IWF: "Zunehmende Neigung zur Scheinheiligkeit"

Bild: georgetikis/CC-BY-2.0

Wissenschaftler haben die Kreditbewilligungen und politischen Auflagen des Internationalen Währungsfonds vor und nach der Krise untersucht

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Britische Soziologen von der University of Cambridge haben sich angesichts der Behauptungen des Internationalen Währungsfonds (IWF), nach der Finanzkrise die Anforderungen an die Kreditnehmer reformiert zu haben, die Praxis im Verlauf von 30 Jahren näher angeschaut.

Abgesehen von einem kurzen Intermezzo, so die harsche Kritik in ihrem Beitrag für die Review of International Political Economy, habe sich aber abgesehen von der Rhetorik nichts verändert. Die für Kredite geforderten Strukturreformen seien wieder so wie vor 2008, die Forderung nach Verbesserungen der Bedingungen für die Armen würde nicht eingehalten. Die Autoren sagen, der IWF demonstriere eine "zunehmende Neigung zur Scheinheiligkeit". Die Organisation sei, seitdem sie in einen Mythos über ihre angebliche Praxis errichtete, immer erfinderischer bei der Verneblung der Realität geworden. Man habe die Praktiken einfach umbenannt und sich konzilianter gegenüber Kritikern verhalten, ohne etwas zu ändern.

Der IWF praktiziert die die neoliberale Ideologie und hat schon einige Volkswirtschaften in ein Chaos gestürzt - mit entsprechenden politischen Folgen. Die Finanzkrise hat kurzzeitig viele Ökonomen und Politiker zum Einhalten gezwungen, zumindest oberflächlich. Nicht nur der IWF, dessen Einfluss vor der Krise immer geringer wurde und der dann wieder 2009 zur Bewältigung der Krise gestärkt und mit 750 Milliarden US-Dollar ausgestattet wurde, drang auf Reformen des Finanz- und Bankensystems. Viel ist allerdings nicht geschehen, die Macht der Finanzeliten scheint zu stark zu sein, nach Meinung vieler Experten droht erneut das Platzen einer Blase. Sollte es dazu kommen, dürfte dies schlimmere Folgen haben als 2008. Jetzt haben die Zentralbanken ihr Pulver verschossen, die Staaten sind weiter hoch verschuldet und das Wirtschaftswachstum schwächelt auch wegen der Probleme in den BRICS-Staaten.

Angesichts der Folgen der Finanzkrise wurde der IWF wieder installiert, den etwa David Graeber 2008 schon für bankrott und gescheitert erklärt hatte. Zwischen 2009 und 2014 vergab er allerdings 129 neue Kredite an 76 Länder, und für die Eurokrise wurde er dank des Drängens vor allem deutschen Regierung zu einem wichtigen Bestandteil der Troika. Die Autoren weisen darauf hin, dass IWF-Direktorin Christine Lagarde damals versprochen habe, die übliche Politik zu verändern, die nach dem neoliberalen Credo in harten Austeritätsmaßnahmen, Liberalisierung, Privatisierungen und "Strukturreformen" bestand. "Wir werden das nicht mehr machen", versprach Lagarde, vielmehr sollte mehr Wert auf antizyklische Ausgaben zur Wirtschaftsankurbelung und auf Kapitalkontrollen gelegt werden, während man vor den Folgen hoher Einkommensungleichheit und unzureichender Sozialpolitik warnte.

Das wäre tatsächlich eine Art Revolution gewesen, aber es handelte sich nur um eine veränderte Rhetorik, wie im Fall von Griechenland jeder sehen konnte und kann. Dort wurden, gestärkt durch die deutsche Regierung, die üblichen Strukturreformen und Austeritätsmaßnahmen gefordert, zum Zwist kam es dann nur, als der IWF anmerkte, dass Griechenland so niemals aus der Verschuldung herauskommen könne, und einen wirklichen Schuldenschnitt forderte, den der IWF aber selbst nicht mittragen will und den die deutsche Regierung vor den Wahlen wie den Teufel meidet.

Die Wissenschaftler haben die Kreditbewilligungen und die damit einhergehenden politischen Bedingungen zwischen 1985 und 2014 untersucht, um zu überprüfen, ob sich die IWF-Politik verändert hat und sie jetzt stärker die Konsequenzen für Arbeits- und Sozialpolitik berücksichtigt. Das betraf 131 Länder und über 55.000 Bedingungen zur Kreditgewährung.

Kaum Hinweise auf die vom IWF behauptete "fundamentale Transformation"

Man habe kaum Hinweise für die behauptete "fundamentale Transformation" gefunden. Der IWF habe nach der Krise seine Rolle als zentrale Institution der Krisenbewältigung verstärkt und die alten Bedingungen in die geforderten Reformen eingebaut. Zudem sei seit 2014 ein starker Anstieg der Bedingungen zu beobachten. Zwischen 2008 und 2014 nahmen die strukturellen Anpassungsbedingungen sogar um 61 Prozent zu, womit sie fast die Höhe vor der Krise wieder erreichten.

Der 1944 gegründete IWF, so die Autoren, habe sich die ersten 40 Jahre lang im Wesentlichen daran gehalten, ökonomisch neutral zu bleiben und den Ländern bei Zahlungsschwierigkeiten zu helfen, vor allem durch Reformen zur Reduzierung der Staatsschulden, eine restriktive Geldpolitik und eine Abwertung der Währung. Aber er habe nicht entscheidend in die Wirtschaft der Länder eingegriffen. Das sei erst in den 1980er Jahren anders geworden, als Bedingungen zur Strukturanpassung und damit politische Veränderungen von den Kreditnehmerländern gefordert wurden, also als die neoliberale Ideologie, die mit den Regierungen von Reagan und Thatcher zur Staatsdoktrin wurde, auch im IWF ungesetzt wurde.

Nach dem Umgang mit der Finanzkrise der asiatischen Staaten Ende der 1990er Jahre wurde schließlich die Kritik stärker, man warf dem IWF vor, besonders für Entwicklungsländer große Kollateralschäden zu verursachen, der IWF kündigte an, den Kreditnehmern mehr politischen Raum zu lassen und flexibler zu sein.

Vor der Krise stiegen die von den Kreditnehmern geforderten Bedingungen an und erreichten einen Median von 47 im Jahr 2004, 2007 waren es 42. Besonders krass verhielt sich der IWF 1998 gegenüber Russland und 1999 gegenüber der Ukraine mit 140 geforderten Bedingungen. Nach 2007 sanken sie auf 33-35, um dann ab 2009 für Afghanistan, Bosnien, Griechenland, Haiti oder die Ukraine auf 60 und mehr hochzuschnellen. In den letzten Jahren hat der IWF den Druck auf marktorientierte Reformen wie Privatisierung, Kürzen der Renten, Heraufsetzung des Rentenalters und Deregulierung der Arbeitsmärkte nach den Autoren erhöht, die die Sozialpolitik untergraben können. Zwar seien seit 2012 Bedingungen zur Reduzierung von Armut vor allem bei Ländern südlich der Sahara eingeführt worden, aber sie wurden kaum umgesetzt und blieben auf dem Papier.

Die Autoren konstatieren aufgrund der Ergebnisse ihrer Analyse, dass der IWF weiterhin Reformen durchsetzt, die auf Marktliberalisierung, Reduzierung der Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst oder Senkung der Gehälter ausgerichtet sind. Die Kluft zwischen der Rhetorik und der Praxis sei groß und führe zu einer zunehmenden Scheinheiligkeit. Die könne man auch bei anderen internationalen Organisationen beobachten, die durch Scheinheiligkeit, also dem Vorgeben, sich reformiert zu haben, ihre Legitimität und ihre Ressourcen zu sichern suchen.

Man müsse allerdings genauer untersuchen, wie diese Verschleierungstaktiken institutionell umgesetzt werden, etwa ob dies durch die Führung in Zusammenarbeit mit Regierungen geschieht oder inwieweit auch andere Angestellte der unteren oder mittleren Ebene involviert sind. Unklar sei auch, ob die Staaten, die Organisationen wie den IWF finanzieren und kontrollieren, deren Aktivitäten beeinflussen.