"Die Ukrainer leiden unter dem Fleischwolf der Interessen"

Uliana Kotsaba kämpft für die Freilassung ihres Mannes, der 2004 die orangene Revolution in Kiew unterstützte und jetzt wegen eines Aufrufs zur Kriegsdienstverweigerung im Gefängnis sitzt

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"Es war morgens, noch vor neun Uhr. Es klopfte an der Tür. Wir öffneten. Erst kam ein Mensch herein. Ihm folgten fünf oder sechs weitere." Uliana Kotsaba erzählt über den 7. Februar 2015. An dem Tag wurde das Haus in der westukrainischen Kleinstadt Iwano-Frankiwsk, in dem sie mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern wohnte, von ukrainischen Sicherheitskräften durchsucht. Die Beamten suchten belastendes Material gegen ihren Mann Ruslan Kotsaba, einen ukrainischen Journalisten, der im Januar 2015 per YouTube zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen hatte.

Die Bedienung bringt trockenen Weißwein und Salate. Wir sitzen zu später Stunde draußen vor der "Hofperle", einem Restaurant in Berlin-Neukölln. Uliana ist nach der Verhaftung ihres Mannes vor eineinhalb Jahren Alleinerzieherin und Ernährerin von zwei Töchtern, die neun und dreizehn Jahre alt sind. Trotzdem hat sie sich Ende Mai aufgemacht, um auf Einladung der Deutschen Friedensgesellschaft in fünf deutschen Städten über die Verfolgung ihres Mannes zu informieren.

Es ist schon 23 Uhr. Uliana hat den ganzen Tag Interviews gegeben. Und doch ist sie noch bei der Sache und beantwortet konzentriert und mit Humor meine Fragen. Wie die Hausdurchsuchung ablief? "Sie stellten alles auf den Kopf, sogar die Kinderwäsche durchsuchten sie. Was sie suchten, weiß ich nicht." Die Beamten hätten Aufzeichnungen ihres Mannes, die Festplatte seines Computers und seine gesamte Foto- und Videotechnik beschlagnahmt. Als die Durchsuchung zu Ende war, wurde Ruslan verhaftet.

Ruslan Kotsaba appelliert in der Gerichtsverhandlung Ende 2015 an das EU-Parlament. Bild: Screenshot aus dem YouTube

Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung verspricht zu helfen

Uliana hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Am Vormittag war sie bei der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, dem SPD-Mitglied Bärbel Kofler. Die versprach zu helfen. Dann gab sie ein Interview beim Deutschlandfunk und abends saß sie bei einer Solidaritäts-Veranstaltung für Ruslan Kotsaba auf dem Podium in der Galerie Olga Benario in Neukölln.

Die Strafe gegen den Kriegsdienst-Gegner ist hart. Ruslan Kotsaba wurde am 12. Mai 2016 wegen "Behinderung der Armee" zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt (Kotsabas Verteidigungsrede vor Gericht) , obwohl man ihm nicht nachweisen konnte, dass die ukrainische Armee geschädigt wurde. Die Verteidigung legte Berufung ein. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung wegen Landesverrat gefordert. Darauf steht eine Mindeststrafe von zwölf Jahren Gefängnis.

Dass sich Ruslan entschloss, öffentlich zur Kriegsdienstverweigerung aufzurufen, hatte mit seinen Erlebnissen im Krieg in der Ost-Ukraine zu tun. Im Sommer 2014 - der Hochphase des Krieges - war er dort als Journalist für den Kiewer Fernsehkanal 112 auf beiden Seiten der Front tätig. In seinem Mitte Januar veröffentlichten Aufruf zur Kriegsdienstverweigerung sagte der Journalist, er werde eher eine Gefängnisstrafe in Kauf nehmen, als auf seine Landsleute in der Ost-Ukraine zu schießen. Der Aufruf wurde bis zum Juni dieses Jahres 436.000 Mal angeklickt.

In der Anklageschrift gegen den Journalisten sind zwanzig Punkte aufgeführt. Unter anderem heißt es da, seine Tätigkeit als Journalist habe "gesellschaftsgefährdenden Charakter". Die Behauptung, die Ukraine würde Zivilisten töten, sei "Hilfestellung für ausländische Mächte". Denn Ruslan habe seine Behauptung im russischen Fernsehen wiederholt.

Tatsächlich hatte Kotsaba Ende 2014 in einer Live-Schaltung mit dem russischen Fernsehkanal Rossija 24 den Einsatz von Granaten kritisiert, weil sie unweigerlich die Zivilbevölkerung treffen. Auch hatte er den Tod von russischen Journalisten in der Ost-Ukraine bedauert und erklärt, das ukrainische Fernsehen müsse von beiden Seiten der Front berichten.

Kotsaba habe die separatistischen Militärs in der Ost-Ukraine als "Helden" bezeichnet, hieß es außerdem in der Anklageschrift. Doch auch dieser Vorwurf war konstruiert. Als "Beweis" wird ein Appell von Ruslan an die ukrainischen und separatistischen Militärs zitiert, wo es heißt, sie könnten ja den Heldentod sterben, sollten aber bitte die Zivilisten verschonen.