Bundesregierung zur Atombombe: Klartext oder Märchenstunde?

Kommunaler Ratsbeschluss gegen Atomwaffen von 1958 - Tafel am Alten Rathaus Iserlohn. Foto: Rico Quaschny, 2016

Die Sprecherin des Außenministeriums sagt, die Haltung zu Nuklearwaffen sei "ganz klar". Im Oktober dieses Jahres werden wir wissen, was genau damit gemeint ist

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Die Atombombe ist Erweis einer unüberbietbaren Verachtung des Menschen und aller Lebewesen. Zugleich offenbart diese Waffe, welch ein Abgrund an Zerstörungs- und Todeswahn mit unserer Gattung - dem sogenannten "homo sapiens" - einhergeht.

Die völkerrechtliche Bewertung ist seit 1996 durch den Internationalen Gerichtshof geklärt: Bereits die bloße Androhung eines Nuklearwaffeneinsatzes ist generell (!) völkerrechtswidrig.

Die Position der christlichen Kirchen weist nach jahrzehntelangen Ausweichmanövern inzwischen eine noch größere Eindeutigkeit auf. Schon Bereitstellung und Besitz von Atomwaffen sind moralisch verwerflich, so die im Einklang mit dem Vatikan erfolgte Klarstellung des Fuldaer Bischofs Heinz Josef Algermissen (pax christi-Präsident) vom letzten Jahr. In seiner jüngsten Erklärung vom 3. August bekräftigt der pax christi-Präsident diese Aussage und fordert folgerichtig u.a. den Abzug der Atomwaffen aus Büchel in der Eifel.

Namentlich christdemokratische Politikerinnen wie die Bundeskanzlerin und die derzeitige Ministerin für das Militärressort müssen nun erklären, ob sie den Standpunkt der christlichen Friedensethik teilen. Auf willfährige Atomtheologen der Adenauer-Ära kann sich heute jedenfalls niemand mehr berufen.

Das militärische Interessensbündnis des Westens, dem die einflussreiche Industrienation Deutschland angehört, verfolgt bekanntlich eine andere Linie als der Internationale Gerichtshof (IGH) und die christliche oder humanistische Friedensethik. Atomwaffenfrei sollen jene Staaten sein, die man aus NATO-Perspektive als unberechenbare "Schurken" und potentielle Feinde bewertet.

Das eigene - mit Abstand bedeutsamste - Atomwaffenarsenal soll hingegen modernisiert (Briten haben gespaltene Haltung zu Atomwaffen) werden. Ein neues nukleares Wettrüsten (Zurück im Kalten Krieg und im atomaren Wettrüsten) wie im "Kalten Krieg" gilt als alternativlos. Es kommen Optionen zum Vorschein, die die Abschreckungs-Ideologie alter Machart erheblich verändern. Der vermeintlich eingrenzbare nukleare Massenmord bei Militäroperationen ist hierbei schon kein Tabu mehr.

Bei seiner Kranzniederlegung in Japan hat der einstige Hoffnungsverbreiter Barack Obama es vor kurzem fertig gebracht, das hohe Ideal der einen Menschheitsfamilie zu beschwören und gleichzeitig nicht einen Deut von der US-Geschichtsdoktrin bezüglich der Massenmorde in Hiroshima und Nagasaki abzurücken. Zu den durchweg folgenlosen Anti-Atomwaffen-Voten dieses Präsidenten bleibt als bitteres Fazit: "Bloße Worte mehren nur den Schmerz."

Angesichts der vielen Predigtfloskeln und der beschleunigten Remilitarisierung auch der deutschen Politik ist nun die Haltung der Bundesregierung genau unter die Lupe zu nehmen. Ein bürgerlicher Politiker wie Guido Westerwelle wollte vorzeiten mit der verfassungs- und völkerrechtswidrigen nuklearen Teilhabe Deutschlands mittels US-amerikanischer Atombomben im Land Schluss machen (Atombombe oder Demokratie?). Vor einem halben Jahrzehnt verfolgten die Parlamentarier aller Parteien im Bundestag noch einhellig eben diesen Fahrplan.

Die Verhältnisse haben sich inzwischen durchgreifend verändert: Im Einklang mit dem Konzert der Atomwaffenbesitzer stimmte die deutsche Regierung bei den Vereinten Nationen im Dezember 2015 gegen ein Verbot von Atomwaffen!

Am 5. August hat der deutsche "Abrüstungsbotschafter" bei der UN, Michael Biontini, soeben das Kunststück fertig gebracht, den erneut auf der Tagesordnung stehenden Antrag zum Atombombenverbot als irgendwie schädlich für das internationale Gefüge zu qualifizieren.

B61-Nuklearbomben. Bild: DoD

Vor dem Hintergrund dieser Sachverhalte dokumentiert der deutsche Zweig der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen auf seiner Internetseite eine Pressekonferenz vom 10. August, die man je nach Betrachtungsweise als Posse oder als Hoffnungszeichen bewerten kann. Der Journalist Tilo Jung fragte die Sprecherin des Außenministeriums, Sawsan Chebli, in ruhiger und sachlicher Form:

"Im Oktober 2016 stimmen die UN-Mitgliedsstaaten darüber ab, ob ein Vertrag zum völkerrechtlichen Verbot von Atomwaffen verhandelt wird. Kennt die Bundesregierung schon ihre eigene Haltung? Also, werden Sie dem zustimmen, sich enthalten, oder dagegen stimmen?"

Die Sprecherin antwortete hierauf u.a.:

"Die Bundesregierung steht für eine atomfreie Welt und wird sich in allen Foren, die es dazu gibt [...], dementsprechend positionieren und sich dafür einsetzen. Wir sind leider nicht so weit, wie wir es gerne sein möchten [sic!], aber unsere Haltung ist hier ganz klar."

Im Video zu dieser Pressekonferenz wirkt die stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amtes nach konkreten Rückfragen merkwürdig genervt. Nach erneutem Anschauen des Films fragt man sich ratlos: "Was hat sie denn nun am Ende verbindlich mitgeteilt?"

Die Regierenden in Deutschland verfolgen aus Sicht von Kriegsgegnern den Kurs einer militärischen Macht- und Interessenspolitik mit noch mehr Interventionismus.

Machtpolitische Begehrlichkeiten auf militärischer Grundlage würden ohne "nukleare Teilhabe" - sei sie transatlantisch oder in Zukunft einmal rein "europäisch" - natürlich ins Leere laufen. Man dürfte in diesem Zusammenhang weder auf die Bevölkerung noch auf die Parlamentarier hören. Man müsste auch zwingend ein Atomwaffenverbot auf UN-Ebene sabotieren. Doch wie könnte die Regierung eine solche Attacke wider die Charta der Vereinten Nationen und die Friedensvorgabe unseres Grundgesetzes der Öffentlichkeit erklären?

Der Prüfstein in dieser Sache fällt denkbar einfach aus: Möglicherweise hören wir weiterhin nichtssagende Erbauungsphrasen, Wortneuschöpfungen, Drum-herum-reden und vage Absichtserklärungen, die den Widerspruch zwischen remilitarisierter Politik und verfassungstreuer Friedensrhetorik verschleiern. Oder wir hören im Oktober dieses Jahres aus dem Munde des deutschen UN-Vertreters Klartext.

Die Fragestellung wird allgemein verständlich und eindeutig sein: Votiert Deutschlands Regierung für oder gegen die vorgeschlagene Durchsetzung eines internationalen Verbots der Atombombe? Der laut George W. Bush "größte Philosoph aller Zeiten" meinte vor 2000 Jahren: "Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen."