Tödliche Ablenkung

Zugunglück von Bad Aibling: Schwere Vorwürfe gegen den Fahrdienstleiter, der während des Dienstes auf dem Smartphone spielte

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Auf einer eingleisigen Strecke zwischen Bad Aibling und Kolbermoor in Bayern kollidierten am 9. Februar zwei Züge, es gab Tote und Verletzte. Über die Ursachen wurde zunächst spekuliert, viel war zu lesen über komplizierte Bahntechnik, in Verdacht gerieten so genannte "Funklöcher" entlang der Bahnstrecken (Funklöcher beschäftigen die Staatsanwaltschaft). Vor wenigen Tagen nun die Überraschung: Fahrdienstleiter Michael P. (39) sieht sich schweren Beschuldigungen ausgesetzt, die Staatsanwaltschaft ordnete Untersuchungshaft an.

Was ist neu an den Ermittlungen? Man könnte es eine banale Ungeheuerlichkeit nennen, was der Beschuldigte bei einer Vorführung vor dem Amtsgericht Rosenheim jetzt einräumt: Er habe am Morgen des Unglückstags - während des Dienstes - auf seinem Smartphone bis kurz vor der tödlichen Kollision der beiden Züge ein Online-Computerspiel gespielt. Es ist nicht bekannt, um welches Spiel es sich dabei handelte, Michael P. bestritt in der Vernehmung jedoch, davon abgelenkt worden zu sein.

Das sieht die Staatsanwaltschaft Traunstein allerdings anders, sie geht inzwischen davon aus, dass hier die Ursache der Fehlerkette liegt, die letztlich zur Katastrophe führte. Dem Beschuldigten seien "wohl aufgrund dieser Ablenkung" mehrere Fehler unterlaufen; er gab "den Zügen falsche Signale und drückte bei beiden Notrufen am Funkgerät die falsche Tastenkombination, sodass die Notrufe nicht von den Zugführern gehört werden konnten", lautet der Befund.

Verstoß gegen klare Vorschriften

Der Mann, der seit 20 Jahren für die DB arbeitet, hat somit in den Minuten vor dem Zusammenstoß der Meridian-Züge am 9. Februar so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Er bestimmte willkürlich einen neuen Kreuzungsort für die Züge (Bad Aibling statt Kolbermoor), gab falsche Signale und verhaspelte sich auf den Tasten. Die Staatsanwaltschaft stuft dies alseine "erheblich schwerer ins Gewicht fallende Pflichtverletzung" ein - der 39-Jährige, der bisher nur unter Aufsicht stand, wurde am Montag festgenommen, das Amtsgericht Rosenheim ordnete Untersuchungshaft an, der Vorwurf: fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung und gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr.

Dabei sind die Reglements für die DB-Mitarbeiter eigentlich eindeutig: Fahrdienstleiter der Deutschen Bahn dürfen während der Arbeit ihr Mobiltelefon nicht privat für Online-Spiele nutzen. Wie ein Bahnsprecher bestätigt, gelte dieses klare Verbot zum Beispiel auch für TV- oder Radiogeräte (Fahrdienstvorschrift Nr. 408). Die Anordnung sei allen rund 13.000 Fahrdienstleitern bekannt und auch Bestandteil der Ausbildung. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) wollte wegen der laufenden Ermittlungen den konkreten Fall nicht kommentieren.

Unterdes gibt es ein weiteres Todesopfer des Unglücks. Ein 46-Jähriger aus dem Landkreis Rosenheim erlag am Mittwoch in einer Münchner Klinik seinen Verletzungen. Er ist das zwölfte Todesopfer von Bad Aibling. Neben den zwölf Toten gab es 85 zum Teil schwer Verletzte, einige davon lebensgefährlich.