Türkei will Beziehungen zu Syrien normalisieren

Erdogan und Putin wieder gute Freunde wie im Juni 2015, bevor der russische Kampfjet von einem türkischen abgeschossen wurde. Bild: Kreml

Regierungschef Binali Yıldırım kündigte an, nach Russland und Israel auch mit Syrien einen Wiederannäherungsprozess einzuleiten

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Staaten, die wie die Türkei mehr oder weniger von einem Einzelnen und seiner Machtgruppe gelenkt werden, können abrupt ihre Politik verändern. Das führt nun der türkische Präsident Erdogan wieder vor, nachdem er bereits nach einem langen Konflikt die Beziehungen zu Israel und vor allem die zu Russland wieder aufgenommen hat. Jetzt scheint er wahrscheinlich auch nach der Wiederannäherung an Moskau die bislang gepflegte Syrienpolitik auf den Kopf stellen zu wollen.

Interessant ist, dass in allen Ländern mit Erdogan, Putin, Netanjahu und Assad "starke" Männer am Ruder sind, die relativ solitär Entscheidungen mit weitreichenden Folgen treffen können. Offenbar ist Erdogan, der die Türkei zunehmend isolierte, diese in den Krieg mit den Kurden führte und islamistische Gruppen in Syrien unterstützte, den IS zumindest als Gegenspieler zur kurdischen YPG duldete, das Land einer wachsenden Terrorgefahr aussetzte und wirtschaftliche Einbußen in Kauf nahm, in Bedrängnis geraten.

Man darf annehmen, dass die Wiederannäherung an Moskau auch mit Gesprächen über die Syrien-Politik einherging. Zu vermuten ist, dass Russland die Unterstützung der Kurden in Syrien zurückfährt und dass sich Ankara zur Eindämmung der YPG bzw. SDF, auf die trotz aller türkischen Einsprüche die USA etwa bei der Offensive auf Manbij setzen, nicht mehr auf die schwächelnden so genannten Oppositionsgruppen stützt, sondern auf die syrische Armee (Syrische Armee kontrolliert die Versorgung für Aleppo). Vermutlich wird es einen Deal geben, durch den verhindert werden soll, dass die Kurden das gesamte Gebiet an der türkischen Grenze einnehmen und den noch bestehenden Korridor nach Aleppo schließen können. Das wäre sowohl für den IS als auch für die syrischen islamistischen Gruppen wie al-Nusra ein schwerer strategischer Verlust, aber die Kurden hätten dann mit einem geschlossenen Gebiet Rojava die Möglichkeit, einen eigenen Staat oder zumindest eine große Autonomie zu erreichen, was Ankara mit allen Mitteln zu verhindern sucht.

Erdogan schickte also seinen Regierungschef vor, um gestern erstmals seit 2011, als der Aufstand gegen die Assad-Regierung begann, über das Fernsehen anzukündigen, dass "wir unsere Beziehungen intern und extern erweitern werden. Wir haben das bereits außenpolitisch begonnen, als wir die Beziehungen mit Israel und Russland normalisiert haben. Ich bin sicher, dass wir auch unsere Beziehungen mit Syrien normalisieren. Wir brauchen dies. Damit der Kampf gegen den Terrorismus erfolgreich sein wird, muss in Syrien und im Irak wieder Stabilität einkehren."

An dieser Stabilität war der türkischen Regierung seit 2011 gerade nichts gelegen, daher ist die Kehrtwende, nun mit der Assad-Regierung Gespräche aufzunehmen und damit geopolitische Änderungen vorzunehmen, auch so erstaunlich. Die Zeitung Asharq Al-Awsat hatte allerdings bereits vor einigen Tagen berichtet, dass die Türkei nach Informationen aus dem türkischen Außenministerium eine Übergangszeit für Präsident Assad von einem halben Jahr akzeptieren könnten, um eine internationale Übereinkunft, vor allem mit Russland und den USA, zu erreichen.

Das müsste tatsächlich auch schnell geschehen, denn wie die US-Außenpolitik mit einem neuen Präsidenten, vor allem wenn es Trump wäre, steht in den Sternen. Zudem will die Türkei wieder an die gescheiterten Bemühungen von Erdogan anknüpfen, eine, wenn nicht die wichtigste Regionalmacht zu werden. So lässt sich denn auch die Äußerung von Yildirim verstehen: "Unser größtes und unwiderrufliches Ziel ist, gute Beziehungen zu Syrien und zum Irak sowie zu allen unseren Nachbarn zu entwickeln, die das Mittelmeer und das Schwarze Meer umgeben."

Ob das gute Beziehungen zu Deutschland einschließt, muss vorerst bezweifelt werden. Angeblich finden bereits Gespräche zwischen der türkischen und syrischen Regierung statt - im Iran, das im Boot mit Syrien und Russland, aber auch mit der irakischen Regierung sitzt. Die Annäherung dürfte daher weder der syrischen Opposition noch Saudi-Arabien und den Golfstaaten gefallen, die bislang im Hinblick auf Syrien mit der Türkei paktierten.

Offenbar war die Verwunderung über die Kehrtwende doch so groß, dass Yildirim heute nachlegte und erklärte, dass erst Assad gehen müsste, bevor sich etwas an den Beziehungen zu Syrien verändern könne: "Wenn nicht Assad geht, wird sich in der Türkei nichts ändern. Der Hauptgrund dafür, dass sich die Dinge so entwickelt haben, war Assad." Man könne sich nicht zwischen dem IS und Assad entscheiden, beide müssten gehen. Auch der IS in Syrien besiegt wäre, wären die Probleme nicht gelöst, wenn Assad an der Macht bliebe. Es würde nur eine andere Terrororganisation hervortreten, so Yildirim, da Assad den IS geschaffen habe und er seine eigenen Bürger in den Tod schickt.

Es wird also, wenn Erdogan nun tatsächlich mit Russland versucht, an einer Lösung des Kriegs in Syrien mitzuwirken, auf eine Übergangszeit für Assad hinauslaufen. Dem könnten sich eigentlich auch die USA nicht wirklich dauerhaft entgegensetzen, zumal dann nicht, wenn mit einem Zusammenschluss von Ankara, Moskau, Damaskus, Teheran und Bagdad bei der Syrien-Politik die amerikanische Position - und damit auch die der Nato-Länder - die deutlich schwächeren Karten hat.