Ein semantischer Krieg statt einer Diskussion über Inhalte

Interview mit Daniele Ganser. Die ganz neue Unübersichtlichkeit - Teil 4

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Sie stehen seit ein, zwei Jahren in der Kritik von etablierten Medien und werden dabei zum Beispiel von Markus Linden, Politikwissenschaftler in Trier, kritisiert. Was sagen Sie zu dieser Kritik von wissenschaftlicher Seite?

Daniele Ganser: Den Herrn Linden habe ich noch nie getroffen, ich kenne ihn nicht. Es wäre besser, wenn er sich direkt zu einer Fachfrage äußern würde, statt mich als Person anzugreifen. Ich bin gerne bereit mit ihm über den Irakkrieg, über Erdöl, über die Ukraine oder auch über 9/11 zu diskutieren. Und es ist auch absolut in Ordnung, dass man am Schluss nicht die gleiche Meinung hat. Man sollte dann aber nicht auf die Person zielen, sondern bei der Sache bleiben.

Es ist nicht so, dass in der Forschung nicht über Rohstoffkriege gesprochen wird. Der amerikanische Politologe Michael Klare hat zum Beispiel viel zum Thema Rohstoffkriege publiziert, und der amerikanische Journalist Jeremy Scahill hat mit seinem neuen Buch "Schmutzige Kriege" aufgezeigt, wie die verdeckte Kriegsführung heute funktioniert.

Ohne in eine Verschwörungstheorie zu verfallen, wie erklären Sie sich, dass Sie in Ungnade gefallen sind? Einfach durch Ihre Inhalte her?

Daniele Ganser: Ich bin nicht in Ungnade gefallen, im Gegenteil, die Nachfrage nimmt stetig zu. Meine Vorträge und Bücher stoßen auf immer größeres Interesse, tatsächlich komme ich mit der Arbeit fast nicht mehr nach und wäre froh, wenn es wieder etwas ruhiger wäre wie früher. Es ist auch nicht so, dass ich nur negative Feedbacks erhalte. Vor meinem Vortrag in München war ich im April 2016 in Bonn und erhielt dort von Mensa, dem Verein für Hochbegabte, den Deutschen IQ-Preis 2015 in der Kategorie "Intelligente Vermittlung von Wissen".

In Ungnade bin ich nur bei einigen Medien wie der Münchner Abendzeitung und der Süddeutschen Zeitung gefallen, die versuchten, mich zu diffamieren. Ich glaube der Grund ist 9/11. Ich habe ja zur Kubakrise gearbeitet und das hat man ganz freundlich zur Kenntnis genommen, da gab es keine Opposition. Dann habe ich zu der NATO-Geheimarmee gearbeitet, der "Spiegel" hat damals meine Forschung gelobt und eine Doppelseite gemacht, als mein Buch erschien. Das ging alles.

Erst nach 2006, als ich mich zum ersten Mal kritisch zu 9/11 geäußert habe, haben verschiedene Medien versucht, mich anzugreifen. Das bin ich jetzt seit zehn Jahren gewohnt. Auf meinem Wikipedia-Eintrag tobt ein Edit War, der Eintrag wird immer wieder umgeschrieben und gesperrt, es gibt sogar einen Film zum Thema mit dem Titel "Die dunkle Seite der Wikipedia", der zeigt, wie der Machtkampf dort läuft. Ich finde die ganzen Angriffe auf meine Person einfach nicht sachlich.

Hat dies auch damit zu tun, dass es an der Universität schwierig ist diese Themen anzupacken?

Daniele Ganser: Ja, die Universitäten in Deutschland und auch in der Schweiz tun sich schwer mit dem so genannten Krieg gegen den Terror und mit 9/11 im speziellen. Ich unterrichte derzeit an der Universität St. Gallen, bin dort Dozent im Bereich Geschichte und Zukunft von Energiesystemen. Ich habe zuvor auch an der Universität Basel, an der Universität Luzern und an der Universität Zürich Zeitgeschichte unterrichtet.

Als ich an der ETH Forschungsstelle für Sicherheitspolitik in Zürich arbeitete, habe ich 9/11 untersucht und 2006 einen Artikel über den Streit um den 11. September im "Tagesanzeiger" verfasst und dann hat eben die amerikanische Botschaft interveniert und gesagt, Schweizer Wissenschaftler sollen sich bitteschön nicht kritisch zu 9/11 äußern. Und das geht einfach nicht, hier geht es um die Forschungsfreiheit. Und dann hatten wir an der ETH interne Gespräche, ob man dieses Thema weiter verfolgen kann oder nicht und ich habe mich dann entschieden, von der ETH wegzugehen und an der Universität Basel weiterzuarbeiten.

Sie sind der Meinung, dass dieser Umschwung in der öffentlichen Meinung seit diesem Zeitpunkt stattfand, als Sie sich kritisch zu 9/11 äußerten?

Daniele Ganser: Ja.

Stellen Sie eine Veränderung fest, wie die Medien in Deutschland über Sie berichten?

Daniele Ganser: Mal positiv, mal negativ, ich denke das wird immer so bleiben. Wichtig ist, dass ein Historiker seine Unabhängigkeit wahrt, und da kann ich sagen, ich habe das in den vergangenen 20 Jahren immer gemacht, ich war immer ein unabhängiger Historiker, vielleicht auch ein unbequemer Historiker. Und das ist in Ordnung.

Im Dritten Reich hätte man unbedingt unbequem sein müssen und auch unter der Diktatur von Pinochet hätte man Krieg und Folter kritisieren müssen. Heute haben wir wieder Krieg und Folter, und das alles wird mit dem Begriff "Terrorbekämpfung" legitimiert. Die Angriffskriege auf Irak, Syrien und Afghanistan sind ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates erfolgt, daher sind sie illegal, und Deutschland ist am Afghanistankrieg und am Syrienkrieg beteiligt. Das muss man doch kritisieren dürfen.

Das Fazit eines Historikers aus dem Zweiten Weltkrieg ist, dass wir nicht wieder in Kriege abdriften dürfen. Daher werde ich immer ein kritischer Historiker sein und mich in der Friedensforschung engagieren, auch wenn das immer wieder Gegenwind gibt.

Wie lebt es sich als kritischer Historiker?

Ich lebe von den Vorträgen und der Uni St. Gallen. Das sind die beiden Einkünfte, die ich habe. Ich brauche nicht viel, ich kann mit wenig auskommen. Ich lese viel, aber die Bücher sind billig.

Noch einmal zum Anfang, zum Vorwurf der "Querfront". Sagt Ihnen der Begriff etwas?

Daniele Ganser: Ich habe davon vor vielleicht einem Jahr gehört, dass es diesen neuen Begriff gibt, aber ich kann damit nichts anfangen. Querfront ist etwas Schlechtes, das ist wohl die Idee. Ich denke, da handelt es sich - ähnlich wie beim Begriff "Verschwörungstheoretiker" - um einen Kampfbegriff. Das ist eine Metadiskussion, ein semantischer Krieg, man sollte besser die Inhalte diskutieren.