, die Exklusion von wachsenden Anteilen der Bevölkerung und die "Negierung von Problemen durch die herrschende Politik".

Dass diese Punkte angesprochen werden, lässt die Hoffnung zu, dass es den konservativen Eminenzen gegen die Erwartung darum gehen könnte, tatsächlich relevante Vorschläge zu einer Neuorientierung der Parteien zu machen. Dies wird enttäuscht. Zwar geht es etwas griffiger als üblich zu:

Sie (die Parteien) sollten den Diskurs mit parteifernen Milieus suchen, um nicht nur im eigenen Saft zu schmoren. Parteien müssen (…) auch dort präsent sein, wo die kollektive Wahlverweigerung wohnt. Wenn Parteien ganze Stadtviertel als irrelevant für ihre Meinungsbildung einstufen, weil dort nichts zu holen ist, dann betreiben sie eine demokratiefeindliche Exklusion von immer größeren Teilen der Bevölkerung.

Es wird nur aber nur über Methoden gesprochen, der Leser bleibt im Narkoseraum inhaltsloser Technik (Hingehen)- und Personalvorschläge, in dem laute Appelle zu hören sind - "den BürgerInnen und Bürgern sind ungeschminkte Tatsachen und klare Alternativen zuzumuten", "die Parteien brauchen authentische Persönlichkeiten, die Heterogenität abdecken".

Keine Programmpunkte, keine inhaltlichen Vorschläge. Worüber die Politiker mit der Bevölkerung sprechen wollen, wird völlig ausgespart. Keine Rede von der Ungleichheit der Verhältnisse, die den Abstand zwischen Machtelite und "immer größeren Teilen der Bevölkerung" herstellt und zementiert, keine Rede von Wirtschaftspolitik, weder von TTIP noch von der kalten Schulter gegenüber der prekären Stellung und der Bezahlung von Arbeitnehmern. Nichts über Loser und Winner der gegenwärtigen Verhältnisse und was die Alt-Parteien dazu anbieten könnten.

Organisierte Lobbys werden erwähnt - aber nicht in ihrer Funktion als treibende Motoren der Politik etablierter Parteien, die sich von ihnen Gesetze schreiben lassen, und ebenfalls für Abstand zu den Interessen relevanter Bevölkerungsteile sorgen-, sondern ganz im Gegenteil als Argument dafür verwendet, warum eine repräsentative Parteien-Demokratie besser ist als Alternativen, wie mehr direkte Demokratie".

Wie soll denn unter diesen Voraussetzungen, in denen sich die Ratgeber als gute Hirten der Demokratie ausgeben und ein bestimmtes Kritikpotential ausgeschlossen wird, ein offener Diskurs über Alternativen geführt werden?