Wagenknecht-Kritik deleted

Sahra Wagenknecht. Bild: Heike Huslage-Koch/CC-BY-SA-4.0

Aufruf "Sahra es reicht" ist aus dem Netz verschwunden, Tausende hatten zugleich für Linken-Fraktionsvorsitzende votiert, Medien berichteten einseitig

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Kritiker der Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht, haben einen Aufruf aus dem Netz genommen, der Äußerungen der Politikerin zur Flüchtlingspolitik beanstandet hat. Die Wordpress-Seite "Sahra es reicht" war von den Betreibern am Mittwoch offline genommen worden. Auf einem Platzhalter des Bloganbieters heißt es, der Text sei nicht länger erreichbar: "The authors have deleted this site." (Die Autoren haben diese Seite gelöscht.)

Zuvor waren die Initiatoren in die Kritik geraten, weil zumindest eine Mitzeichnung gefälscht und andere nicht nachvollziehbar waren. Der Kleinunternehmer Freke Over, der für die Linke bis vor zehn Jahren dem Berliner Abgeordnetenhaus angehörte, bestätigte die Löschung gegenüber Telepolis. Man habe Wagenknecht den Text zugeleitet. Zwei Gegenaufrufe, die sich für Wagenknechts Positionen aussprechen, laufen im Netz derweil weiter und führen inzwischen über 10.000 Namen auf.

Sahra Wagenknecht. Bild: Heike Huslage-Koch/CC-BY-SA-4.0

Der Aufruf "Sahra es reicht" richtet sich gegen die Äußerungen der Politikerin zu den Folgen der Aufnahme von Flüchtlingen. Zuletzt habe sich gezeigt, "dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges 'Wir schaffen das' uns im letzten Herbst einreden wollte", so Wagenknecht. Die Kritiker bezeichneten dies als "ein Schlag ins Gesicht von uns allen" und fügten an: "Wir sind der festen Überzeugung, dass eine Linke, die rechts blinkt, nicht mehr auf dem richtigen Kurs ist."

Zu den Unterzeichnern gehörte auch ein Abgeordneter des realpolitischen Flügels, der sich im "Forum Demokratischer Sozialismus" organisiert. Wagenknecht selber rechtfertigte ihre Äußerungen: "Es ging mir darum deutlich zu machen, dass die Integration einer derart großen Zahl von Menschen eine der größten Herausforderungen der letzten Jahre ist und um die Kritik an Merkel, die im letzten Herbst zwar ihr "Wir schaffen das" fleißig gepredigt, bis heute aber unterlassen hat, die notwendigen sozialen und politischen Voraussetzungen zu schaffen, die gebraucht werden, damit Integration gelingen kann."

Linken-Politiker aus NRW beklagt Fälschung

Der Streit um die ursprüngliche Pressemitteilung von Wagenknecht hatte einen wahren Krieg der Aufrufe und Unterschriften in der Linken provoziert. Der Appell "Sahra es reicht" war am 26. Juli, einen Tag nach Wagenknechts Äußerung, initiiert worden. In Reaktion auf diesen Vorstoß lancierten Anhänger der Politikerin mindestens zwei Gegenaufrufe. Die Petition "Solidarität mit Sahra Wagenknecht" auf der Kampagnenseite change.org weist derzeit knapp 4.000 Namen auf, der ausführlicher begründete Appell "Wir für Sahra" liegt bei über 7.000 Unterschriften - die in beiden Fällen aber auch einer Überprüfung bedürften.

"Eine demokratische Streitkultur gehört zu jeder demokratischen Partei", stellt der Appell "Wir für Sahra" fest, der sich offenbar vor allem an Parteimitglieder richtet: "Was aber in den letzten Tagen, auch von Parteifreundinnen und -freunden, an diffamierenden Angriffen gegen Sahra Wagenknecht in die Welt gesetzt wurde, hat mit einer fairen Auseinandersetzung nichts mehr zu tun." Es gehe offenbar darum, Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende zu demontieren, um "unsere Ablehnung von Krieg und Sozialabbau aufzuweichen".

Hat die Initiatoren der Wagenknecht-kritischen Initiative das massive Ungleichgewicht der Mitzeichner zum Rücktritt bewogen? Initiator Over weist das von sich. "Wir haben ihr (Wagenknecht) diesen Aufruf geschickt", sagte der 48-Jährige, der inzwischen ein Ferienlager in Brandenburg betreibt, gegenüber Telepolis. Damit habe man deutlich gemacht, dass es in der Partei vielfältige Kritik an Wagenknechts Äußerungen gibt. Zu der Löschung der Seite sagte Over: "Ich wollte das ja nicht bis Weihnachten weiterlaufen lassen." Allerdings hatte es zuvor Irritation um die Fälschung von Mitzeichnungen gegeben. So tauchte auf Position 151 der Name von Jules Jamal El-Khatib, Mitglied im Linken Landesvorstand in Nordrhein-Westfalen, auf. "Ich vermute, dass es irgendwer war, den mein Interview zu Wagenknecht auf nachdenkseiten.de gestört hat", sagte der Nachwuchspolitiker gegenüber Telepolis. Auf der linken Debattenseite hatte El-Khatib neokonservative Strömungen in der Linken kritisiert.

Medien berichteten fast nur über eine Seite - die Wagenknecht-Kritiker

Abgesehen von der seltsamen Debattenkultur bei den Linken, die ihre innerparteilichen und innerfraktionellen Konflikte offenbar zunehmend über Unterschriftensammlungen auszutragen versuchen, ist der mediale Umgang mit den Initiativen beachtlich. Denn berichtet hatten über die zunächst 100 Mitzeichnungen des Wagenknecht-kritischen Aufrufs zahlreiche etablierte Redaktionen, darunter die ARD, das Nachrichtenportal Spiegel Online und auch die Linkspartei-nahe Tageszeitung Neues Deutschland (ND). Das ND widmete der Debatte bislang acht Artikel, Meldungen und Kommentare - ohne dabei auf die Pro-Wagenknecht-Aufrufe einzugehen. Allein eine Redakteurin der Süddeutschen Zeitung schrieb im Zuge der fortlaufenden Berichterstattung auch über die Gegenaufrufe für Wagenknecht.

Die indirekte politische Auseinandersetzung über Online-Appelle ist in der Linken nicht neu. Als Bundestagsabgeordnete der Fraktion Ende 2014 jüdische Israel-Kritiker einluden und es zu einem Eklat mit Beteiligung des damaligen Fraktionsvorsitzenden Gregory Gysi kam, reagierten Vertreter des realpolitischen Flügels der Partei auch schon mit einem Aufruf im Netz. Der Text, der damals von Berliner Linken-Chef Klaus Lederer online gestellt worden war, kam ohne eine nennenswerte Reaktion auf 1.130 Mitzeichner. Schon damals war die Kontroverse umgehend genutzt worden, um die Amtsenthebung oder gar den Rausschmiss von Vertretern des linken Flügels zu fordern. Gleich ist den Disputen das Ringen um Positionen, die einer Regierungsbeteiligung der Linken im Weg stehen: das Verhältnis zur Nato, Kritik an Israel, sozialpolitische Positionen.

Im aktuellen Fall könnte sich die Online-Auseinandersetzung für die Gegner einer genuinen linken Politik als Eigentor entwickeln. Der Aufruf "Sahra es reicht" ist offline; der Text "Wir für Sahra" soll, wie aus Fraktionskreisen verlautet, bis zur Fraktionsklausur 10.000 Unterschriften zusammentragen und dann als Grundlage für die Debatte dienen.