Amok in der Männerdämmerung

Männlichkeitswahn ist sicher eine Reaktion auf die Ahnung, dass das Patriarchat weltweit in die Krise gekommen ist - aber das ist nicht alles

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eines der wunderbarsten Phänomene der Mediengesellschaft ist nach wie vor, dass sie nicht nüchtern und klar die offensichtlichste Tatsache im Zusammenhang mit Gewalt benennen kann: Gewalt ist überwiegend männlich. Das gilt auch für die jüngsten Schreckenstaten, die angeblich "den Terror nach Deutschland" brachten - als habe es vorher hierzulande noch nie Terror gegeben. Die Zahl schwerer Gewalttaten sinkt seit fast einem Jahrzehnt Jahr für Jahr, aber eine bemerkenswerte Anzahl von Männern findet nach wie vor Gefallen daran, gewalttätig blöd zu sein.

An Angeboten zum Aggressiven und autoaggressiven Ausagieren ist freilich kein Mangel. Religion, Sport, Krieg, Politik, Konsum, Wirtschaft, Sexismus, Rassismus sind da nur ein paar Beispiele. Nehmen wir nur das echte deutsche Heldentum während der Olympiade in Rio. Der Turner Andreas Toba verletzte sich bei seiner Turnerei schwer, machte aber unter größten Schmerzen weiter, und die Presse fand es so wunderbar wie seinerzeit Schweinis Feldzug als "Blutkrieger".

"On a mountain in South Korea"; Foto: Peter Rimar/gemeinfrei

Die Selbstaufrüstung der Extremsportler, die aus sieben Kilometer Höhe ohne Fallschirm in ein Netz hageln oder sich gar aus dem Weltraum auf die Erde herunterstürzen, findet ihren Spiegel in den Aktionen von Jugendlichen, die ungesichert auf Kirchtürme steigen und oben ein Instagram-Foto von ihren Füßen über dem Abgrund machen.

Angebote für alle

Das ist genauso ein Aspekt der toxic masculinity wie die psychopathische Eiseskälte des Finanzdurchblickers, der gar nicht mehr anders kann als jede Mikrosituation daraufhin auszuloten, ob sie ihn im Wettbewerb mit all den anderen Finanzdurchblickern nach vorne bringt.

Der Islam ist ebenfalls eines der aktuellen Angebote, und zwar eines der wirkmächtigsten. Männern wird im Islam attestiert, dass ihre Herrschaft gottesgefällig ist. Dass Allah als projiziertes Größen-Ich des ihn verehrenden Mannes der beste von allen Göttern ist, steht ja wohl von vornherein fest. Noch schöner am Islam ist, dass er gleich zwei Typen von Testosteron-Junkies hervorbringt: den Dschihadisten und den Abendlandsverteidiger; beide mit Eiern aus Stahl und Köpfen voller Wirsing aus den Zeiten der Kreuzzüge.

An der Allahu Snackbar der islamistischen Versatzstücke kann sich sogar ein Siebzehnjähriger die Bekenntnislumpen zusammensuchen, die er braucht, um auf Touristen in einem Regionalzug einzuhacken, und es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn sich "Identitäre" ihre Kulturkostüme nicht preisgünstig aus dem Internet downloaden könnten (Die Gewalt der Identität).

Man kann das dickste und lauteste Auto fahren, um auf seinen Paarungswillen aufmerksam zu machen, man kann Waffen sammeln, man kann nach bewährter Manier die Frau und die Kinder verprügeln (oder andere Männer), im Internet als Trolletarier wirken, der destruktive Diskursformen kultiviert - ein Mann, der seine Selbstwertschätzung auf der maximal antisozialen Darstellung seiner Männlichkeit aufbaut, muss erst einmal wählen bei dem herrschenden Überangebot auf dem Markt.

Und selbst für diejenigen, die gar nicht hoffen können, in den erwähnten Disziplinen auf den vorderen Plätzen zu landen, gibt’s noch was unter der Ladentheke oder im sogenannten "Darknet": Amok. Wer sich überall zu Recht oder zu Unrecht als Verlierer empfindet, und den Widerspruch zu dem täglichen Ansporn, immer ein Gewinner zu sein, nicht aushält, der kann immer noch in einem Einkaufszentrum um sich schießen und dazu schreien: "Mir ist alles egal, ich töte euch alle", wahlweise mit rassistischer oder islamistischer Sekundärmotivation, das ist dann auch egal. Unsterblichkeit kann so leicht sein, und das Feld der Ehre, auf dem sich Millionen Kamerabesitzer tummeln, ist immer vorbereitet.

Die Konkurrenz als unhinterfragbares Paradigma

Männlichkeitswahn gibt es seit ewigen Zeiten, genauso wie Rassismus und religiöse Überlegenheitsphantasien. Die aktuelle Virulenz dieses Gemischs erklärt sich aber auch aus der Tatsache, dass in der kapitalistischen Realität die Konkurrenz zu einem unhinterfragbaren Paradigma geworden ist; das Konkurrieren hat sich in einen quasinatürlichen Reflex verwandelt, der von höheren Gehirnfunktionen kaum noch erreichbar ist.

Der Mann, der in diesem Affentheater mit Eckzähnen nicht in irgendeiner Weise etwas bieten kann (und sei es durch Irrsinnstaten, die die Selbstvernichtung erfordern), existiert eigentlich gar nicht, und diese Furcht vor der Nichtexistenz begleitet das Leben so gut wie aller Jungen - da braucht es noch nicht einmal aktives Mobbing, welches aber in vielen Fällen noch als selbstverständliche Dreingabe dazukommt. Auf diesem Spielfeld wird eine Idee von Männlichkeit, die immer noch vom Pleistozän geprägt ist, aber heute mit V8-Motoren, Kalaschnikows und dem Internet umgeht, so richtig toxisch.

Toxische Weiblichkeit?

Gibt es toxische Weiblichkeit? Aber sicher. Als einzelne Matrosenfrauen ihre Männer in den Falklandkrieg verabschiedeten, indem sie ihre nackten Brüste herzeigten, war das toxische Weiblichkeit. Wenn Frauen destruktive religiöse Verhaltens- und Denkmuster an die nächste Generation weitergeben, die spezifisch darauf angelegt sind, sie und ihre weiblichen Nachkommen zu Opfern zu machen und ihre Männer und ihre Söhne zu Tätern - was soll das anderes sein als toxische Weiblichkeit?

Weibliche Magersüchtige, die sich auf dem Weg in den Hungertod gegenseitig zu übertrumpfen versuchen, oder Frauen, die glauben, dass Emanzipation darin besteht, jede männliche Blödheit nachzuahmen, sind weitere gute Beispiele dafür. Aber der Krieg, gar der heilige Krieg, der Amok, die manifeste körperliche Gewalt im Allgemeinen sind nun einmal überwiegend Männersache.

Wie etwas verändern? Wenn Hormone, Tradition, Ideologien und Wirtschaftssysteme erst einmal Hand in Hand arbeiten, dann wirkt die Sache aussichtslos. Aber vor allem anderen käme das Eingeständnis, dass es da ein Problem gibt. Damit könnte man ja mal anfangen.