Die Binarisierung des Lebens

Nein heißt Nein - im Bereich Sexualstrafrecht soll dieses Dogma vorherrschen. Aber ist das sinnvoll? Teil 1

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10 Dinge, die ich an dir hasse

Einer der Lieblingsjugendfilme meiner Frau Bettina ist der Film "10 Dinge, die ich an dir hasse" mit Heath Ledger und Julia Stiles in den Hauptrollen. Es ist ein eher belangloses Filmchen, das William Shakespeares "Der Widerspenstigen Zähmung" lose aufgreift und mit Anspielungen auf Shakespeare sowie ironischen Bonmots aufwartet.

Die Handlung ist recht banal: Eine typische Schönheit aus der High School ist von einem selbstverliebten Schönling, einer Sportskanone, hingerissen - dieser will sie lediglich im Zuge einer Wette entjungfern. Der Vater der Schönheit bestimmt, dass seine Tochter sowieso erst dann mit einem Jungen ausgehen darf, wenn ihre Schwester auch eine Verabredung erhält. Das entpuppt sich jedoch als schwierig, da diese keinerlei Interesse daran zu haben scheint.

Es liegt dann an Patrick Verona (Heath Ledger), der sich dafür bezahlen lässt, die schroffe und sarkastische Schwester zu einem Date zu überreden. Das "Überreden" ist im Film der durchaus amüsante Teil, denn das "Nein danke" wird von dem mit Hippiehaaren und Lederhose ausgestatteten Patrick schlichtweg ignoriert. Dass sich am Ende alles zum Guten fügt und der intrigante Schönling nicht nur bestraft wird, sondern auch noch der gutherzige Jüngling die Schönheit und Patrick die sarkastische Schwester als Freundin bekommt, ist selbstverständlich.

So ist es oft in Liebesgeschichten oder - filmen: Der Mann bemüht sich langfristig um die Frau und lässt sich auch von dem anfänglichen "Nein danke" nicht davon abhalten. Und am Ende wird die Hartnäckigkeit belohnt. Oft gibt es Verwicklungen, weil die Umworbene sich zunächst für einen anderen entscheidet, jedoch nach und nach versteht, dass sie mit dem "treuen Freund", der nicht locker lässt, besser dran ist. Solche Geschichten zeigen, egal wie stark sie einem Klischee folgen, deutlich, dass das Leben aus sich verändernden Willensbezeugungen besteht. "Nein heißt nein" hieße da wohl, dass die Geschichten nur 3 Minuten andauern. Aber ist das realistisch?

Ein "Nein" akzeptiere ich nicht

Die restlichen Fragen beim neuen Sexualstrafrecht lassen wir mal weg - aber was genau soll "nein heißt nein" aussagen? Klar, wenn der Wille ignoriert wird und dann mit Zwang oder Drohung oder weil der oder die andere Angst hat, sexuelle Handlungen vorkommen, die nicht gewollt sind, so sollte dies auch zu ahnden sein. Aber das war es ja schon. Ist es denn automatisch schlimm, wenn ein "Nein" ignoriert wird? Kann sich nicht die Ansicht ändern, ohne dass jemand dazu gezwungen wird? Kann sich nicht auch jemand weigern, das "Nein" zu akzeptieren, weil er den anderen liebt?

Ich kann nicht für jede Beziehung sprechen, aber hier gibt es immer auch Fälle, in denen ich das "Nein" meiner Frau auch im Bereich Intimität ignoriere bzw. versuche, ihre Meinung zu ändern. Das klingt jetzt, als sei ich ein typischer Vertreter der Gattung Mann. Brutal, gemein, ignorant, egoistisch. Die arme Frau! Wird gezwungen, ihr Wille nicht ernstgenommen, sie unter Druck gesetzt.

Eigentlich ist es oft eher anders rum. Dass ich ihr "Nein" nicht akzeptiere, ist Zeichen dafür, dass ich sie liebe und für sie da sein möchte. Ein Beispiel: Ich möchte sie in den Arm nehmen, doch sie ist (was durchaus vorkommt) in einer Phase, in der sie sich selbst ablehnt. Nähe ist da für sie nichts, was sie will. Das heißt nicht, dass sie unzurechnungsfähig ist. Soll ich dann Nähe vermeiden, bis es ihr besser geht, weil sie dies so will? Ich finde, dass es in diesem Moment falsch wäre, ihr "Nein" hinzunehmen, ich nehme sie trotzdem in den Arm. Die Erfahrung hat mir auch gezeigt: Das ist eine gute Lösung, sie hilft. Ab und an muss ich ein "Nein" ignorieren, damit sie sich nicht einigelt.

Ist Zwischenmenschliches binär?

Nicht in jeder Beziehung gibt es psychische Probleme bei einem Partner. Aber wird dadurch dieser Fall so spezifisch? In welcher Beziehung wird nicht auch einmal versucht, jemanden zu überreden, etwas zu tun, was er anfangs nicht möchte, egal ob in sexueller Hinsicht oder nicht? Fragt nie jemand ein zweites Mal, wenn er anfangs ein "Nein" hörte?

Es fällt mir schwer zu denken, dass innerhalb der Beziehungen ein "Nein" immer sofort akzeptiert wird. Wird nie versucht, jemanden, der sagt, er sei zu müde für das Schmusen, Petting oder Geschlechtsverkehr, zu überreden, ihn vielleicht auch durch eigene Initiative "in Fahrt zu bringen" oder "auf den Geschmack zu bringen"?

Hat keiner sich einfach in etwas "Gewagtes" geworfen, nachdem der andere zunächst "heute nicht" gemurmelt hat, beim Versuch, mit ihm intim zu werden? Hat keiner versucht, den Partner nach einem "ich bin zu müde/habe Kopfschmerzen/will nicht" mit einer leichten Massage, ein wenig Schmusen, Küssen usw. doch noch zu überreden? Gibt es die Verführung nach dem "Heute nicht" in Beziehungen nicht mehr?

Gerade auch, wenn es um Beziehungen, Gefühle, Sex geht, ist eine einmal geäußerte Meinung nicht immer die, die bleibt. "Nein heißt Nein" heißt ja auch "Ja heißt Ja", aber wohl niemand wird sich dafür einsetzen, dass ein einmal gesagtes "Ja" im Bereich Sexualität permanent gilt, dass sich niemand umentscheiden kann. Wieso also im umgekehrten Fall?

Die Vorstellung, dass es eine Überredung oder ein Ignorieren des "Nein" geben kann, ohne dass es zu Zwang, Nötigung oder Drohung kommt, scheint für viele abwegig. Weil "Nein" so endgültig klingt, aber es oft nicht ist. Warum ein "Nein" gesagt wird, ist wichtig, um zu überlegen, ob es akzeptabel ist, dies zu umgehen.

Die neue Gesetzgebung bringt da viele Unwägbarkeiten - bin ich per Strafgesetzbuch zu belangen, weil ich trotz "heute nicht, Schatz" noch einmal versucht habe, meine Frau per Streicheln zum Sex zu überreden? Ist das Umarmen trotz des "Nein, lass das" nun, trotz der gesamten Hintergründe, etwas, was strafbar sein sollte? Die Absicht hinter dem neuen Gesetz ist mir klar, aber die Umsetzung nicht.

Es ist wichtig, dass Sexualität nichts mit Drohung, Zwang, Nötigung, schutzlosen Lagen zu tun haben sollte. Aber sie deshalb binär zu definieren, erscheint mir falsch. Etwas so Intimes und Grundlegendes wie beispielsweise die Schwangerschaft wird nicht mehr endgültig definiert - es gibt die Möglichkeit, sich umzuentscheiden und abzutreiben. Dafür wurde lange gestritten. Wenn selbst bei einer solch wichtigen Entscheidung eine Willensänderung als ganz normal angesehen wird, wieso sollte es beim Thema Geschlechtsverkehr anders sein?