Unabhängigkeitsprozess zerreißt die linksradikale katalanische CUP

Rücktritte haben sie an den Rand der Spaltung gebracht und nun wählen die Antikapitalisten eine neue Führung

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In der katalanischen "Candidatura D’Unitat Popular" (CUP) ist schon seit Jahresbeginn von einer "Vereinigten Bevölkerung" nicht viel zu sehen. Sie ist seither gespalten und geriet in immer schwereres Fahrwasser. Deshalb wurde nun die Erneuerung der Führung der linksradikalen Wahlplattform auf den Weg gebracht. Das wurde unausweichlich, nachdem zum Wochenende 6 von 15 Führungsmitgliedern geschlossen zurückgetreten waren, um den Vorgang zu forcieren. Ohne die Neubestimmung wäre eine Spaltung der Antikapitalisten wohl unausweichlich gewesen. Die Widersprüche hatten sich massiv zugespitzt, aber auch mit der Entscheidung ist eine Spaltung noch nicht vom Tisch.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war der Führungsbeschluss, den Haushalt für 2016 zu blockieren. Damit wollte die Einheitsliste für die Unabhängigkeit von Spanien "Junts pel Sí" (Gemeinsam für das Ja) auch Maßnahmen auf diesem Weg finanzieren. Viele Sympathisanten und Wähler der CUP konnten diese Frontalopposition nicht nachvollziehen, mit der sogar eine Behandlung des Haushalts im Parlament verhindert wurde. So konnten keine Verbesserungen ausgehandelt werden. Der aus dem Vorjahr wurde verlängert, weil die Mehrausgaben für Soziales der Mehrheit in der CUP-Führung nicht ausreichten, jetzt eingeplante 800 Millionen aber ausfallen.

Deshalb kam es zum Bruch des Stabilitätspakts mit der Einheitsliste und zur Regierungskrise in Katalonien. Regierungschef Carles Puigdemont hatte für September angekündigt, die Vertrauensfrage im Parlament zu stellen. Der Fahrplan, für den "Prozess zur Schaffung eines unabhängigen katalanischen Staats", der mit der CUP vereinbart wurde, ist damit nur noch schwer einzuhalten. Im Fall von Neuwahlen wäre der Prozess praktisch beendet.

Die Widersprüche in der CUP sind extrem. Denn ausgerechnet sie hat Steine auf den Unabhängigkeitsweg gelegt, während sie andererseits stets dabei verbal aufs Gaspedal tritt. Doch mit dem Veto gegen den Haushalt, befand sie sich plötzlich in einem Boot mit der ultrakonservativen spanischen Volkspartei (PP) und den spanischen Sozialisten (PSOE). Die stemmen sich nicht nur gegen den Unabhängigkeitskurs, sondern sind auch für eine mehr oder weniger heftige Austeritätspolitik bekannt.

Das hat im CUP-Umfeld für große Empörung gesorgt. Und dass diese zentrale Entscheidung nicht von den Mitgliedern getroffen werden durfte, hatte "Poble Lliure" (Freie Menschen) hart kritisiert. Es ist eine der beiden großen CUP-Fraktionen. Für sie hatte vor der Vertrauensfrage im September Xavi Generó offen von "Widersprüchen" und "Spannungen" gesprochen und eine Spaltung nicht mehr ausgeschlossen. Er hatte für Poble Lliure eine "intensive Debatte" und eine Neubestimmung der Führungs- und Entscheidungsstrukturen angemahnt. Die sechs zurückgetretenen Führungsmitglieder gehören ihr an oder stehen ihr nahe. Trotz allem erklärte die Formation, mit den Rücktritten nichts zu tun zu haben. Es seien "persönliche Entscheidungen" gewesen.

Dass die Atmosphäre vergiftet ist, zeigte nicht nur die Erklärung, mit der die Rücktritte begründet wurden. Es wurde von einem "sektiererischen Verhalten" der Führung gesprochen. Die sechs zurückgetretenen Führungsmitglieder hatten die "Rückgewinnung des historischen Fadens und der Glaubwürdigkeit" gefordert. Die CUP müsse wieder ein "klar demokratisches und transparentes Projekt" werden, in dem die Basis bestimmt. Sie stellen gefährliche strategische Schwächen fest. Die CUP müsse "eine Garantie und ein Beschleuniger für den Unabhängigkeitsprozess" sein, statt ihn zu behindern.

Ein Teil der Forderungen, die Entscheidungen künftig auch per Internet-Abstimmungen zu fällen, wird für die Wahlen der Führung schon umgesetzt. In Zukunft soll die Beteiligung der Basis an Entscheidungen ausgeweitet werden. Um eine Spaltung abzuwenden, verhandelt nun der frühere Parlamentarier Quim Arrufat zwischen beiden großen Fraktionen. Wie er im Interview mit Telepolis deutlich machte, gehört er zum pragmatischen Teil der CUP. Unter der Führung von David Fernandez und Arrufat wurde die CUP mit einer klaren linksradikalen Politik, die auf die Unabhängigkeit ausgerichtet ist, stark und zum "Schlüssel für die Unabhängigkeit". Arrufat hat nun Telepolis bestätigt, dass er Kandidat für die neue Führung sein werde, während Fernandez nicht zurückkehrt, der in seinem Amt zum beliebtesten Politikers Kataloniens wurde.

Die Regierungskrise in Katalonien ist damit aber vermutlich praktisch beigelegt. Man darf es nun als ausgeschlossen ansehen, dass die CUP dem Regierungschef nicht das Vertrauen ausspricht. Zumindest ein Teil ihrer zehn CUP-Parlamentarier wird das tun, auch wenn das dann zur Spaltung führen dürfte, um den Unabhängigkeitsprozess nicht zu gefährden. Die Einheitsliste ist nur auf zwei Stimmen der CUP angewiesen.

Die beiden großen Parteien, die federführend hinter der Einheitsliste stehen, äußern sich offiziell zu dem Streit nicht. Die Republikanische Linke (ERC) profitiert aber nach neuen Umfragen klar vom Absturz der CUP, die nun nur noch auf gut 3% statt auf 8% kommen soll. Sie schiebt sich nun sogar weit vor die Christdemokraten von Puigdemont.