Flüchtlinge sollen sich den Tigern zum Fraß vorwerfen

Angewandter Humanismus oder Ausdruck eines regressiven Politikverständnisses? Die aktuelle Kunstaktion des Zentrums für Politische Schönheit hinterlässt viele Fragen

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Die Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen nimmt von der EU und ihren Mitgliedstaaten keine finanziellen Mittel mehr an, weil sie nicht teilhaben wollen an einer Politik der Flüchtlingsabwehr, die offizielle EU-Politik ist. "Wir sehen in unseren Projekten jeden Tag, welches Leid die aktuelle EU-Politik verursacht“, begründet Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland, die Entscheidung. Er präzisiert:

"Die verheerenden Auswirkungen der EU-Abschottungspolitik für Menschen auf der Flucht, besonders für verletzliche Gruppen wie Schwangere, Kinder und unbegleitete Minderjährige, erleben unsere Teams täglich - in Europa, an dessen Außengrenzen und bis in die Herkunftsländer hinein."

Mit diesem Schritt reißt eine große NGO der EU, aber auch den Politikern all ihrer Mitgliedstaaten die humanitäre Maske vom Gesicht. Die Reaktionen der Politiker, die alle Bedauern über diesen Schritt heucheln, zeigen, dass die Aktionen getroffen haben.

Suche nach einem Retter des römischen Reiches

Während hier der Mythos der helfenden Politiker entlarvt wird, geht das Zentrum für Politische Schönheit mit seiner neuesten Aktion einen anderen Weg. Hier wird wieder einmal an die Politik appelliert, doch bitte einen humanitären Schritt zu tun und sich zum Retter des "europäischen Reiches" aufzuspielen. Als erste Adresse für diesen Retter hat sich das Künstlerkolletiv den scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck ausgesucht.

Um seinem Ego zu schmeicheln, haben sie sogar ein Flugzeug nach ihm benannt. Die "Joachim I" soll syrische Flüchtlinge, die in Deutschland einen Aufenthaltsstatus bekommen würden, Ende Juni nach Berlin bringen. Dann müssten sie nicht die gefahrvolle und teure Dienstleistung der Schlepper in Anspruch nehmen.

Der Grundgedanke ist richtig. Die Forderung nach sicheren Transitrouten für Geflüchtete wird in der Flüchtlings- und Antirassismusbewegung schon lange erhoben. Doch dort wird sie nicht als Akt eines politischen Retters verstanden, sondern als eine Aufgabe für die außerparlamentarische Bewegung, möglichst länderübergreifend einen gesellschaftlichen Druck zu entwickeln, der solchen Forderungen politisches Gewicht verleiht. Im Zeichen eines europäischen Rechtsrucks ist es nicht einfach, einen solchen Druck zu entwickeln.

Nun stattdessen an edlen Retter zu appellieren, ist aber nur regressiv.

Hinzu kommt noch, dass die Kampagne die komplizierte juristische Lage vereinfacht, damit sie besser passt. Einreisen per Flugzeug sei für Flüchtlinge einfach, wird vermittelt. Der Fokus wird auf den <x>Paragraphen 63::https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/BJNR195010004.html<x> des Aufenthaltsgesetzes gelegt, der theoretisch von der Bundesrepublik verändert werden könnte. In einem Spiegel-Artikel zum Thema "Warum sie nicht per Flugzeug kommen können" wird auf eine EU-Richtlinie 2001/51/EG verwiesen, welche die Einreise mit einem Flugzeug untersagt.

Die könnte nun aber nicht in einem Gnadenakt von Gauck außer Kraft gesetzt werden. Da stellt sich doch die Frage, ob diese Zusammenhänge extra weggelassen werden, damit das besser zu einer Kampagne passt, die zu keinem Erfolg führen kann und soll.

Das Kampganen-Konzept unterstellt, dass es nur auf den Willensakt des Einzelnen ankommen würde. Gesellschaftliche Interessen, Klassen- und Machtverhältnisse spielen beim Zentrum für politische Schönheit keine Rolle. Das war bereits bei den früheren Aktionen der Gruppe ein Problem. Allerdings war es in den Aktionen trotz der strikten Regie der Künstler noch immer möglich, politischen Eigensinn einzuschmuggeln, der die zutiefst elitären Staats- und Politikvorstellungen des Künstlerkollektivs etwas entgegenwirkte. So gelang es im letzten Jahr bei der Aktion Die Toten kommen, Antirassisten, die sich am Protestmarsch zum Regierungsviertel beteiligten, die Zäune um den Rasen des Bundestags zu stürmen und eine Menge von Gräbern aufzuschütten. Die wurden zusammen mit den Kreuzen zu einem Symbol für die tödliche bundesdeutsche Flüchtlingspolitik.

"Nur im Theater kann man Flüchtlinge den Tigern zum Fraß vorwerfen"

Doch bei der aktuellen Aktion "Flüchtlinge fressen" ist es kaum möglich, solche Spuren des emanzipatorischen Eigensinns in ein zutiefst regressives Konzept einzuspeisen. Höhepunkt der Aktion ist dieses Mal keine Aktion mit Beteiligung einer gewissen kritischen Öffentlichkeit.

Vielmehr sollen am 28.Juni - wenn sich weder Gauck noch der Papst dazu bereit erklären, den "imperialen Retter des Humanismus" zu spielen, wie ihn die Ideologen hinter dem Zentrum für politische Schönheit verstehen - Geflüchtete vier Tigern zum Fraß vorgeworfen werden.

Die sind derweil in einer Art römischen Manege vor dem Berliner <x>Gorki-Theater::http://www.gorki.de/<x> in Berlin-Mitte untergebracht und können durch ein Fenster beobachtet werden. Die sibirischen Tiger, die für das Stück aus Libyen stammen sollen, sind die eigentliche künstlerische Intervention des Zentrums für politische Schönheit. Durch sie bekommt die ansonsten zwischen Größenwahn und Belanglosigkeit schwankende Spendenaktion die nötige Aufmerksamkeit.

Im Künstlergespräch im Gorki-Theater betonte der Dramaturg Carl Hegemann in der Kunst könne man Geflüchtete auffordern, sich den Tigern zum Fraß vorzuwerfen. Als politische Aktion wäre das nicht möglich. Damit hat Hegemann erfreulicherweise den Charakter der Aktion klargestellt. Es ist eine besondere Kunstaktion und als solche hat sollte sie auch betrachtet werden.

Nur stellt sich dann die Frage, warum die Aktion nicht in den Feuilletons diskutiert und kritisiert wird und stattdessen auf den Politikseiten Platz findet? Das ist nicht belanglos. Als künstlerische Intervention hat die Aktion durchaus ihren provokativen Charakter und auch einen gewissen politischen Gehalt. #

Wird sie aber als politische Aktion verstanden, müsste ihr durch und durch regressiver Gehalt im Mittelpunkt der Kritik stehen. Eine politische Aktion, die an den einsamen Retter der Zivilisation im Vatikan oder Bundespräsidentenamt appelliert, kennt keine Staatskritik und will sogar noch den bürgerlichen Parlamentarismus zugunsten der edlen Tat des Einzelnen ersetzen.

Bild vom verzweifelten Flüchtling

Genau so problematisch ist das Bild von Geflüchteten, das durchgängig in den Videos und den Erklärungen zur Aktion gezeichnet werden. Es wird das Bild von verzweifelten, dem Tod geweihten Menschen gezeichnet, die nur durch eine Spende für Joachim I noch gerettet werden können. Das ganze wird garniert mit Bildern von Flüchtlingskindern, die sich bei den edlen Rettern bedanken. Damit wird unterschlagen, dass die Geflüchteten politische Subjekte sind, die Entscheidungen für sich treffen, die Grenzen überwinden. Der Höhepunkt der Victimisierung von Geflüchteten ist erreicht, wenn Geflüchtete gesucht werden, die sich freiwillig den Raubtieren zum Fraß vorwerfen.

"Haben Sie einen Flüchtlingshintergrund? Haben sie Angehörige verloren? Sind Sei verzweifelt? Dann sind sie dafür qualifiziert, sich als Futter für die Tiger zu bewerben."

In den letzten Jahren haben immer wieder Flüchtlinge Suizid verübt, aus Angst vor der Abschiebung oder wegen der schlechten Lebensverhältnisse in den Unterkünften. Alljährlich dokumentiert die Antirassistische Initiative Berlin solche Fälle. In den letzten Jahren haben immer wieder politisch engagierte Geflüchtete ihren Körper zur Waffe gemacht. Sie organisieren Hunger- und Durststreiks. Dadurch hat die Schweizer Publizistin Sabine Hunzinker von diesen politischen Kampfformen erfahren. Sie hat im letzten Jahr dazu das Buch "Protestrecht des Körpers - Einführung zum Hungerstreik in Haft" herausgegeben.

Andere Flüchtlinge drohten vom Dach einer Berliner Unterkunft zu springen, um ihre Räumung zu verhindern. Hier war die Überlegung, den eigenen Körper als Waffe einzusetzen, Teil einer Widerstandsperspektive. Doch Flüchtlinge als politische Subjekte kommen in der Kampagne des Zentrums für politische Schönheit nicht vor.