Köln: Erdoğan-Jubelshow ohne größere Zwischenfälle beendet

Strenge Auflagen, weniger Teilnehmer als erwartet, konsequentes Handeln der Polizei - die Pro- Erdoğan -Kundgebung sowie die Gegen-Demonstrationen verliefen weitestgehend friedlich

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Seit Tagen hielt die unter dem Motto "Ja zur Demokratie - nein zum Staatsstreich" für diesen Sonntag angekündigte Kundgebung der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) in Köln die Republik auf Trab. Auf allen Kanälen wurde täglich über den aktuellen Stand berichtet.

So gab die UETD, die als Auslands-Organisation der türkischen Regierungspartei AKP ( Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) gilt, zunächst an, es sei mit 15.000 Erdoğan - Anhängern zu rechnen. Dann waren es 30.000, dann sogar 50.000. Zunächst sollte Erdoğan per Videoschaltung live übertragen werden, dann sollte er höchstpersönlich in Köln-Deutz erscheinen.

Mit anderen Worten: Die Erdoğan -Jubelshow nahm immer größere Dimensionen an, zudem wurde die Liste derer, die Gegen-Kundgebungen anmeldeten, immer länger. So dass zu guter Letzt die Kölner Polizeiführung öffentlich darüber nachdachte, alle Zusammenkünfte schlicht zu verbieten.

Schlussendlich wurde die Kundgebung erlaubt, allerdings mit strengen Auflagen: Erdoğan durfte weder einreisen, noch live übertragen werden.

Der Versuch, der von der rechtspopulistischen Organisation Pro-NRW angekündigten Gegen-Demonstration, deren Route direkt am Veranstaltungsort der UETD in Köln-Deutz vorbei führen sollte, aus Sicherheitsgründen zu verbieten, scheiterte. Insgesamt gab es vier Gegen-Kundgebungen zur Veranstaltung der UETD. Neben der genannten von Pro NRW noch drei weitere aus dem linken Spektrum - von Jusos bis hin zu kurdischen Organisationen. Die kurdische Community war in dieser Frage allerdings gespalten. Einige Vereine rieten dazu, sich den Kundgebungen fern zu halten, um nicht unnötig Feuer ins Öl zu gießen.

Die Polizei empfahl Geschäftsleuten in Köln-Deutz, aus Sicherheitsgründen ihre Geschäfte geschlossen zu lassen, orderte 2.700 Polizeibeamte aus verschiedenen Bundesländern, acht Wasserwerfer sowie diverse Sonderfahrzeuge, und versuchte das scheinbar Unmögliche irgendwie möglich zu machen. Offensichtlich ist das einigermaßen gut gelungen. U.a. weil an den einzelnen Veranstaltungen jeweils erheblich weniger Personen teilnahmen, als ursprünglich angekündigt.

So kamen zu der UETD-Veranstaltung etwa 20.000 Personen. Als Hauptredner wurde der türkische Sportminister Akif Çağatay Kılıç eingeflogen. Der in Siegen geborene Politikwissenschaftler gilt als einer der Berater Erdoğans.

Die Pro-Köln-Kundgebung wurde von der Polizei wegen der aggressiven Stimmung und reichlich Alkoholgenusses vorzeitig aufgelöst.

Viel Lärm um nichts?

"Ich gönne den Türken die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht. Auch wenn sie dafür demonstrieren, dass die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht in der Türkei eingeschränkt werden. Diese Absurdität muss man aushalten", wird der Kabarettist Jürgen Becker im Kölner Stadt-Anzeiger zitiert.

Auch wenn es im Nachhinein nach viel Lärm um Nichts klingt, es ist nicht nur absurdes Theater, sondern eine der vielen von Erdoğan perfekt dirigierten Liebes- und Lobesbekundungen, die eine Demokratie aushalten muss. Die aber türkisch-stämmigen Menschen, die nicht zu den "Jubeltürken" gehören, eiskalte Schauer über den Rücken laufen lässt.

"Es ist eine Demonstration, die aus der Türkei gelenkt wird. Es wird Zeit, dass wir darüber diskutieren, ob die türkische Regierung unsere Versammlungsfreiheit dazu missbrauchen darf, um in Köln Propagandaveranstaltungen durchzuführen und den sozialen Frieden zu gefährden", erläuterte z.B. die SPD-Politikerin Lale Akgün gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger.

"Tausende rechtsradikale und islamistische Türken rufen 'Wir sind Deutschland'. Muss ich bald auch Deutschland verlassen?", fragt der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland e.V. (KGD), Ali Ertan Toprak.

Erdoğan ließ es sich nicht nehmen, eine Grußbotschaft zu schicken, die auf der Kundgebung vor einem Meer türkischer Fahnen verlesen wurde. Sportminister Akif Çağatay Kılıç kritisierte, dass der Präsident nicht selbst habe auf der Kundgebung sprechen dürfen.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat allen türkischstämmigen Bürgern in Deutschland für ihre moralische Unterstützung bei der Vereitelung des Staatsstreichs am 15. Juli gedankt. In einer Grußbotschaft, die am Sonntag bei der großen türkischen Demonstration in Köln aus den Reihen der Organisatoren verlesen wurde, erinnerte Erdoğan daran, dass in der Putschnacht auch in Deutschland viele Menschen auf die Straße gegangen seien. Die Kölner Demonstration zeige, dass das Band zwischen der Türkei und den in Deutschland lebenden Türkischstämmigen immer noch sehr eng sei. Daran werde sich auch niemals etwas ändern. 'Heute ist die Türkei stärker als sie je vor dem 15. Juli gewesen ist', sagte Erdoğan

Die Welt.

Kein Wunder, dass solche Worte, gepaart mit der brisanten politischen Mischung von islamischen, nationalistischen und rechtsextremen Verbänden und Organisationen, die da gemeinsam ihre Solidarität mit dem "Büyük Lider" bekundet haben, diejenigen schaudern lässt, die befürchten müssen, ins Visier eben dieser fanatischen Erdoğan -Anhänger zu geraten. Um zu verstehen, wer genau sich da eigentlich mit wem zusammentut, müssen wir einen kleinen Blick in die Geschichte der Türkei werfen.

Die Steilvorlage

Der Ursprung der Verschmelzung von Islam und Nationalismus geht auf den ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten (28.6.1996 - 30.6.1997) Necmettin Erbakan zurück. 1970 gründete er die MNP, Millî Nizam Partisi (Nationale Ordnungspartei), die jedoch bereits ein Jahr später verboten wurde. Wieder ein Jahr später war er Mitbegründer der MSP, Millî Selamet Partisi (Nationale Heilspartei), deren Vorsitzender er 1973 wurde.

Im selben Jahr schrieb er das Buch mit dem Titel " Millî Görüş" (Nationale Sicht, oder oft auch übersetzt als "Nationale Weltsicht"), in dem er sowohl diesen Begriff als auch "Adil Düzen" (Gerechte Ordnung) in die Debatte eingebracht haben soll. "Gerechte Ordnung", weil von einer "islamischen Ordnung" zu sprechen in der laizistischen Türkei zu einem erneuten Parteiverbot hätte führen können.

Diese sollte indes ein umfassendes soziales, ökonomisches und politisches Regelungssystem beinhalten, das auf islamischer Grundlage beruht. Also quasi der Gegenentwurf zum Laizismus, den Mustafa Kemal (Atatürk) als Grundprinzip des Staates mit dessen Gründung 1923 einführte.

Darüber hinaus war das Buch im Prinzip der Grundstein für die Millî-Görüş-Bewegung, die als solche in der Türkei agiert, und sich seit Anfang der 1970er Jahre auch auf die Diaspora ausgeweitet, und Mitglieder unter den Arbeitsmigranten rekrutiert hat.

Das "adil" (gerecht) führt die 2001 von dem heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gegründete AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) in ihrem Namen fort.Doch zurück zu Erbakan. Die MSP wurde 1980 nach dem Militärputsch verboten. 1983 wurde die RP, Refah Partisi (Wohlfahrtspartei) gegründet, die der Millî-Görüş-Bewegung zugehörig betrachtet wird. 1984 wurde Erdoğan stellvertretender Vorsitzender der Partei.

Bei der Kommunalwahl 1994 wurde dieser als RP-Kandidat in das Amt des Oberbürgermeisters von Istanbul gewählt. Es heißt, die Nominierung sei gegen den Willen Erbakans geschehen.

Nach einigem politischen Hin und Her, und als Folge einer aufkeimenden Debatte über Laizismus in der Türkei sowie der damit verbundenen Intervention, manche nennen es auch "kalten Putsch", der türkischen Militärführung, der berühmten "Entscheidungen des Nationalen Sicherheitsrats vom 28. Februar 1997", wurde die RP im Februar 1998 verboten.

Im Dezember 1997 wurde als Nachfolger die FP, Fazilet Partisi (Tugendpartei) gegründet, die im Juni 2001 verboten wurde. Daraufhin wurde im Juli 2001 die SP, Saadet Partisi (Glückseligkeitspartei ) gegründet. Während sich ein Reformflügel unter Erdoğan 2001 erfolgreich als AKP abspaltete.