Europäische Geheimdienste: Intensivierte Kooperation mit Syriens Regierung

Damaskus. Foto: Soman/CC BY-SA 3.0

Die Angst vor IS-Terroranschlägen und ein eigenwilliges Ausscheren aus Vorgaben der US-Politik?

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Unterhalb der medialen Dachmarken wie "Baschar al-Assad, der Schlächter" oder "das unmenschliche syrische Regime" werden in der politischen Wirklichkeit Zwischenböden eingezogen. Dort geht es um Interessen, nicht um Öffentlichkeitsarbeit.

Wenn zum Beispiel der syrische Geheimdienstchef Deeb Zeitoun, Assads Mann für besondere Verhandlungen, nach Rom kommt, auf Einladung der italienischen Regierung. Ungeachtet der EU-Sanktionsliste der unerwünschten Syrer, wo auch sein Name stehen soll, wird ihm eine private Villa zur Verfügung gestellt - die Sache muss wichtig sein.

Treffen auf allerhöchster Ebene

Dem "ersten Besuch eines hochrangigen syrischen Sicherheitsbeamten in einer europäischen Hauptstadt" (al-Watan) folgte ein Gegenbesuch in Damaskus. Dort traf, wie Gulf News berichtet der italienische Geheimdienstchef Alberto Manenti diese Woche seine Kollegen vom syrischen Geheimdienst, um eine Anti-Terror-Kooperation zu besprechen.

Manetti hatte auch ein Treffen auf allerhöchster Ebene, mit Präsident Baschar al-Assad, mit dem Politiker, der in der westlichen Öffentlichkeit als Folterchef, Befehlsgeber von Fassbombenabwürfen und größtes Hindernis für einen friedliche Lösung des Syrienkonflikts gilt.

Nach Informationen von Gulf News soll General Ali Mamlouk, der dem nationalen syrischen Sicherheitsamt vorsteht und zum engsten Beraterkreis von Assad gehört, in diesem Sommer heimlich in Berlin gewesen sein. Wahrscheinlich ebenfalls auf Einladung. Auch er steht auf der EU-Liste der personae non gratae.

Die Datensammlung

Es ist beinahe wie im 007-Kino, wenn die Zeitung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten erklärt, dass es bei all den Gelegenheiten um wichtige files gehe. Die Syrer hätten ausführliche Informationen zu EU-Bürgern, die mit dem IS kämpfen. Einige dieser Kämpfer seien in syrischen Gefängnissen, andere noch in den umkämpften Zonen in Syrien.

Die syrische Regierung würde die Datensammlung an die Europäer weitergeben, wenn diese sich dazu entschließen, eine Normalisierung der Beziehungen zu Damaskus in Gang zu setzen. Die Übergabe der vollen Datenmenge, völlige Kooperation gebe es erst, wenn die diplomatischen Beziehungen wieder hergestellt seien.

Laut Quellen in Damaskus hätten italienische Vertreter politische Kurskorrekturen in Aussicht gestellt. Es sei die Rede davon, dass sich die EU-Außenbeauftragte als Gegenleistung zu einem Geheimdienst-Info-Austausch "innerhalb von Wochen" für die Aufhebung die EU-Sanktionen einsetzen werde.

Geheime Reisen schon früher

Neu ist die Geschichte von der Kooperation zwischen europäischen Geheimdiensten - al-Watan nennt belgische, spanische und französische Besucher in Damaskus - nicht. Schon im Dezember letzten Jahres meldete die Bild-Zeitung die Absicht, dass der BND einen Mitarbeiter in Syrien fest installieren wolle. Die Sache wurde damals noch als brisant gehandelt. Die Bundesregierung wollte auf die schriftliche Anfrage des Grünen-Abgeordneten Konstantin von Notz nichts sagen. Von Notz ahnte und kritisierte eine "Institutionalisierung der geheimdienstlichen Kooperation mit einem Regime wie dem von Assad und seinen Schergen" (BND will Zusammenarbeit mit syrischen Geheimdiensten verstärken).

Ende Mai berichtete dann die Welt von "geheimen Reisen des BND nach Damaskus. Der Leser erfuhr, dass es spätestens seit 2013 engere Kontakte zwischen Geheimdiensten der Deutschen, Briten, Franzosen und Spanier und ihren Kollegen in Damaskus gibt. Auch hier wird als konkreter Gegenstand des Interesses eine Liste erwähnt:

Nur wenige Monate später lieferte Assad eine Liste an die Europäer. Es handelt sich um eine Aufstellung der Nummern von 3800 syrischen Blanko-Reisepässen, die der IS in den Städten Rakka und Deir ez-Zour erbeutet hatte. Die Angst war groß, dass Dschihadisten die Dokumente nutzen könnten, um unerkannt nach Europa zu gelangen.

Laut Welt habe sich die Annahme mittlerweile bestätigt. Die Informationen von Assad gelten als verlässlich, trotz anfänglicher Skepsis. Als Hintergrund des Interesses wird eine Aussage des BND-Chefs Schindler aus dem Jahr 2014 zitiert:

Wir brauchen belastbare Erkenntnisse über Reisewege. (…) Wir brauchen belastbare Erkenntnisse zu Rückkehrern.

Die deutsche Zusammenarbeit mit dem syrischen Geheimdienst baut auf eine langjährige Tradition, die nie viel mit Moral am Hut hatte. Die Priorität habe nun der Kampf gegen den IS, kommentierte die Welt Ende Mai. Die Angst der Europäer und Amerikaner vor dem Terror sei ein "möglicher Steigbügelhalter für Assads Rückkehr auf die Weltbühne".

Doppelte Standards und eine Abweichung

Assad nutzte in einem kürzlichen Gespräch (nicht akzentuiert und ausführlich hier) mit einem australischen Journalisten die Gelegenheit, die moralischen Spitzen, die ihm in den Fragen entgegengehalten wurden, umzukehren:

Tatsächlich zeigt sich der generell doppelte Maßstab des Westens. Sie greifen uns politisch an und schicken uns ihre Vertreter, um "unter dem Ladentisch" zu verhandeln, speziell wenn es um Sicherheit geht, auch ihre Regierung, Sie wollen die USA nicht verärgern. Die meisten westlichen Vertreter wiederholen nur, was die USA von ihnen an Äußerungen erwarten. Das ist die Wahrheit.

Die Inkongruenz zwischen den europäischen und den amerikanischen Vertretern, die Assad hier andeutet, zeigt sich auch an einer anderen Stelle. Die Hintergrundkanäle, mit denen US-Vertreter versucht haben, mit ihm oder seiner Regierung in Kontakt zu treten, ohne sich in politische Verlegenheiten zu bringen, sehen seiner Beschreibung nach ganz anders aus - "Indirect, yes, indirect, through different channels. But if you ask them they will deny it, and we’re going to deny it. But in reality, it exists; the back channels."

Von einer Koordination mit europäischen Partnern, die geheimdienstlich mit Damaskus in Beziehungen stehen, ist da nichts zu entdecken. Es klingt, nach Darstellung Assads, so, als ob jeder seine eigenen Kontaktversuche mache.

Die interessante Frage wäre nun, ob die europäischen Geheimdienste und die amerikanischen Back-Channel-Unterhändler auf einem gemeinsamen Zwischenboden agieren oder ob sich da Interessensunterschiede abzeichnen.