Ukraine: Ein Bier nach dem Freispruch für Kriegsdienstverweigerer

Der ukrainische Journalist und Kriegsdienstverweigerer Ruslan Kotsaba wurde in einer Berufungsverhandlung freigesprochen. Ein gutes Zeichen für andere politische Gefangene?

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Rührende Momente am vergangenen Donnerstag im Saal des Berufungsgerichtes der westukrainischen Stadt Iwano-Frankiwsk. Mit Tränen der Freude verlässt der ukrainische Journalist Ruslan Kotsaba den Glaskäfig und beantwortet als freier Mann den Journalisten Fragen. Dann umarmt er seine Frau Uliana und genießt im Restaurant Rondeli ein schönes, frisches Bier.

Ruslan Kotsaba unmittelbar nach der Freilassung. Screenshot aus dem YouTube-Video

Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt

Das Berufungsgericht hat den Journalisten vom Vorwurf der "Behinderung der Streitkräfte" vollständig freigesprochen. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme der Beweisaufnahme, wurde vom Gericht abgelehnt. Damit wurde auch die Forderung der Staatsanwaltschaft nach einer Gefängnisstrafe von 13 Jahren für Kotsaba hinfällig.

Der 49jährige Journalist war seit 18 Monaten Haft in Haft gewesen. Am 12. Mai 2016 hatte ihn ein Gericht im westukrainischen Iwano-Frankiwsk wegen "Behinderung der Streitkräfte" zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Anlass der Verurteilung war ein YouTube-Aufruf von Kotsaba vom 23. Januar 2015, in dem er sich persönlich an den ukrainischen Präsidenten wendet und alle Ukrainer auffordert, Einberufungen zur Armee nicht zu folgen (Ukrainischer Geheimdienst verhaftet ukrainischen Journalisten).

"Schock und Euphorie" zu gleicher Zeit

Wie der Freigelassene gegenüber der Website Strana.ua erklärte, befinde er sich "im Schock und in Euphorie". Er könne noch nicht glauben, dass man ihn freigelassen habe. In der Nacht vor der Berufungsverhandlung habe er geträumt, dass man ihn zu zwölf Jahren Haft verurteilt habe.

Nun werde er auf Wiedergutmachung für die eineinhalb Jahre klagen, die er im Gefängnis verbracht hat. Zu seiner Zukunft sagte Ruslan, wenn er in der Ukraine nicht wieder als Journalist arbeiten könne, werde er sich der Menschenrechtsarbeit widmen. Im Gefängnis habe er gesehen, "wie viele Menschen mit zerbrochenen Schicksalen hinter Gittern sitzen".

Hoffnung auf weitere Freisprüche

Tatjana Montian, die Anwältin des Freigelassenen, hatte sich noch vor wenigen Tagen skeptisch gegenüber der Möglichkeit eines Freispruchs geäußert. Am Donnerstag erklärte Montian dann in einem Telefongespräch mit dem Autor dieser Zeilen, der Freispruch hänge mit dem öffentlichen Druck aus Europa zusammen. Immerhin hätten 21 Abgeordnete des Europäischen Parlaments (aus linken und liberalen Fraktionen) die Verurteilung von Kotsaba als Angriff auf die Meinungsfreiheit verurteilt. Außerdem hatte Montian eine Klage beim Europäischen Gericht für Menschenrechte eingereicht.

Eine Begründung des Freispruchs für Kotsaba liegt seiner Anwältin noch nicht vor. Falls in der Urteilsbegründung stehe, dass jeder Mensch das Recht auf eine eigene Meinung habe, werde es "hunderte Rechtsanwälte von politischen Gefangenen geben, welche sich auf das Urteil berufen werden", sagte die Anwältin Montian gegenüber dem Internet-Portal Strana.ua. "Hunderte werden dann freigelassen".

Das positive Echo auf die Freilassung in den sozialen Netzwerken und unter Menschenrechtlern ist groß. Denis Kriwoschejew, stellvertretender Direktor von Amnesty International in der Region Europa und Zentralasien, erklärte: "Der Freispruch des Journalisten Ruslan Kotsaba ist die langerwartete Wende in der Arbeit des ukrainischen Justizsystems." Die Entscheidung des Gerichtes zeige, dass die "Achtung der Meinungsfreiheit in der Ukraine keine leeren Worte sind und die Gerechtigkeit siegen kann."

Die Argumentation der Verteidigung

In seiner Video-Botschaft an den ukrainischen Präsidenten vom Januar 2015 hatte Kotsaba erklärt, er werde "nicht in den Bürgerkrieg gehen, um meine Landsleute, die im Osten leben, zu töten". Mit dieser Aussage rüttelte der Journalist heftig an dem nationalistischen Ideologie-Gerüst der neuen Macht in Kiew. Denn diese behauptet, dass es keinen Bürgerkrieg in der Ukraine gibt, dass man nur gegen "Terroristen" und "russische Soldaten" kämpft und dass nicht die ukrainische Armee, sondern "Terroristen" Wohnviertel beschießen. Die Führung in der Ukraine vermied es auch von Krieg zu sprechen, weil das den sozialen Status der ukrainischen Soldaten deutlich verbessert hätte. Verwundete hätten einfacher Entschädigungen beanspruchen können.

Die Verteidigerin, Tatjana Montian - sie ist in der Ukraine häufiger Gast in Fernseh-Talkshows -, hatte die Nichtausrufung des Kriegszustandes in der Ukraine zum Kernpunkt ihrer Berufungsklage gemacht. Wenn Kozaba öffentlich zur Verweigerung des Kriegsdienstes aufrufe, stehe er auf dem Boden der Gesetze, erklärte die Verteidigerin. Denn der ukrainische Präsident habe weder einen Kriegszustand mit Russland noch einen inneren Notstand ausgerufen, der die Einschränkung der freien Meinungsäußerung möglich mache. Kotsaba könne das Recht der freien Meinungsäußerung für sich in Anspruch nehmen und brauche sich vom Gericht nicht vorwerfen lassen, er wollte die staatliche Ordnung in der Ukraine "untergraben".

Merkwürdiges Verständnis von "journalistischer Ethik"

Wenn die ukrainische Führung von einer "Annexion der Krim" und "russischen Truppen" in der Ost-Ukraine spreche, hätte sie längst den Kriegszustand mit Russland oder einen Notstand ausrufen müssen, so die Anwältin. Wenn das nicht geschehen sei, halte die Macht der Ukraine "Russland in Wirklichkeit nicht für einen Aggressor, oder sie kann sich nicht vorstellen, gegen diese Aggression Widerstand zu leisten", schrieb Montian in der Berufungsklage.

Die Erklärung von Kotsaba, in der Ost-Ukraine befänden sich "fast keine russischen Soldaten", versuchte das Gericht mit Zeugenbefragungen zu wiederlegen, allerdings ohne Erfolg, so die Verteidigerin. Die Angaben der vom Gericht befragten Zeugen über angebliche russische Beschießungen in der Ost-Ukraine blieben nebulös und ohne Details.

Die Anwältin monierte auch die "Voreingenommenheit und Politisierung" des Gerichts. Dieses hatte Kotsaba in dem Urteil der ersten Instanz vorgeworfen, dass er die Anwesenheit russischer Truppen in der Ost-Ukraine nicht als feststehende Tatsache anerkenne. Damit habe er gegen die "journalistische Ethik" verstoßen.

Freispruch mit bitterem Beigeschmack

Der Freispruch für Kotsaba kann man wohl kaum auf eine Renaissance rechtsstaatlicher Zustände in der Ukraine zurückführen und auch nicht auf einen neuen, demokratischen Kurs des ukrainischen Präsidenten, Petro Poroschenko. Es spricht einiges dafür, dass der Westen seinen Einfluss auf die ukrainische Führung genutzt und Druck ausgeübt hat, um das peinliche Kapitel "Inhaftierung eines Journalisten, der noch 2004 für die orangene Revolution kämpfte" abzuschließen. Dieses Thema kann der Ukraine im Westen nur Minuspunkte bringen. Also hat man das Strafverfahren schnell und geräuschlos beendet.