"Eine Kritik aus Deutschland ist für Erdogan Gold wert"

Baris Uygur. Bild: privat

Baris Uygur, Mitgründer des türkischen Satiremagazins "Uykusuz", über Erdogan gegen Böhmermann und die Lage der Satire und der Medien in der Türkei

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Die Gerichte urteilen nach Erdogans Wünschen - und Satiriker zensieren sich selbst. Kritik aus Deutschland kommt dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan gelegen - sagt Baris Uygur, Schriftsteller und Mitbegründer der Satire-Zeitschrift "Uykusuz" (Schlaflos). Auch seine Krimis sind voller Seitenhiebe auf die türkische Gesellschaft und Politik, eine Zensur der Literatur fürchtet Uygur aber vorerst nicht. Erdogan brauche Feinde, die er instrumentalisieren könne, sagt der Künstler.

Der deutsche Comedian Jan Böhmermann hat ein Schmähgedicht auf Recep Tayyip Erdogan verfasst, das bewusst beleidigend ist. Er wollte damit die Grenzen dessen aufzeigen, was Satire darf. Nun fordert die türkische Regierung ein Strafverfahren. Wie wird die Angelegenheit in der Türkei aufgenommen?

Baris Uygur: Es gibt jetzt einfach zwei Teile der Türkei. Ein größerer Teil steht zu Erdoğan, egal was passiert, egal was er sagt oder tut. Für diesen Teil ist es eine Unverschämtheit - nicht weil sie so denken, sondern weil Erdoğans Medien es ihnen so diktieren. Vielen Kolumnisten und Journalisten in diesen Medien schreiben nur wenn sie einen Startschuss von Erdoğan oder seinen Leuten bekommen. Das Ergebnis sind oft zehn oder mehr Zeitungen, die am selben Tag dieselben Schlagzeilen haben. Viele sehen die Angelegenheit als eine Verschwörung gegen Erdogan. Das würgt jede Diskussion ab. Diskussionen dazu sind auch nicht gewollt.

Ein gutes Beispiel ist der Reporter, der vor der ZDF-Zentrale kürzlich versuchte zu provozieren. Er hat bereits ein Interview mit einem Baum im Gezi-Park geführt und ein gefälschtes Interview mit Christiane Amanpour veröffentlicht. Als man beim ZDF auf seine Provokationen nicht einging, verwies er auf die "Respektlosigkeit" und darauf, dass man ihm mit Händen in den Hosentaschen begegnet. Das ist die Parallelrealität dieser Medien: Obwohl jeder sehen kann, dass gar nichts passiert, kreieren sie eine Realität, an die sie und ihr Publikum glauben wollen.

Sie sind Mitbegründer der Satirezeitschrift Uykusuz. Was darf Satire heute noch in der Türkei? Darf sie, frei nach Tucholsky, alles?

Baris Uygur: Die türkische Satire hat über die Jahre immer neue Wege und Methoden gefunden um ihre Freiheit zu schützen. Das wichtigste ist die Unabhängigkeit. Uykusuz, Leman und Penguen, die drei großen Satire-Zeitschriften, sind nicht, wie so viele andere Medien, von großen Konzernen abhängig - und auch nicht von Werbekunden. Deswegen sind wir der AKP ein Dorn im Auge. Sie kann uns nicht kontrollieren. Also versucht man es über Boykott. Es gibt Läden, die unsere Hefte nicht anbieten, besonders wenn Erdogan auf dem Cover ist.

Wir bewegen uns im Rahmen der Gesetze, aber trotzdem wirken die Prozesse und Klageverfahren einschüchternd, weil klar ist, dass die Gerichte in der Türkei nicht unabhängig sind. Wenn ein Urteil fällt, das Erdogan nicht genehm ist, was immer seltener passiert, dann ist das schon eine große Nachricht. Die Grenzen unserer Freiheit werden nicht mehr von Gesetzen bestimmt. Die Freiheit der Türken ist abhängig von Erdogans Stimmung. Und Erdogan steht dazu: Wenn er gefragt wird, warum so viele Journalisten im Gefängnis sitzen, verweist er auf seine Mehrheiten bei den Wahlen und darauf, dass das Volk hinter ihm stehe. Er versucht schon gar nicht mehr zu behaupten, die Justiz sei unabhängig.

Immer mehr Journalisten werden verhaftet, allein im letzten Jahr gab es bislang über 1000 Anklagen wegen Präsidentenbeleidigung in der Türkei. Wie macht man unter solchen Umständen noch Satire? Findet eine Selbstzensur statt?

Baris Uygur: Die Medien in der Türkei werden auf bestimmten Wegen kontrolliert oder zensiert: Fast alle Zeitungen und Fernsehsender gehören zu großen Holdings, die einen Vertrag oder eine Erlaubnis der Regierung brauchen, um arbeiten zu können, weswegen sie sich mit Kritik an Erdogan zurückhalten müssen. Dadurch findest eine Selbstzensur statt. Aber so richtig selbst zensieren wir uns nur intern: Schlechte Witze bringen wir nicht.

Erdogan braucht Feinde

Wie ist die Lage von Magazinen wie Uykusuz oder Penguen?

Baris Uygur: Im Grunde karikieren wir uns selbst. Unsere Satire bezieht sich auf die Widersprüche und Paradoxien des modernen Lebens. Aktuelle politische Ereignisse greifen wir nur auf den ersten drei Seiten auf. Aber diese wenigen Seiten reichen aus, um Probleme zu bekommen. Oft kommt es sogar vor, dass wir Probleme haben, eine Druckerei zu finden. Und wenn wir eine gefunden haben, verweigern sich die Zeitungskiosks.

Aber wir machen weiter. Wir halten die Tradition der türkischen Satire-Zeitschriften aufrecht. Die Verkaufszahlen sind zwar gesunken, aber die Satirehefte haben noch immer sehr hohe Auflagen. Sie zählen zu den bestverkauften wöchentlichen Medien.

Auf Facebook und Twitter sieht man seit Gezi, dass die junge gebildete Generation in der Türkei dem Staat vor allem mit Humor begegnet. Kann Humor und Satire ein Ausweg sein?

Baris Uygur: Humor und Satire sind meistens ein Abwehrmechanismus, um mit Ausweglosigkeit zu zurechtzukommen, eine letzte Waffe derer, die sich mit den Verhältnissen nicht abfinden wollen. Aber es ist eine Waffe, mit der man sich auch selbst ins Knie schießen kann. Es ist wie mit einem Fußballspiel, das bereits gelaufen ist. Das berühmte WM-Finale 1966 Deutschland gegen England zum Beispiel. War das Wembley-Tor wirklich ein Tor? Man kann darüber jahrelang diskutieren. Aber gibt es noch einen Ausweg? Eine Chance für Deutschland, das Spiel zu gewinnen? Natürlich nicht, es ist vorbei.

Die Türkei ist in dieser Lage: Viele Leute diskutieren über ein Spiel, das längst entschieden ist. Erdogan hat seit 2003 seine eigene Generation erschaffen. Was wir beim Gezi-Aufstand gesehen haben, war nur ein kleiner Teil der Türkei. Eine Minderheit. Das gesellschaftliche Klima bestimmen andere, und die sind es, die Erdogan stützen. Das Kernproblem ist nicht Erdogan selbst, sondern das Klima, das er geschaffen hat.

In Ihren Krimis, die auch auf Deutsch vorliegen ("Flucht aus dem Höllenhof"), erscheint die türkische Polizei in keinem guten Licht - auch Schriftsteller wie Emrah Serbes oder Murat Mentes können noch arbeiten. Glauben Sie, dass auch die Literatur irgendwann zensiert werden wird?

Baris Uygur: Es ist nicht mal nötig. Das Klima, das ich versucht habe zu erklären, marginalisiert nicht nur jede Opposition, sondern auch jede Form der Kunst. Außerdem braucht Erdogan Feinde. Er bekämpft die Opposition, die Journalisten, Künstler, Satiriker nicht aus Angst. Es wäre falsch, sehr falsch, das so zu verstehen. Er hat keine Angst. Im Gegenteil. Jede Kritik an seiner Person ist für ihn eine willkommene Gelegenheit, Angst zu verbreiten. Und seine Anhänger glauben ihm. Eine Kritik aus Deutschland ist für ihn Gold wert. Seine Anhänger sind anfällig für Verschwörungstheorien. Wenn er sagt, Deutschland oder die USA würden eine gezielte Kampagne gegen ihn führen, dann verfängt das bei seinem Publikum.

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