"Die Welt gerät aus den Fugen"

Nach einer Umfrage haben viele Deutsche Angst, mehr als die Hälfte macht Merkels Politik für die jüngsten Anschläge und Amokläufe mit verantwortlich

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Nach den ersten Anschlägen in Deutschland, die der so genannte Islamische Staat sich zuschreibt und die Täter als "Soldaten des Kalifats" bezeichnet, scheint in Deutschland die Angst angekommen zu sein. Zum Hintergrund gehört auch der Amoklauf des 18-jährigen Deutsch-Iraners in München, vielleicht auch der von einem jungen Syrer an einer polnischen Frau begangene Mord in Reutlingen. Die Medien walzen mit einer breiten Berichterstattung solche Vorfälle aus, damit werden nicht nur Informationen, sondern eben auch Stimmungen wie Angst verbreitet, was auch das Ziel eines jeden terroristischen Anschlags ist. Politiker sind gezwungen darauf zu reagieren oder nutzen die Ereignisse für ihre politische Agenda, beispielsweise der Forderung nach Einsatz der Bundeswehr im Inneren, was ebenfalls der Verstärkung der Stimmung dient.

In der neuesten Ausgabe des IS-Magazin Dabiq wird allerdings bedauernd bemerkt, dass die Menschen trotz der zahlreichen Anschläge noch nicht sonderlich beeindruckt zu sein scheinen. Die Anschläge seien nicht nur effektiv, der IS vergleich die Zahl der ums Leben gekommenen Selbstmordattentäter mit der Zahl der von ihnen getöteten Menschen, sie sollen auch irgendwie davon überzeugen, dass man zum Islam konvertieren soll. Warum dies nicht geschieht, wird mit der Argumentation begründet, die man auch sonst gerne hört, beispielsweise vom Westen der die Menschen von der russischen Propaganda betäubt sieht. Für den IS gehen die Betäubung und Umnebelung der Köpfe, die die vom IS propagierte Wahrheit nicht sehen können, vom Aberglauben, der Sünde, dem Liberalismus oder Feminismus aus (Der Islamische Staat auf Missionierungstrip).

Der Attentäter von Ansbach.

Geht man von einer als repräsentativ bezeichneten YouGov-Umfrage aus, für die 1017 Personen zwischen dem 26. und dem 29. Juli 2016 befragt wurden, haben die Anschläge allerdings doch ihre Wirkung erzielt. 81 Prozent gehen realistischerweise davon aus, dass sich Terroranschläge und Amokläufe nicht zu 100 Prozent verhindern lassen. Wenn aber 79 Prozent auch sagen, dass die Welt "derzeit aus den Fugen" gerät, scheint tatsächlich der Eindruck vorzuherrschen, dass es unsicherer und gefährlicher auf der Welt wird, ohne dass man dies noch steuern könnte.

Eine Mehrheit macht mit 52 Prozent auch Merkels Flüchtlingspolitik für die jüngsten Anschläge und Amokläufe verantwortlich, nur 38 Prozent sind nicht dieser Meinung. Damit gerät Merkels "Wir schaffen das schon" immer stärker unter Zweifel, obgleich sie den Satz betont auch während der Sommerpressekonferenz wiederholte, während sie darauf verwies, dass die von Migranten verübten Anschläge das Land, das sie aufgenommen hat, "verhöhnt". Mit einem nicht sonderlich überzeugenden "Neun-Punkte-Plan" will sie der wachsenden Kritik begegnen und für mehr Sicherheit sorgen.

Nach der YouGov-Umfrage sehen sich angeblich viele persönlich gefährdet. 50 Prozent sagen, sie hätten Angst, wenn sie sich in einer größeren Menschenmenge befinden, 42 Prozent stimmen dem nicht zu. Ob dies tatsächlich zutrifft, lässt sich schlecht beurteilen. Mein Eindruck ist, zumindest von München, dass die Menschen zumindest keine Angst haben, sich in größere Menschenmengen zu begeben, etwas anderes ist es, ob man bei einem Knall oder Sirenen auch mal schnell an die Möglichkeit eines Anschlags erinnert wird.

Bei den Antworten auf Fragen, welche Maßnahmen nach den jüngsten Anschlägen und Amokläufen ergriffen werden sollten, war ein Bundeswehreinsatz im Inneren keine Option. Zweidrittel sagen jeweils, dass die Polizeipräsenz erhöht und dass das Asylrecht verschärft werden sollte. Schärfere Waffengesetze finden 50 Prozent gut, deutlich mehr als die 29 Prozent, nach denen einmal wieder Ego-Shooter-Spiele verboten werden sollten. 49 Prozent sind für mehr Überwachungsbefugnisse für Polizei und Geheimdienste, dagegen nur 36 Prozent für bessere psychologische Betreuung. Die wäre auch eine Art Überwachung, die aber womöglich auch gute Chancen hätte, Anschläge von Einzelgängern und Amokläufe zu verhindern, die, wie sich eben wieder zeigte, oft psychische Probleme haben, wenn solche nicht grundsätzlich stärker Selbstmordattentäter und Amokläufer antreiben als irgendwelche ideologischen oder religiösen Gründe. Aber insgesamt läuft die Stimmung in Richtung Ausbau staatlicher Gewalt, Einschränkung der Bürgerrechte und Abwehr von Flüchtlingen.

Die R + V-Umfrage über die Ängste der Deutschen 2016 hatte allerdings schon vor den jüngsten Anschlägen und Amokläufen in Deutschland ergeben, dass die Angst vor dem Terrorismus stark angewachsen ist. 73 Prozent geben als größte Angstursache Terrorismus an. 2014 sagten dies erst 39 Prozent. Im Jahr darauf ist mit der Ausbreitung des Islamischen Staates die Angst vor Terrorismus bereits auf 52 Prozent angestiegen. Die Umfrage wird jährlich seit 1995 durchgeführt. Am wenigsten Angst vor Terrorismus hatten die Deutschen 2001 vor den 9/11-Anschlägen mit 21 Prozent. Danach erfasste die Terrorismusangst 58 Prozent, um dann mit Schwankungen wieder zu sinken. Die Anschläge in Paris und Brüssel haben die Angst vor Terrorismus jedenfalls zu einem Rekordhoch ansteigen lassen, zum ersten Mal rückte sie an die erste Stelle. Die Angst vor Straftaten steigt zwar wieder in den letzten Jahren, ist aber vergleichsweise mit jetzt 30 Prozent relativ gering.

Politischer Extremismus hängt mit Terrorismus zusammen, nicht verwunderlich ist daher, dass 68 Prozent auch davor Angst haben. Danach aber kommt gleich schon die Angst vor "Spannungen durch Zuzug von Ausländern" mit 67 % und die Angst vor Überforderung durch Flüchtlinge 66 Prozent. Dazu kommt, da diese Ängste miteinander zusammenhängen, dass sie sich wechselseitig verstärken werden, auch wenn dies empirisch bei dem einen oder anderen Faktor grundlos sein mag. Verstärkt wird die Angst von dem Gefühl, dass auch die Politiker von der Problemlage zunehmend überfordert sind. Der Meinung sind 65 Prozent der Befragten, was auch heißt, dass sich mehr Menschen politisch außerhalb des traditionellen Parteienspektrums orientieren, nach Alternativen suchen oder sich radikalisieren.

Die Stimmung, dass die Welt aus den Fugen gerät, spiegelte sich insgesamt auch in dieser Studie. Der Angstspiegel ist allgemein so stark wie noch nie angestiegen, der abgefragte Angstindex stieg um 10 Prozentpunkte auf 49 Prozent: "Nie zuvor im Laufe unserer Umfragen sind die Ängste innerhalb eines Jahres so drastisch in die Höhe geschnellt wie 2016", sagte Brigitte Römstedt, Leiterin des Infocenters der R+V Versicherung. Dabei werden die konkreteren Sorgen über Gesundheit, Geld oder Umwelt eher nach hinten gedrängt. Angst vor Terrorismus oder Ausländern ist eher eine abstrakte Angst, es ist weiterhin höchst unwahrscheinlich, zum Opfer eines Terroranschlags oder eines Amoklaufs zu werden. Die Angst schießt weit über die reale Gefährdung hinaus, wodurch auch die Reaktionen leicht ins Irrationale tendieren werden, was wiederum gefährliche Tendenzen verstärken kann.