Irak: Hinrichtungen als Reaktion auf monströsen IS-Terroranschlag

Hilflosigkeit und Scheuklappen beim irakischen Premierminster Abadi. CIA-Chef John O. Brennan sieht schlechte Chancen im Kampf gegen IS

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Der irakische Satelliten TV-Sender al-Sumaria berichtet von einer Order des Regierungschefs in Bagdad an seinen Justizminister, die verhängten Todesstrafen an inhaftierten IS-Mitglieder auszuführen. Al-Abadi will nach den monströsen Bombenanschlägen im Zentrum Bagdads (IS sprengt 70 bis 90 Menschen in die Luft) ein Zeichen setzen.

Aber welches Zeichen genau? Abschreckung bei einem Gegner, der seine Anschläge von Selbstmordattentätern verüben lässt? Ein Signal der Rigorosität im Kampf gegen das IS-Pandämonium, eine Verstärkung der Botschaft von Falludscha - "Wir werden siegen"?

Zivilisten unter den Opfern beim Luftangriff auf den IS-Konvoi bei Falludscha

Dort hatte die irakische Armee ihre Schlagkraft gegen den IS nach der Rückeroberung der Stadt noch einmal durch modernste Kriegsbilder dokumentiert. Die Shooter-Videos zeigten einen Luftangriff, der im Beschussstakkato Fahrzeuge eines IS-Fluchtkonvois nacheinander in Rauchwolken aufgehen ließ (Falludscha: Der kurze Sieg gegen den IS?). Allerdings handelte die irakische Armee nicht alleine, sondern auch die US-Luftwaffe war mit von der Partie.

Allen Indizien nach saßen aber auch Zivilisten in den Fluchtfahrzeugen. Selbst Berichte, die vorsichtig mit Schuldzuweisungen und voreiligen Schlüssen umgehen, liefern Hintergründe, die zu keinem Triumphgefühl Anlass geben.

Bei der Bevölkerung Falludschas, die allergrößtenteils unter miserablen Bedingungen in Flüchtlingscamps außerhalb der Stadt ausharrt, kam es gar nicht zu einem Triumphgefühl. Und seit den Bombenanschlägen in der Hauptstadt am Samstagabend kann davon gar keine Rede mehr sein. Es stellt sich die ständig wiederkehrende Frage, wie soll der Kampf gegen den IS geführt werden?

Bagdad: Mindestens 231 Tote, darunter viele Familien

Mit seiner Ratlosigkeit steht Premier Haidar al-Abbadi nicht alleine. Mindestens 231 Menschen, darunter viele Familien sind bei dem Attentat auf Anziehungspunkte des städtischen Lebens, Shopping-Center, Restaurants und andere Vergnügungsorte, ums Leben gekommen. Es war der Abend eines der letzten Ramadan-Tage. Die beiden gegenüberliegenden Gebäude an der Straße waren gut besucht.

Im Inneren des al-Layth-Gebäudes nach dem Anschlag. Mustafa Al-Khaqani

Aus den obersten Anti-Terror-Expertenkreisen in den USA werden die offensichtlichen Analysen und Formeln übermittelt: Je mehr Gebiete der IS verliert, desto mehr versucht die Organisation durch Terroranschläge ihre Macht zu zeigen, dabei greift sie auf weit verteilte klandestine Netzwerke zurück.

Formeln ohne Konsequenzen

Sie nutzt die Unberechenbarkeit eines Guerillakriegs, zu dem sich Einzelne spontan berufen fühlen können, mit allen Mitteln, die zur gerade zur Verfügung stehen. Es handle sich um eine global terrorism campaign, die neue Verwundbarkeiten anzeigt, generalisieren US-Senatoren. Der CIA-Chef John O. Brennan gebe sich in jüngster Zeit sehr offen, so die New York Times. Sein Fazit falle unverblühmt aus: Der Fortschritt im Kampf gegen den IS sei sehr langsam.

Man muss sich nur vorstellen, dass ein solch verheerender Anschlag wie in Bagdad in einer europäischen, amerikanischen oder einer anderen Großstadt passiert, die nicht im Nahen Osten liegt, um den grausigen leeren Raum zu spüren, der solche, nicht einmal falsche, Sätze umgibt. Sie führen nicht weiter, weil keine Konsequenzen zu erkennen sind.

Der irakische Premierminister bekam laut Berichten den Groll der Bevölkerung sehr deutlich zu spüren. Er wurde beim Besuch der Stätte des Anschlags ausgebuht. Ihm wurde vorgeworfen, dass er zu wenig für die Sicherheit der Bewohner unternehme. Als Kontrast wird ihm entgegengehalten, dass Politiker in der Grünen Zone Bagdads sehr wohl gesichert sind. Die Anschläge fänden immer außerhalb dieser Zone statt, in schlecht geschützten Zonen.

Der Zauberstab

Abadi reagierte darauf mit einer Reihe von neuen Sicherheitsmaßnahmen, darunter eine, die die Verzweiflung in einer grotesken Weise beleuchtet. Abadi erließ die Order, gefälschte Bombendetektoren zu verbieten. Die Geräte, die als "Zauberstab" bezeichnet werden, wurden vor Jahren von einem mittlerweile wegen Betrugs verurteilten Briten in Umlauf gebracht, was ihm laut Reuters 40 Millionen Dollar eingebracht hatte.

Sie sind aus technischer Hinsicht völlig nutzlos, doch haftet ihnen ein "Wunderglaube" an. Was ja auch bei technisch hochentwickelten Methoden der Fall sein kann. Es sei nur daran erinnert, dass die USA im Irak-Krieg im letzten Jahrzehnt bei Falludscha ein großangelegtes biometrisches Pilotprojekt starteten, von dem man sich eine Kontrolle oder Übersicht über die Stadtzugänge verschaffen wollte. Das Ziel war, Falludscha vor dem Einsickern von Radikalen zu schützen.

Ausweichen, statt konkrete Antworten

Ob Abadi mit seiner Politik nicht Radikalisierungen befördert, die dem Terrorismus zuarbeiten, wäre die interessante konkrete Frage. Hört man ihm zu, wie er auf Fragen der PBS-Reporterin Jane Arraf zu den schiitischen Hashd-Milizen in Falludscha antwortet, ist überdeutlich zu erkennen, wie er sich mit bequem geschneiderten Floskeln über unangenehme, widrige Wirklichkeiten hinwegsetzt.

Den schiitischen Hashd-Milizen wird vorgeworfen, dass sie nach der Rückeroberung Falludschas aus der Herrschaft des IS Vergeltungsaktionen begangen haben, im Schatten oder sogar im Schutz der irakischen Polizeikräfte, Brandstiftungen, Plündereien, Verhaftungen und Schlimmeres. Statt nun einen Willen zu zeigen, der auf Aufklärung lossteuert, hält es Abadi wie sein Vorgänger Maliki. Er bemäntelt aus politischen Gründen solche Untaten trotz dem widersprechenden früheren Erfahrungen, die allein schon darauf verweisen, dass dies nicht auszuschließen ist. Der Regierungschef will in keinen Konflikt mit Iran kommen. Zwischen beiden Ländern gibt es engste Verbindungen.

Ressentiments

Dass das Ziel des Attentat in Bagdad das Karrada-Viertel war, das mehrheitlich von Schiiten bewohnt wird, reiht die Mordtat ein in den Kontext der konfessionellen Spannungen, die der IS nutzt. Dass er es auf diese Art nutzen kann, hängt in einem weiter gespannten Rahmen mit der kriegslüsternen Dummheit des US-Präsidenten George W. Bush zusammen, der 2003 einen vollkommen überflüssigen, aber fatalen Krieg im Irak vom Zaun brach.

Aber dass die Spannungen weiter so brenzlig sind, liegt auch an den politischen Fehlern des derzeitigen irakischen Premierministers. Viele Sunniten fühlen sich benachteiligt, daraus entstehen Ressentiments, das probate Wirkungsfeld für Gewalttäter.