Die Euro-Rettung: eine "einvernehmliche Scheidung"?

Wirtschafts-Nobelpreisträger Stiglitz diagnostiziert einen "Geburtsfehler“. Er plädiert für ein flexibles System mit schwachem und starkem Euro

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Der Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz ist bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Der Professor der Columbia University New York warnte frühzeitig vor den "katastrophale Folgen" der Austeritätspolitik, die in Griechenland besonders gut zu sehen sind. In einem Beitrag für die Financial Times forderte er erneut, wie in all den Krisenjahren, die Austeritätspolitik zugunsten von Wachstumsförderung zu beenden.

Doch in seiner Analyse geht der Wirtschaftsnobelpreisträger nun darüber deutlich hinaus. Er geht davon aus, dass angesichts von fundamentalen und strukturellen Problemen vermutlich eine "einvernehmliche Scheidung" nötig sei. Konkret spricht er sich für ein "flexibles Euro-System" aus, was er in einem möglichen Aufsplittern in einen schwachen Euro für den Süden und einen starken Euro für Norden konkretisiert.

"Es ist wichtig, dass es ein sanfter Übergang raus aus dem Euro ermöglicht wird, mit einer einvernehmlichen Scheidung, möglicherweise zu einem System des 'flexiblen Euro', mit, nennen wir es so, einem starken "nördlichen Euro" und einem weicheren 'südlichen Euro'."

Diese Vorstellung ist tatsächlich nicht ganz neu, ein Europa der zwei Geschwindigkeiten wurde immer wieder debattiert. So wurde 2011 berichtet, dass Frankreich und Deutschland schon konkret an derlei Vorstellungen arbeiten würden. Im vergangenen Jahr wurde zum Beispiel auch schon von einer Parallelwährungfür Griechenland gesprochen.

Andere Möglichkeiten zur Rettung des Euro, "der einfach bei seiner Geburt ein kompletter Fehler" gewesen sei, sieht Stiglitz kaum. Denn vor allem Deutschland stelle sich dagegen, die nötigen Schritte zu gehen, lässt er wenig unverblümt durchblicken. Neben einer Bankenunion, die teilweise auf den Weg gebracht wurde, deren Regeln aber mit der italienischen Bankenkrise schon wieder in Zweifel gestellt werden, müssten neben einer gemeinsamen Einlagensicherung auch die Staatsschulden vergemeinschaftet werden, wie zum Beispiel über Eurobonds. Doch dagegen würde Deutschland weiter einwenden, dass "Europa keine Transferunion" sei.

Dazu fordert er, was sich ebenfalls klar an die Adresse Deutschlands richtet, auch Regeln, um Handelsüberschüsse einzudämmen. Es ist bekannt, dass Deutschland enorme und steigende Überschüsse ausweist. Seit 2012 liegt der deutsche Überschuss ungestraft über der Höchstmarke.

Nach dem Stabilitätspakt dürfte der Überschuss höchstens 6% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) betragen, ein ohnehin sehr hoher Schwellenwert. 2016 soll mit 8,5% eine neue Rekordmarke erklommen werden. Gerade wurde außerdem bekannt, dass der Überschuss des Euroraums im internationalen Warenverkehr in einem ersten Halbjahr noch nie so groß war wie in diesen ersten sechs Monaten. Deutschland trug mit einem steigenden Beitrag zu zwei Drittel dazu bei.

"Die Einheitswährung sollte Wohlstand bringen und für mehr Solidarität in Europa sorgen. Sie hat das Gegenteil erreicht", resümiert Stiglitz. Er kommt angesichts der fehlenden Bereitschaft, die nötigen Maßnahmen für eine solche Gemeinschaftswährung zu ergreifen, eben zu dem Schluss, dass eine Scheidung dann wohl das Beste sei. Denn einigen Ländern erginge es mit dem Euro sogar noch schlechter als den USA während der großen Depression in den 1930er Jahren.

Damit meint er nicht allein Griechenland, sondern spricht auch konkret von Problemen in Portugal und Spanien. Das Problem sei, dass mit der Aufgabe nationaler Währungen zwei zentrale Mechanismen zur Steuerung aus der Hand gegeben wurden. Gemeint sind die nationale Zins- und die Wechselkurspolitik. Da dazu keine Alternativen geschaffen worden seien, wurden makroökonomische Anpassungen schwierig, meint der Wirtschaftswissenschaftler.

Dazu sei die Europäische Zentralbank auf eine Inflationsbekämpfung ausgerichtet und darüber hinaus würden die Defizitregeln die Haushaltpolitik der Regierungen weiter einschränken. Das habe in einigen Ländern auch zu einer extrem hohen Arbeitslosigkeit und zu einem schwächeren Wachstum geführt, als es möglich gewesen wäre.

Stiglitz sieht vor allem Probleme mit der Einheitswährung, da sich die Länder auch in einer Währung verschulden müssten, über die sie keine Kontrolle mehr hätten. Er meint, gute Währungsvereinbarungen können Prosperität nicht sichern, doch schlechte führten in "Rezession und Depression". Für ihn ist eine "Einheitswährung weder nötig noch ausreichend, um eine enge wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zu erreichen". Europa müsse sich deshalb darauf konzentrieren, was zur Erreichung dieses Ziels wichtig sei.

"Das Ende der Gemeinschaftswährung wäre nicht das Ende des europäischen Projekts. Die anderen europäischen Institutionen blieben bestehen: Es gäbe weiterhin Freihandel und Migration."

Ein flexibles Euro-System wäre seiner Auffassung nach eine Strategie, um bisherige Fortschritte der ökonomischen Integration zu wahren, während gleichzeitig Raum für Reformen gewahrt bliebe. Die Einheitswährung höhle dagegen mehr die Fundamente des europäischen Projekts aus und verstärke die Spaltung statt Solidarität.

Eine einvernehmliche Trennung, möglicherweise mit der Einführung des vorgeschlagenen flexiblen Systems, könne in Europa den Wohlstand wieder herstellen und es dem Kontinent ermöglichen, sich mit erneuerter Solidarität den vielen Herausforderungen zu stellen, vor denen er stehe. "Europa muss vielleicht den Euro aufgeben, um das europäische Projekt zu retten", beschließt Stiglitz seinen Beitrag.