Schäuble macht Innenpolitik, allerdings in Spanien

Weil es um "politische Stabilität" in Spanien und die Rettung Rajoys geht, kippte er sogar eine symbolische Strafe gegen den massiven Defizitsünder

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Alles läuft nach Plan. Der konservative Mariano Rajoy hat nun den Auftrag des spanischen Königs angenommen und will nun irgendwie eine Regierung bilden. Da er weiter keine Unterstützer hat, nahm er den Auftrag aber nur zähneknirschend an. In einem nie dagewesenen Vorgang hat er dem Monarchen nicht einmal zugesichert, sich auch vor dem Parlament einer Abstimmung stellen zu wollen. Opposition und Verfassungsrechtler gehen sogar davon aus, dass Rajoy gegen die Verfassung verstoßen würde, sollte er sich einer Abstimmung angesichts einer drohenden Niederlage entziehen.

Damit schreibt der Konservative erneut Geschichte. Das hatte er schon nach den ersten Wahlen im Dezember getan. Im Februar lehnte er den Auftrag des Königs sogar ab, was es bisher in Spanien ebenfalls noch nicht gegeben hat. Danach beauftragte er den schwächeren Sozialistenchef Pedro Sánchez. Da der es nicht schaffte, über die rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) hinaus weitere Unterstützer für eine Regierungsbildung zu finden, kam es zu Neuwahlen im Juni.

Aus Berlin und Brüssel wurde dabei alles getan, um den Konservativen Rajoy zu unterstützen. So wurde die für das Frühjahr geplante Entscheidung über die Defizitstrafe hinter den Neuwahltermin verschoben. Denn mit einer Bestrafung hätte die Kommission auch erklärt, dass die Austeritätspolitik der Konservativen gescheitert ist.

Die Einmischung in spanische Innenpolitik wurde nun noch zugespitzt. Dabei zog der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble die Fäden. Ausgerechnet der Mann, der stets die nachsichtige Politik der EU-Kommission wegen Verstößen gegen den Stabilitätspakt heftig kritisiert, hat nun dafür gesorgt, dass die Strafe gegen Spanien (und damit als ungewollter Nebeneffekt auch für Portugal) sogar gestrichen wurde. Nicht einmal eine symbolische Bestrafung durfte es geben, damit die Chancen auf eine Regierungsbildung von Rajoy nicht verschlechtert werden.

Verschiedenste Quellen bestätigen mit Bezug auf Quellen in der EU-Kommission, was Telepolis schon berichtet hatte (Nicht einmal eine symbolische Strafe für Defizitverstöße Spaniens und Portugals). So hatte Schäuble nach einem Gespräch mit dem spanischen Wirtschaftsminister im chinesischen Chengdu die Zügel in die Hand genommen oder besser zum Telefon gegriffen. Schäuble habe seine Interventionen damit begründet, dass es um die "politische Stabilität" in Spanien gehe.

Stabilität können für ihn nur die Konservativen garantieren, auch wenn diese bis zur Halskrause in Korruptionsskandalen stecken. Doch das hinderte auch Angela Merkel nicht, Rajoy zu unterstützen. An der Berliner Position hat sich auch nichts geändert, obwohl sich mit der PP nun erstmals sogar eine ganze spanische Partei auf die Anklagebank setzen muss. Denn sie soll die Festplatten ihres Schatzmeisters und damit Beweise vernichtet haben, sagt die Justiz. Der Schatzmeister hatte zugegeben, eine parallele Buchführung geführt zu haben. Schmiergelder sind mehr als 18 Jahre geflossen, mit denen sich die PP illegal finanziert hat. Das belegte er mit Unterlagen (Spanische Regierungspartei: "18 Jahre illegale Finanzierung"). Weitere Beweise sollen sich auf seinen Computern befunden haben. Demnach sollen PP-Führungsmitglieder auch Bargeld in Umschlägen aus den Schwarzgeldkassen am Fiskus vorbei erhalten haben, Rajoy die höchste Gesamtsumme (Spaniens Ministerpräsident im freien Fall).

Eigentlich bestreitet niemand mehr, dass Schäuble nun zur Rettung des Konservativen angesetzt hat. Sogar die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung geht davon aus. Sie verweist darauf, dass Schäuble die Anrufe nicht dementiert hat, und berichtet, die Informationen zu den Vorgängen kämen direkt von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und aus dessen Umfeld , wonach der "deutsche Falke" die Bußen vom Tisch gefegt habe. Es ist sogar verständlich, dass Juncker den Schwenk Schäuble nun genüsslich unter die Nase reibt, der die Kommission immer wieder angreift. Er hatte lange sogar dagegen gewettert, dass die Kommission Spanien und (vor allem) Portugal nur "symbolisch" bestrafen wollte.

Juncker verwies auch darauf, dass Finnen, Letten und Schweden nicht "katholischer als Papst" sein wollten und sie zwar eine Bestrafung wollten, die aber auf "null" gesetzt werden sollte. Schäuble musste besonders auf seinen EU-Kommissar Günter Oettinger einwirken, der nun dumm dasteht. Er hatte sich zuvor im Einklang mit Schäuble besonders für Sanktionen stark gemacht. Über die Bild-Zeitung ließ er kürzlich großspurig verbreiten, man müsse nun "Sanktionen gegen Spanien und Portugal beschließen". Er fügte an: "Alles andere kann man den Menschen nicht erklären." Wir dürfen gespannt sein, ob und wie Oettinger seinen Schwenk erklärt. Das gilt auch für all jene, die sich wie der Chef des Rettungsfonds ESM an die Seite von Schäuble gestellt haben und eine regelrechte Verunglimpfungskampagne gegen Portugal gestartet hatten.

Die Reaktionen auf die Entscheidung sind unterschiedlich. Die Linksregierung in Portugal ist natürlich froh, Luft bekommen zu haben. Allerdings wird das Land nicht wie Spanien belohnt, das sogar noch einmal zwei Jahre Zeit bekommt. Es muss die Stabilitätsmarke von 3% erst 2018 wieder einhalten. Da die Portugiesen das vermutlich schon 2016 wieder schaffen, ist das für sie aber auch kein Problem.

Allerdings weist die Ratingagentur Fitch darauf hin, dass die EU nur eine "begrenzte Glaubwürdigkeit" habe und sie weiter untergraben habe. Entsetzt ist auch der Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem, auch wenn das im diplomatischen Sprachgebrauch "enttäuscht" heißt. Er hatte schon massiv kritisiert, dass wegen spanischer Wahlen die Sanktionsentscheidung vertagt wurde und sah deshalb die Glaubwürdigkeit in Frage gestellt. Er monierte, dass vor allem für große Euroländer immer wieder Extrawürste gebraten würden.

An dem gesamten Vorgang ist besonders pikant, dass das Sanktionsschwert sogar weiterhin über Spanien und Portugal schwebt. Denn Rajoy ist noch kein Regierungschef. Und es ist längst nicht ausgemacht, ob er es nochmal wird. In Spanien ist nach den Neuwahlen weiterhin eine Linksregierung nach portugiesischem Vorbild möglich, die ebenfalls die Austeritätspolitik beseitigen kann. Deshalb wurde noch keine definitive Entscheidung über die Aussetzung von Geldern aus den EU-Fonds getroffen. Damit drohen weiter wirklich schmerzliche Einschnitte. Die könnten also noch kommen, falls Rajoy scheitert und sich die Sozialisten (PSOE) doch noch dazu durchringen, mit Podemos (Wir können es) und kleineren Parteien eine Regierung zu bilden. So ist es kein Wunder, dass eine Entscheidung darüber frühestens im Herbst fallen soll.