Der Bundesverfassungsschutz führt das Parlament vor

Bild: Martin Rulsch/CC-BY-SA-4.0

Causa Corelli wird zur Causa Maaßen und De Maizière, der Untersuchungsausschuss ist gespalten

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Der tote V-Mann "Corelli" sorgt für immer weitere Unruhe. Woche für Woche neue Entdeckungen und Enthüllungen. Am Donnerstag musste der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, erneut vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages erscheinen. Dort stellte in nicht-öffentlicher Sitzung Reinhard Rupprecht, der vom Bundesinnenminister eingesetzte Beauftragte, der die Vorgänge in Maaßens Amt untersuchen soll, den Abgeordneten seinen Bericht vor.

Am Vortag hatte der andere Beauftragte, Jerzy Montag, der vom Parlament eingesetzt worden war, ebenfalls um den Komplex "Corelli" aufzuklären, dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) über seine neuesten Erkenntnisse berichtet. Details wurden weder am Mittwoch noch am Donnerstag mitgeteilt, nur so viel: Es gibt im BfV in Köln eine neue, wesentlich höhere Zahl von Mobiltelefonen, die der V-Mann "Corelli" benutzt hatte. Die bergen einerseits mögliche wichtige Informationen über die Arbeit des Spitzels in der rechten Szene. Andererseits zeigt sich an dem Vorgang, wie wenig die Behörde kooperiert.

Der Bundesverfassungsschutz führt das Parlament vor - könnte man sagen. Allerdings kommt das in einer Weise ans Tageslicht, wie es den Verantwortlichen nicht Recht sein kann. Neben BfV-Chef Maaßen rückt Bundesinnenminister Thomas de Maizière ins Zentrum der Kritik.

"Wesentlich mehr" als 15 von Corelli benutzte Mobiltelefone

Zweieinhalb Stunden tagte der Ausschuss mit Vertretern der Bundesregierung, des BfV und dem Sachverständigen Rupprecht, ehe die Obleute der Fraktionen Presse und Öffentlichkeit informierten. Die Sitzung war als vertraulich eingestuft, Details durften die Abgeordneten nicht nennen.

Zum Beispiel die genaue Zahl der Handys, die "Corelli" alias Thomas Richter in den etwa 20 Jahren seiner Informantentätigkeit benutzte. Bisher war von etwa 15 die Rede. Nun gebe es eine "wesentlich höhere Zahl", so der Obmann der SPD, Uli Grötsch. Er könne sich nicht vorstellen, dass die nur von zwei Personen, eben "Corelli" und seinem V-Mann-Führer, benutzt wurden.

Im Mai war eines dieser Handys vom BfV als gefunden gemeldet worden (vgl. NSU: Bundesamt für Verfassungsschutz findet Handy von totem V-Mann "Corelli"). Das hatte die aktuelle Entwicklung ausgelöst. Dieses Handy soll, so heißt es seit Wochen, von Richter während weniger Monate im Jahr 2012 benutzt worden sein. Journalisten fanden nun heraus, dass die Telefonnummer dieses Handys vom Eigentümer bereits seit 1995 benutzt worden war. Das jedoch wurde vom BfV gegenüber den Abgeordneten und der Öffentlichkeit so nie kommuniziert. Warum?

Was war sonst noch im Panzerschrank?

Immer noch sei unklar, so Irene Mihalic, Obfrau der Grünen, was sich alles in dem Panzerschrank des Beamten, der "Corelli" führte, befunden hat. Neben Handys wohl jede Menge anderer Gegenstände. Die Verantwortung für das "Chaos in den Panzerschränken" des BfV liegt ihrer Ansicht nach aber nicht auf der untersten Ebene der Behörde, sondern ziehe sich durch alle Ebenen - "bis zur Amtsleitung".

Während der Obmann der CDU, Armin Schuster, Amtschef Maaßen wiederholt in Schutz nahm ("3000 Panzerschränke muss ein Amtsleiter nicht persönlich kennen") und erwähnte, dass keiner der beiden Beauftragten, Jerzy Montag und Reinhard Rupprecht, eine unmittelbare Verantwortung der Amtsleitung für die Missstände sehe, ging der SPD-Mann Grötsch sogar einen Schritt weiter: Er sieht die politische Verantwortung für die Vorgänge um "Corelli" im Hause Maaßen bei Bundesinnenminister De Maizière.

Eine andere Differenz zwischen den Abgeordneten hat noch mehr Gewicht: Stand der V-Mann "Corelli" in Verbindung zum NSU-Trio, zu den Angeklagten in München oder zum Umfeld des NSU? Das Bundesamt für Verfassungsschutz bestreitet das wiederholt kategorisch. Tatsächlich sind mehrere Bezüge "Corellis" zum NSU belegt. So sein persönlicher Kontakt mit Uwe Mundlos, seine Telefonnummer auf dessen Adressliste und jene CD mit der Cover-Aufschrift "NSU/NSDAP", von der Richter mindestens zwei Fassungen in seinen Händen hatte (vgl. NSU: Bundesamt für Verfassungsschutz findet Handy von totem V-Mann "Corelli").

"Wir definieren selbst, was NSU-Bezug bedeutet"

Über diese Berührungspunkte hinaus, so der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger, CDU, sei anhand der vorgefundenen "Kommunikationsmittel", also der Handys, allerdings "kein weiterer direkter Bezug Corellis zum NSU belegbar". Die Aussage Binningers verwundert vor allem deshalb, weil noch nicht alle der Handys ausgelesen und ausgewertet sind, wie auch Binninger einräumte: "Wir haben noch nicht alle Erkenntnisse. Wir müssen die Auswertung der restlichen Handys abwarten." Mit einem Überblick rechnet er erst nach der Sommerpause.

Mit der Frage, ob "Corelli" Kontakt zum NSU hatte, deutet sich ein entscheidendes Konfliktfeld im Untersuchungsausschuss an - und ein potentielles Delegitimationsfeld des Gremiums. Denn Schuster warf die Frage auf, wie lange sich der Ausschuss noch dem V-Mann "Corelli" widmen könne. Sich mit dem BfV allein zu befassen, sei nicht dessen Untersuchungsauftrag. Und wörtlich: "Wenn nicht bald ein Bezug hergestellt werden kann, ist fraglich, ob sich der Ausschuss noch länger damit beschäftigen kann." Und ob es "30, 24 oder 19 Handys" gewesen seien, die der Mitarbeiter des Nachrichtendienstes benutzte, spiele keine Rolle mehr - "das ist dann Regierungshandeln!"

Die Obfrau der Linken, Petra Pau, sieht das anders. Aufgabe des Untersuchungsausschusses sei es herauszufinden, was für ein Umfeld das NSU-Kerntrio besaß und welche Behörde was von diesem Umfeld und den Taten des NSU wusste. Mit der Floskel "Kein NSU-Bezug" werde vom BfV versucht, diese Zusammenhänge zu verschleiern. Der Sozialdemokrat Uli Grötsch reagierte geradezu ärgerlich auf den kategorischen Einwand vom fehlenden NSU-Bezug: "Wir definieren selbst, was NSU-Bezug bedeutet und niemand anderer!", sagte er wörtlich.

Thomas Richter alias V-Mann "Corelli" war 2012 nach dem Auffliegen des NSU-Trios Böhnhardt. Mundlos, Zschäpe vom BfV abgeschaltet und in ein Zeugenschutzprogramm überführt worden. Im April 2014 starb er plötzlich. Die Todesursache wird zur Zeit neu untersucht. Nach Ansicht von Ausschussmitglied Schuster habe es sich bei "Corelli" um eine "extrem wertvolle und außergewöhnlich ergiebige Quelle des BfV" gehandelt. Er habe dazu beigetragen, die rechtsextreme Szene aufzuklären und auch Zugriffe, sprich Festnahmen, ermöglicht. Schuster spekulierte, ob dieser Erfolg des BfV Grund dafür war, dass "die eine oder andere Vorschrift keine Anwendung fand".

Sind die Differenzen zwischen den Abgeordneten Ergebnis des politischen Drucks, dem sie mehr und mehr ausgesetzt sind? Seit Beginn des Ausschusses betonen sie immer wieder ihre Einigkeit. Die prägte vor allem Ausschuss Nummer 1, der von 2012 bis 2013 getagt hatte. Wehrlos gegenüber der Exekutive sind Untersuchungsausschüsse nicht. Warum sichern sie zum Beispiel nicht die Dutzende von Geräten des V-Mannes "Corelli" und lassen sie unabhängig auswerten? Um das zu tun, muss man nicht einmal dem BfV sein Misstrauen erklären, es reicht, sich als unabhängiges Organ der parlamentarischen Demokratie zu begreifen.