Italien: Wenn am Grundgesetz gerüttelt wird

Mit dem Verfassungsreferendum soll die politische Struktur des Landes geändert, entschlackt und zentralisiert werden

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Im Oktober werden die Italiener per Referendum über die geplante Grundgesetzänderung entscheiden, die den Namen der Ministerin für Verfassungsreformen und Beziehungen zum Parlament, Maria Elena Boschi, trägt. Zwar geht es darin hauptsächlich um innenpolitische Angelegenheiten, doch könnte ein Rücktritt Renzis auch internationale Auswirkungen haben.

Abgeordnetenkammer und Senat haben die Reform in doppelter Lesung bereits genehmigt. Sie muss nun das Plazet der Bürger erhalten, wobei sowohl Boschi als auch Renzi, bei einem negativen Ausgang des Volksentscheids, ihren Rücktritt angekündigt haben.

Das konstitutionelle Referendum, dessen Gültigkeit quorumunabhängig ist (es müssen also nicht 50% plus einer der Wahlberechtigten abstimmen), muss binnen drei Monaten nach der parlamentarischen Genehmigung der Revisionen abgehalten werden.

Die Reform will die institutionelle Struktur des Landes ändern und sieht vor allem das Ende des angeblich antiquierten Zweikammersystems vor. Bis jetzt sah sowohl die ordentliche als auch die konstitutionelle Gesetzgebung eine Zustimmung beider Kammern vor und auch die Vertrauensfrage wird von der Regierung an beide Kammern gestellt.

Nach der Reform wird die Abgeordnetenkammer die einzige Versammlung sein, die in allgemeinen und direkten Wahlen von den Bürgern gewählt wird. Sie allein wird die ordentlichen Gesetze und das Haushaltsgesetz verabschieden und nur an sie wird die Vertrauensfrage gestellt werden.

Der Senat wird zu einem reinen Vertretungsorgan der Regionen deklassiert und anstelle der aktuellen 315, werden nur hundert, nicht mehr direkt von den Bürgern gewählte Senatoren sitzen.

Weitere fünf Senatoren werden für sieben Jahre vom Staatspräsidenten ernannt. Abgesehen von den ehemaligen Präsidenten der Republik wird es also keine Senatoren auf Lebenszeit mehr geben. Der Senat wird hauptsächlich als Bindeglied zwischen Staat, Regionen und Kommunen fungieren.

Der von der Verfassung eingerichtete Nationalrat für Wirtschaft und Arbeit (Consiglio nazionale per l’economia e il lavoro), der auch die Gesetzesinitiative ergreifen darf, soll mitsamt seiner 64 Direktoren abgeschafft werden.

Etwa zwanzig Bereiche - darunter: Umwelt, Hafen- und Flughafenverwaltung, Transport und Schifffahrt, Energieerzeugung und -verteilung, Beschäftigungspolitik, Arbeitsschutz, Berufsregelung - werden wieder in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Staates zurückgeführt. Italien hat nun mal kein föderales System und die Regionen besitzen keine eigene Staatsgewalt.

Änderungen betreffen auch den Wahlmodus des Staatspräsidenten, das Quorum für aufhebende Volksentscheide und den Gesetzentwurf durch Volksinitiative.

PD-Vorsitzender macht Regierung nicht vom Ausgang des Referendums abhängig

Wie man sieht, handelt es sich durchaus um ein einschneidendes Manöver, das das gesamte Politikgebilde Italiens vereinfachen und vielleicht stabilisieren würde. Es zeichnet sich allerdings auch eine zunehmende Zentralisierung ab, deren Akzeptanz von Seiten der Regionen keineswegs garantiert ist.

Mit dem Ausgang des Referendums verbindet Renzi sein eigenes politisches Schicksal und das der Regierung, was der ehemalige Vorsitzende des Partito Democratico Pierluigi Bersani vor einigen Tagen als einen schweren politischen Fehler bezeichnet hat.

"Ich bin für die Reform der Verfassung, doch man sollte aus ihr nicht eine Art kosmisches Ereignis machen, vom dem das Schicksal der Regierung, der Partei oder gar des ganzen Landes abhängt", so Bersani. "Jetzt versucht man verbal das Ganze zu schmälern, was auch gut ist. Niemand will, dass Renzi geht und die Regierung riskiert nichts."

Bersani kritisiert allerdings sowohl Renzis "Personalisierung" als auch seine Überzeugung, dass man neue Wähler gewinnt, wenn man die Brücken nach links abbricht.

"Das funktioniert so nicht", sagt Bersani. "Die italienische Regierung ist aus verschiedenen Gründen geschwächt. Die Mehrheit der Italiener leidet immer unter den Folgen der Wirtschaftskrise und ein Teil der linken Wähler ist sicher enttäuscht." Er betont jedoch: "Ich sehe nicht das Risiko, dass diese Regierung instabil werden könnte."

M5S plant "Nein"-Kampagne

Nach dem Brexit stellt das italienische Verfassungsreferendum Europas gröβtes politisches Risiko dar, denn die Bevölkerung tendiert zum Movimento 5 Stelle und die Euro-Skepsis steigt an, was potentiell auch zu einer Abstimmung gegen die EU führen könnte.

Der M5S beabsichtigt nach der Sommerpause eine Kampagne für das "nein" zu starten, ohne jegliche Zugeständnisse an Renzi und seine Referendum-Propaganda. Sie wollen die Boschi-Reform einfach boykottieren. Eine andere Vorgehensweise würden die Grillini, die instinktiv alles beanstanden, was von Renzi kommt, unabhängig davon, ob es gut oder schlecht ist, wahrscheinlich auch nicht akzeptieren. Das erinnert ganz an die Kontroversen vergangener Zeiten zwischen Berlusconi und den Linken.

Zuerst will der M5S Renzi besiegen und ihm mit dem Referendum den endgültigen Schlag versetzen, der ihn zwingen würde, sich zurückzuziehen. Danach würde es zwischen dem M5S und Palazzo Chigi kein Hindernis mehr geben und der Weg an die Macht würde definitiv geebnet sein.