"Das einzige Land, das mir Sorge macht, ist Portugal"

In die Offensive gegen Portugal stimmt nach Schäuble nun auch der deutsche Chef des europäischen Rettungsfonds ein

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Auch Klaus Regling will in der Kritik an dem kleinen Land am westlichen Rand der EU nicht nachstehen. Der deutsche Chef des europäischen Rettungsfonds ESM, unter dessen Arme der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble das Land mit Hilfe der großen US-Ratingagenturen offensichtlich wieder treiben will, gibt erstaunliche Erklärungen zu Portugal ab. Nicht das weiter abstürzende Griechenland sorgt den ESM-Chef, das noch immer Geld vom ESM erhält: "Das einzige Land, das mir Sorge macht, ist Portugal", sagte Regling im Gespräch mit der Wirtschaftswoche.

Ihm gefällt nicht, dass Portugal die Austeritätspolitik langsam zurückfährt. Das heißt für den ESM-Chef, Lissabon habe "Reformen zurückgedreht", denn die Linksregierung hat den von den konservativen Vorgängern gesenkten Mindestlohn wieder angehoben, Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst wurden zurückgenommen und die Arbeitszeit wurde wieder verkürzt. Deshalb sei Portugal nun sei "wieder weniger wettbewerbsfähig" geworden, meinte Regling. Man müsse sehr aufmerksam beobachten, was in Portugal passiere, drohte er dem Land.

Die Linksregierung hat, wie sie es versprochen hatte, am gestrigen Freitag ihre nächste Reformstufe gezündet. Im öffentlichen Dienst gilt nun wieder die 35-Stunden-Woche, um Arbeitsplätze zu schaffen. Auch die von den Vorgängern erhöhte Mehrwertsteuer im Hotel- und Gaststättengewerbe wurde von 23% wieder auf den verminderten Satz von 13 % gesenkt, der ist aber mit 13% immer noch höher als vor der Anhebung.

Mit der Senkung wird das Urlaubsland, im Gegenteil von Reglings Behauptung, für ausländische Touristen wieder deutlich wettbewerbsfähiger. Auch Portugiesen mit einem schmalen Mindestlohn können sich nun bisweilen wieder einen Kneipengang leisten. Das Hotel- und Gaststättengewerbe hatte unter der hohen Steuer stark gelitten.

Es waren die Konservativen, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit beschnitten und den Binnenkonsum über Lohn- und Rentenkürzungen sowie über massive Steuererhöhungen abgewürgt hatten. Dabei waren sie mit dem Versprechen gewählt worden, Steuern senken zu wollen. Unter Troika-Aufsicht geschah genau das Gegenteil, was auch auch ehemalige konservative Wähler kritisierten.

Im Gegensatz zu Spanien ist Portugal nicht schlecht gefahren

Schlecht ist Portugal auf seinem Weg bisher nicht gefahren, vergleicht man das mit Griechenland oder mit dem Nachbarland Spanien, die dem ESM-Chef und Schäuble offenbar keine Sorgen bereiten. Schaut man sich die Arbeitslosenzahlen an, dann liegt Spanien mit einer Quote von 19,8 direkt auf dem vorletzten Rang hinter Griechenland. Hier wird gefeiert, dass die Quote seit sechs Jahren erstmals wegen der prekären Beschäftigung im Urlaubssommer wieder unter die Schwelle von 20% gesunken ist. Doch in Portugal ist sie nur gut halb so hoch, stellt Eurostat immer wieder fest.

Während Portugal eigentlich das Stabilitätsziel von 3% beim Haushaltsdefizit 2015 hätte wieder einhalten können, wenn da nicht das faule Ei der konservativen Vorgänger aufgetaucht wäre. Eine neue Bankenrettung dafür sorgte, dass das Defizit dann doch über der Schwelle lag. Spanien verstieß dagegen noch deutlich stärker gegen die Vorgaben, obwohl dort 2015 keine neue Bank gerettet werden musste.

Das macht Regling und Schäuble offenbar keine Sorgen, auch nicht, dass das Land seit mehr als einem halben Jahr keine Regierung hat, politisch sehr instabil ist und dies vermutlich vier Jahre bleiben wird. Wegen konservativen Wahlkampfgeschenken hat die geschäftsführende Regierung schon jetzt mehr Geld ausgegeben, als für das gesamte Jahre angesetzt war. "Das Finanzministerium teilte just nach den Wahlen zur Wochenmitte mit, dass sich die Neuverschuldung in den ersten fünf Monaten allein bei der Zentralregierung auf 23,3 Mrd. € summiert habe und damit bereits über dem Budgetziel für das ganze Jahr liege", schreibt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) korrekt.

Die NZZ macht dafür vor allem rückläufige Steuereinnahmen verantwortlich. Da Madrid der EU-Kommission einen Haushalt vorlegte, mit dem angeblich die Defizitversprechen eingehalten werden, wurde ein Anstieg der Steuereinnahmen von 6% eingesetzt, damit die Rechnung aufgeht. Das war völlig unrealistisch, denn die Einnahmen sanken sogar um 2,8%. Denn Steuern wurden für Arbeitnehmer etwas gesenkt, um die Körperschaftssteuer für Konzerne sogar um weitere fünf Prozentpunkte senken zu können.

Die NZZ macht darauf aufmerksam, dass die miesen und zum Teil nur auf Stunden befristeten Jobs eben die "Schieflage" der Sozialkassen nicht verändert. Erneut musste nun ins Sparschwein der Rentenkassen gegriffen und 8,7 Milliarden Euro entnommen werden. Denn trotz angeblich steigender Beschäftigung wird das Defizit immer größer. Von den einstigen Reserven, welche die Konservativen bei der Machtübergabe der Sozialisten in Höhe von fast 67 Milliarden übernommen haben, ist mit 25 Milliarden nur noch gut ein Drittel übrig.

Doch Schäuble und Regling sorgen sich nicht um die Lage im viertgrößten Euroland, sondern um die im kleinen Portugal, das ernsthaft darauf hoffen kann, Steuerausfälle und Mehrausgaben über einen selbsttragenden Aufschwung finanzieren zu können, der insgesamt die Steuereinnahmen erhöht. Angesichts der dauernden Angriffe auf Portugal muss man sich aber nicht wundern, dass verstärkt über den Austritt aus dem Euro und/oder der EU debattiert wird.