Ukraine: Jetzt läuft die "Russische Welt"

Zehntausende orthodoxe Christen pilgern auf Friedensmärschen nach Kiew. Ukrainische Regierung und Rechter Sektor sehen Kreml am Werk

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Erstmals gibt es in der Ukraine einen nationalen Friedensmarsch der orthodoxen Kirche. In drei Teil-Prozessionen bewegt sich der "gesamtukrainische Kreuz-Marsch für Frieden, Liebe und Gebet" mit mehreren zehntausend Teilnehmern auf Kiew zu.

Während der aus Osten kommende Marsch bereits am 3. Juli am Kloster Swjatogorsk bei Slowjansk begann, startete die Prozession aus der Westukraine am 9. Juli vom Kloster Potschajiw aus. Drei Tage später begann aus südlicher Richtung ein weiterer Friedensmarsch in Odessa. Die drei Prozessionen sollen sich am 26. Juli in Kiew vereinigen und tags darauf im Petschersker Lavra, dem fast 1000 Jahre alten Höhlenkloster, eine große abschließende Liturgie feiern. Ziel des ersten gesamtukrainischen Marsches sei der Aufruf zum Frieden, sagte Wassili Anisimow von der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats.

Start der Prozession am 12. Juli in Odessa mit einer Messe vor und in der Kathedrale. Bild: eparhiya.od.ua

In Potschajiw, dem zweitrößten ukrainischen Kloster, starteten nach verschiedenen Angaben 5.000 bis 10.000 Pilger. Am Kloster Swjatogorsk waren es rund 1.500. In jedem Ort, den sie durchqueren, treffen die Züge auf lokale Prozessionen, die sich ihnen anschließen. Viele der Gläubigen laufen jedoch nur ein Teilstück mit. So dass, die Gesamt-Teilnehmerzahl schwankt. In der Großstadt Charkow sollen es bereits 10.000 Menschen bei der östlichen Prozession gewesen sein. Die Pilger übernachten unterwegs in Klöstern bzw. in Zelten auf dem dortigen Gelände. Versorgt werden sie unter anderem von den Klosterküchen.

Rechter Sektor und Kiewer Patriarchat poltern

Die Prozessionen werden von der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats organisiert. Dies ruft, genauso wie überhaupt schon die Idee, einen Friedensmarsch auf Kiew zu veranstalten, vor allem nationalistische Kräfte als Gegner auf den Plan. Mitglieder des Rechten Sektors platzierten sich bereits mehrmals entlang der Routen, zeigten ihre schwarz-roten Fahnen und provozierten die Pilger mit Plakaten und Pöbeleien. Nationalistische Demonstranten in der Region Poltawa bezeichneten etwa die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats auf Plakaten als "Fünfte Kolonne des Kreml" und "bedankten" sich bei dem Patriarchat "für den Krieg".

Das Kiewer Patriarchat der ukrainisch-orthodoxen Kirche äußerte sich ebenfalls abfällig. Es sei kein Gebet für Frieden, sondern ein "Marsch der russischen Welt" und des Anti-Maidan. "Die Leute haben Angst davor", sagte Erzbischof Jewstratij Sorja. "Sie fürchten, dass unter dem Deckmantel einer religiösen Prozession in der Hauptstadt Tituschki (angebliche bezahlte Schläger des Anti-Maidan) und Agenten einfallen."1

Auch rechte Politiker äußerten ihren Argwohn gegen die Prozessionen: Eigentlich steckten russische Behörden hinter den Märschen und versuchten durch deren Zusammenführung Unruhen in der Hauptstadt auszulösen, behauptete der Rechtsradikale und frühere Maidan-Kommandant Andrij Parubij, der es mittlerweile bis zum Parlamentspräsidenten gebracht hat. Der Kreml versuche, die Ukraine zu destabilisieren und künstlich eine politische Krise herbeizuführen. "Wir sind Zeugen, wie eine religiöse Organisation, die ihr geistiges Zentrum im Land des Aggressors hat, eine große Zahl von Gläubigen mobilisiert, sie nach Kiew bringt und das 'Friedens-Prozession' nennt." Zu der Kirche gehört etwa jeder fünfte Gläubige in der Ukraine.

2500 Polizisten sollen "zweites Odessa" verhindern

Der Verwaltungsleiter der Kiewer Metropolie, Archimandrit Viktor Kotsaba, betonte, dass die Märsche, die sein Patriarchat organisiert hat, keinen "politischen Unterton" hätten. Die pilgernden Christen wollten keine politischen Parolen verkünden: "Zweck unseres Marsches ist es, für den Frieden in der Ukraine zu beten und unsere heiligen Stätten zu verehren."

Trotzdem sollen rund 2.500 Polizisten dafür sorgen, dass es keine Auseinandersetzungen mit ukrainischen Rechtsradikalen gibt, wenn die Prozessionen in knapp zwei Wochen in Kiew ankommen. Polizisten würden keine Provokationen oder die Verletzung der öffentlichen Ordnung zulassen, versicherte Innenminister Awakow. Die Kiewer Bevölkerung müsse keine politischen Unruhen oder Chaos durch "Titushki" im Zuge der Prozessionen fürchten.

Die Polizei und die organisierende Kirche rechnen mit rund 20.000 Friedenspilgern in Kiew. Den radikalen ukrainischen Organisationen empfahl Awakow lediglich, ein wenig "herunterzukühlen". Die Verantwortlichen der Sicherheitskräfte hätten den kirchlichen Organisatoren "in einfachen Worten klar gesagt, was wir erwarten und wie dies zu tun ist", erklärte der Minister. "Nicht, dass wir noch solche Ereignisse bekommen wie am 2. Mai in Odessa."