Türkisches Parlament gewährt Militär Immunität im Kampf gegen die PKK

Cizre Februar 2016.Bild: ANF

Rasant werden in der Türkei Bürgerrechte und Pressefreiheit eingedampft und wird der Rahmen für einen schmutzigen Krieg geschaffen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 20 Juni wurden Şebnem Korur Fincancı, die Präsidentin der Menschenrechtsstiftung der Türkei (HRTF), sowie Erol Önderoğlu, der türkische Korrespondent von Reporter ohne Grenzen, und der Journalist Ahmet Nesin verhaftet. Sie hatten symbolisch zur Unterstützung der prokurdischen Zeitung Ozgur Gundem jeweils einen Tag lang die Position des Chefredakteurs eingenommen. Im Mai waren 12 Redaktionsmitglieder der Zeitung festgenommen worden, weil sie angeblich die PKK unterstützen würden. Seitdem hatten 44 Intellektuelle solidarisch die Position des Chefredakteurs eingenommen.

Auch die drei jüngst Verhafteten, die in Isolationshaft sitzen und mit Gefängnisstrafen bis zu 14 Jahren rechnen müssen, stehen unter Verdacht der Unterstützung einer Terrororganisation. Nach dem neuen Antiterrorgesetz, gegen das die EU im Rahmen der Verhandlungen über die Visafreiheit opponiert, können Unterstützer ebenso wie Mitglieder einer Terrororganisation belangt werden. Weitere Intellektuelle, die gegen die Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit und das militärische Vorgehen in den Kurdengebiete protestierten und sich mit der Zeitung solidarisch zeigten, müssen mit Anzeigen rechnen.

Falls die türkische Regierung hoffte, mit der Verhaftung für Abschreckung gesorgt zu haben, wurde sie enttäuscht. Can Dündar, der weltweit bekannt gewordene Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, der wegen Spionage und Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen sowie wegen Beleidigung des Staatspräsidenten verurteilt wurde, übernahm den Posten des Chefredakteurs, um ein Zeichen zu setzen, dass sich nicht alle einschüchtern lassen. Nach Säuberungen innerhalb des Polizei- und Justizapparats gibt es in der Türkei praktisch keine unabhängige Justiz mehr. Und wenn, wie das Verfassungsgericht im Fall von Dündar die Freilassung aus der Untersuchungshaft anordnete, macht Erdogan sogleich klar, dass er über oder neben sich keine Instanz duldet und das Urteil nicht anerkennt.

Proteste wegen der Festnahme gab es von vielen Seiten, u.a. von der EU, der US-Regierung und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, von Reporter ohne Grenzen, die gestern in Istanbul eine Protestkundgebung abhielten, oder der Internationalen Forensikexpertengruppe, deren Mitglied Fincancı ist. Sie fordert die Freilassung der drei Inhaftierten.

Fincancıs Tochter vermutet allerdings, dass es gerade die Arbeit als Menschenrechtsforensikerin gewesen sein könnte, die zur Inhaftierung führte. Im März hatte sie einen Bericht über Cizre veröffentlicht, in dem die Vermutung verstärkt wird, dass die in Kellern von zerstörten Häusern ums Leben gekommenen bis zu 178 Menschen Zivilisten waren.