Verteidigung des Säkularismus oder Diskriminierung einer Muslima?

Bild: Orrling/CC-BY-SA-3.0

In Berlin wird wieder darüber diskutiert, ob Lehrerinnen Kopftücher im Unterricht tragen dürfen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eine Entscheidung des Berliner Arbeitsgerichts sorgt für eine Neuauflage des Kopftuchstreits in Berlin. Das Gericht hatte die Entschädigungsklage einer Muslima abgewiesen, deren Bewerbung um eine Stelle als Grundschullehrerin von dem Land Berlin abgelehnt worden war, weil sie ein Kopftuch trägt.

Die Frau sah hierin eine nach § 7 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AAG verbotene Benachteiligung. Das Gericht verneinte das mit Verweis auf das Berliner Neutralitätsgesetz, das den Lehrkräften " das Tragen religiös geprägter Kleidungsstücke" untersagt. "Hieran habe sich das beklagte Land halten und die Bewerbung der Klägerin ablehnen dürfen", so das Berliner Arbeitsgericht.

Neutralitätsgesetz nicht verfassungswidrig

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts war auch unter Juristen mit Spannung erwartet worden. Einige Juristen vertraten nämlich die Ansicht, dass das Berliner Neutralitätsgesetz gegen ein Urteil des Bundesverfassungsgericht vom Januar 2015 verstößt. Damals hatten die Richter entschieden:

Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs der Fall sein kann.

Doch das Urteil, das sich gegen ein Gesetz in NRW richtete, war kein allgemeiner Freibrief für das Tragen eines Kopftuchs in den Schulen. Schließlich hieß es dort auch:

Ein landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule ist unverhältnismäßig, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlich verankerten Positionen - der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte, der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, des Elterngrundrechts und des staatlichen Erziehungsauftrags - erfordert eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss.

Eine so allgemein formulierte Entscheidung lässt natürlich einen großen Interpretationsspielraum offen, den das Berliner Arbeitsgericht genutzt hat. Es weist vor allem auf die Unterschiede zwischen dem Berliner Neutralitätsgesetz und den vom Bundesverfassungsgericht monierten Regelungen im Schulgesetz von NRW hin.

Diese bestünden u.a. darin, "dass die Berliner Regelung keine gleichheitswidrige Privilegierung zugunsten christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen vorsehe. Das Berliner Neutralitätsgesetz behandelt alle Religionen gleich. Außerdem gelte das Verbot religiöser Bekleidung nach § 3 Neutralitätsgesetz nicht für die Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen. Auch für die Klägerin sei die Unterrichtstätigkeit an einer berufsbildenden Schule möglich", so das Arbeitsgericht.

Dem widersprach die Anwältin der Klägerin, die darauf verwies, dass in Berlin Schmuck mit religiösen Symbolen erlaubt sei. "Wenn nun muslimische Schüler einer Lehrerin mit Kreuz um den Hals gegenüberstünden, ist da die Neutralität gewährleistet?", fragte sie. Diese Frage dürfte die Gerichte und Juristen noch weiter beschäftigten. Gegen das Urteil ist Berufung bei Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg möglich. Die Klägerin hat noch nicht entschieden, ob sie den Weg gehen will.

Auch keine Einflüsterungen vom Spaghettimonster erwünscht

Doch das Urteil hat die politische Diskussion um das Kopftuch neu entfacht. So veröffentlichte die linksliberalen Taz Pro- und Contra zum Kopftuchverbot. Der Taz-Inlandsredakteur Daniel Bax wirft dem Gericht und der Berliner Politik vor, die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichts zu verzögern, geht aber nicht auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts ein, in denen begründet wird, warum das Urteil das Berliner Neutralitätsgesetz nicht tangiert .

Bax sieht in kopftuchtragenden Lehrkräften ein Zeichen der Offenheit. Dem widerspricht seine Taz-Kollegin Susanne Memarnia entschieden:

Wenn der Staat zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet ist, was das BVG bejaht, sind das auch seine Amtsträger, seien es LehrerInnen oder PolizistInnen. Denn sie sind es, durch die der Staat handelt. Zwar ist es richtig, dass die Trennung von Kirche und Staat hierzulande nicht konsequent realisiert ist - Stichwort Religionsunterricht oder Kirchensteuer. Aber das ist kein Argument, den Laizismus nun komplett über Bord zu werfen.

Ihre Argumente überzeugen schon deshalb, weil sie sämtliche religiösen und pseudoreligiösen Symbole aus den Schulen verbannen will.

Aber wie soll jemand, der sein Handeln danach ausrichtet, was ihm Gott, Allah oder das Spaghettimonster einflüstern, Kinder zu mündigen Bürgern erziehen und ihnen beibringen, alles zu hinterfragen - inklusive der Dogmen ihrer LehrerInnen.

Dass Memarnia auch die Freundinnen und Freunde des Spaghettimonsters mit einbezieht, ist konsequent und müsste auch in deren Sinne sein. Die wollen schließlich den Religionsgemeinschaften gleichgestellt sein, was dann auch im negativen Sinne gelten muss.