Droht Frankreich ein Atomkraft-Blackout?

AKW Fessenheim. Bild: Florival fr/CC-BY-SA-3.0

Der Skandal um gefälschte Sicherheitszertifikate führt jetzt dazu, dass die Atomaufsicht Block 2 in Fessenheim abschalten ließ

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Dass das Atomkraftwerk in Fessenheim noch nicht definitiv abgeschaltet ist und weiter ein enormes Risiko für die Bevölkerung im Elsass, um Freiburg und in der Nordschweiz darstellt, ist schon an sich ein Skandal.

Die vielen Probleme des ältesten französischen Atomkraftwerks sind allseits bekannt. Sie reichen bis zur Tatsache, dass das Atomkraftwerk nicht einmal einen Wasserschaden verkraftet und deshalb schon einmal außer Kontrolle geriet (Fessenheim soll nach fatalen Vorgängen abgeschaltet werden). Doch nun hat die Tatsache, dass vom staatlichen Kraftwerksbauer Areva, der ohnehin pleite ist und zerschlagen wird, Sicherheitszertifikate in der Schmiede Creusot Forge gefälscht wurden, dazu geführt, dass sogar die nachsichtige Atomaufsicht die Abschaltung von Block 2 in Fessenheim angeordnet hat. Wie die "Autorité de sûreté nucléaire" (ASN) mitgeteilt hat, wurde wegen den Unregelmäßigkeiten das Prüfzertifikat für einen Dampfgenerator in Block 2 aufgehoben. "Wir sind derzeit nicht fähig, die Betriebsfähigkeit des installierten Dampfgenerators zu bescheinigen", erklärte Julien Collet, stellvertretender Direktor der ASN, der Nachrichtenagentur AFP. In einer schriftlichen ASN-Mitteilung wird festgestellt, der Generator entspreche nicht den technischen Unterlagen, die der Behörde einst übermittelt wurden. Der Betreiber EDF hatte den Reaktor am 13. Juni heruntergefahren und habe der ASN zwei Tage danach die ersten Analysen zu den festgestellten Unregelmäßigkeiten übermittelt. Die Aussetzung des Prüfzertifikats habe die "Stilllegung des Dampfgenerators" zur Folge und damit als Konsequenz auch die des Reaktors, heißt es in der ASN-Erklärung.

Der Schmiedevorgang im unteren Ring des Dampferzeugers sei in dem von der Areva-Schmiede Forge gelieferten Dokumenten falsch dargestellt worden. Eigentlich hätte der Generator deshalb nie eine Zulassung erhalten dürfen, erklärte die ASN. Nun müsse Areva nachweisen, dass ihr Produkt die vorgeschriebenen Normen erfüllt. Festgestellt wurden anomale Kohlenstoff-Konzentrationen, die die Widerstandsfähigkeit betroffener Bauteile besonders in einem Notfall beeinträchtigen können.

Sogar Collet zieht deshalb eine Parallele zum neuen EPR-Reaktor in Flamanville, dessen Kosten immer weiter explodieren und dessen Fertigstellung weiterhin nicht absehbar ist. Denn über die "Anomalien" am Druckbehälter dort kam der Skandal um die gefälschten Sicherheitszertifikate erst ans Licht (Flamanville: "Anomalien" beim Reaktordruckbehälter). In Fessenheim sei die Problemlage ähnlich wie "am EPR-Reaktorbehälter" in Flamanville, sagte Collet. Auch am Dampferzeuger gäbe es vermutlich in bestimmten Bereichen zu hohe Kohlenstoffkonzentrationen. Aus der Materiallehre ist bekannt, dass höhere Kohlenstoffanteile den Stahl zwar härter, aber auch spröder machen.

Anders als im Fall von Druckbehälter in Flamanville ist der Dampferzeuger sogar noch ein austauschbares Teil. Er wurde erst 2011 für 150 Millionen in Fessenheim verbaut. Das wirkliche Problem ist damit nicht Fessenheim, das eigentlich nach Versprechen der Regierung Hollande längst abgeschaltet sein sollte. Zuletzt wurde im Frühjahr erneut die Abschaltung im Laufe des Jahres angekündigt, nachdem bekannt wurde, dass ein Reaktor 2014 sogar außer Kontrolle geraten war. Doch auch damit ist nicht mehr zu rechnen, denn dafür hätte der Betreiber EDF im Juni einen entsprechenden Antrag stellen müssen, was bisher zumindest nicht bekannt wurde. Fessenheim Atomkraftwerk wird weiter am Netz gehalten, weil man Flamanville nicht ans Netz bekommt, wo man mit dem Druckbehälter ein praktisch unlösbares Problem hat.

Aber das ist nicht das einzige große Atom-Problem. Denn es ist ja mittlerweile auch bekannt, dass in den französischen Atomkraftwerken, die sogar Atomkraftwerksbetreiber für "wirtschaftlich untragbar" halten, Anomalien in Dokumenten bei etlichen Bauteilen festgestellt wurden. Allein in 18 Atommeilern wurden zweifelhafte Dampfgeneratoren verbaut. Das gilt nach ASN-Angaben für Blayais 1, Bugey 4, Chinon 1 und 2, Civaux 1 und 2, Dampierre, 2, 3 und 4, Gravelines 2 und 4, Saint-Laurent-des-Eaux 1 und 2 und alle vier Blöcke in Tricastin. Erstaunlicherweise wies die ASN noch kürzlich in Fessenheim auch Block 1 aus, während jetzt Block 2 abgeschaltet wurde.

Es ist nicht sonderlich schwer, sich vorzustellen, was es für die französische Stromversorgung bedeuten würde, wenn 18 von 58 Meilern mit einer jeweiligen Leistung zwischen 900 und 1450 Megawatt abgeschaltet werden müssten. Einen Vorgeschmack bekam das Land im Februar 2012. Dabei sind vermutlich weitere Meiler betroffen, da die ASN-Liste nur Probleme mit Dampferzeugern aufführt. Allerdings hatte die ASN bei der Überprüfung von 10.000 Unterlagen entdeckt, dass bei 400 von Areva falsche Angaben gemacht worden seien, davon seien 50 Bauteile aus Creusot noch in Reaktoren verbaut.

Die französische Stromversorgung, die wegen einer seit Jahrzehnten verfehlten Energiepolitik zu 80% am Atomstrom hängt, dürfte zusammenbrechen, wenn mindestens 19 Reaktoren wegen Sicherheitsproblemen abgeschaltet würden. Hollande traut sich ja nicht einmal die beiden Meiler in Fessenheim abzuschalten, weil er sich um die Versorgungssicherheit des Landes sorgt. So darf vermutet werden, dass die ASN weiter sehr nachsichtig sein wird. So hatte die Atomaufsicht bislang nicht einmal einen Grund zur Abschaltung von Fessenheim gesehen, obwohl der Wasserschaden zeigte, dass wichtige Sicherheitseinrichtungen nicht mehr funktionierten. Übrigens betrifft dieses fatale Problem ebenfalls diverse Meiler, die teuer von einer ohnehin hoch verschuldeten EDF nachgerüstet werden müssen (Französische Atomreaktoren mit fatalen Problemen).