Polen: Comeback des hässlichen Deutschen?

Cover der Gazeta Polska Codzienni vom 19. August.

Seit die Partei PiS Regierungsverantwortung übernommen hat, scheinen pauschale Vorwürfe gegenüber Deutschland wieder hoffähiger zu werden

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Die Gazeta Polska Codziennie war schon am frühen Freitagmorgen in den Warschauer Kiosks fast vergriffen: Auf dem Titelbild starren Kinder hinter dem Stacheldraht des KZ Auschwitz den Käufer an, dazu die Schlagzeile: "Die Deutschen nehmen den Polen die Kinder." Es ist derzeit eines von vielen Beispielen, in denen umstrittene Handlungen deutscher Personen oder deutscher Behörden mit den Verbrechen der NS-Zeit gleichgesetzt werden.

Konkret geht es hier um ein Neugeborenes, welches im schwäbischen Esslingen durch das Jugendamt einer polnischen Mutter weggenommen wurde. Die Polin habe vor der Geburt keinen Arzt konsultiert, die Wohnung sei unordentlich, sie könne das Kind nicht füttern, zitieren polnische Medien das Jugendamt. Die Frau bestreitet die Vorwürfe, mittlerweile hat sich bereits der polnische Justizminister und Generalstaatsanwalt Zibgniew Ziobro in den Fall eingeschaltet.

Seit Mitte November, seit die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Regierungsverantwortung übernommen hat, ist der Ton in Polen rauer geworden. Fast alles, was die zuvor acht Jahre regierende Partei Bürgerplattform erreicht hat, wird in Frage gestellt. Dazu gehören auch die besseren Beziehungen zum westlichen Nachbarn.

Nun scheinen pauschale Vorwürfe gegenüber Deutschland wieder hoffähiger zu werden. Die "Gazeta Polska Codzienna" gilt dabei als eine Zeitung, die die rechtere Strömung der Regierung vertritt. Das rechte Meinungsmagazin "WSieci" arbeitet gern mit dem Mittel der Übertreibung. So geht man aktuell von der Eroberung Londons durch Deutschland aus, da dort die BBC-Serie "Allo, Allo" nicht wiederholt wird - angeblich könnte die Rolle des selbstverliebten Gestapo-Agenten die Zuschauer brüskieren.

"Wie die Deutschen die Geschichte ändern", lautete letzte Woche die Titelzeile des lange Zeit eher liberalen Nachrichtenmagazins "Wprost", das einen deutschen Uniformierten vor einem Konzentrationslager zeigt, der eine polnische Flagge als Armbinde trägt. Angespielt wird so auf den ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter", der auch in Polen ausgestrahlt wurde. In dem Film, der die Verstrickung gewöhnlicher Deutscher im Zweiten Weltkrieg zeigt, wurde die polnische Untergrundorganisation "Heimatarmee" als antisemitisch dargestellt. Gegen das ZDF läuft darum gerade ein Prozess, der von einem Überlebenden angestrengt und von rechten Medien befeuert wird.

Die Angst Polens, als Mitschuldiger und nicht als Opfer des Zweiten Weltkriegs dargestellt zu werden, kam auch letzte Woche in einem Kabinettsbeschluss zum Ausdruck. Formulierungen wie "polnisches Konzentrationslager", was selbst Barack Obama ungeschickterweise gebrauchte (polish death camp), sollen mit Gefängnisstrafen geahndet werden. Parteichef Jaroslaw Kaczynski hat bereits im vergangenen Herbst die Herstellung von "ein bis zwei Hollywoodfilmen" angekündigt, um zu zeigen, wie der Krieg in Polen ausgesehen hat.

"Die Geschichte trennt uns"

In Polen starben während des Zweiten Weltkriegs fast sechs Millionen Menschen, das Land ist voller Denkmäler, die an deutsche Verbrechen erinnern. Das Gedenken an den Warschauer Aufstand (1. August 1944) dominiert jedes Jahr die polnische Öffentlichkeit.

Doch hat sich seit der Wende zwischen Polen und Deutschen viel getan und die Annäherung findet nicht nur auf der offiziellen, höheren Ebene statt. Laut dem deutschen Städtetag existieren bereits 581 deutsch-polnische Städtepartnerschaften, mit dem deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag 1991 wurde das deutsch-polnische Jugendwerk gegründet, das nach eigenen Angaben bereits 2,7 Millionen deutschen und polnischen Jugendlichen den Austausch finanziert hat. Die polnische Regierung hat dieses Jahr auch einer Erhöhung ihres Anteils für das Jugendwerk zugestimmt. Doch so recht steht man nicht zu dieser Kooperation. So war es noch im Mai nicht klar, ob die Feierlichkeiten zu 25 Jahre deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag Mitte Juni in Berlin und Warschau wirklich stattfinden konnten.

Die lobenden Worte von Präsident Andrzej Duda und Premierministerin Beata Szydlo für das Gemeinsame stießen dann dem eigentlichen Landeschef Jaroslaw Kaczynski wohl ungut auf. Eine Woche später nutzte er das Brexit-Ergebnis, um mit Deutschland und seinem Hegemoniestreben scharf abzurechnen. "Die Geschichte trennt uns", so Jaroslaw Kaczynski auch gegenüber der Bild-Zeitung Ende Juli, verbinden würden die beiden Länder Handelsbeziehungen.

In den Nachrichtensendungen des Staatssenders TVP laufen nach einer Gleichschaltung der Öffentlich-Rechtlichen nun ausschließlich Beiträge mit kritischem Unterton über das Nachbarland, oft mit Verweisen auf die Geschichte. Schließlich wurden in den Staatsmedien dutzendweise Journalisten von Rechtspostillen übernommen und liberaler Gesinnte gefeuert. Bezeichnender sendete TVP2 den Film "Die Kreuzritter", der die verlorene Schlacht der Ordensritter gegen ein polnisch-litauisches Heer beschreibt, während auf TVP1 das EM-Spiel Deutschland gegen Polen lief. Der Streifen aus dem Jahre 1960 gilt als größter Erfolg des polnischen Kinos in der sozialistischen Volksrepublik.

Die Angst vor einem möglichen deutschen Revanchismus war lange der große gemeinsame Nenner, auf den sich die Führung der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei verlassen konnte. Da die PiS derzeit viele Muster aus der Zeit der polnischen Volksrepublik wieder anwendet (mehr Staatsgewalt, mehr Kontrolle durch den Staat, Rechtsstaat und Öffentlich-Rechtliche Medien unter Einfluss der Partei), scheint es nur folgerichtig, wenn der Deutsche als Feindbild genutzt werden kann. Wobei dies in den Staatsmedien und auf Regierungsebene noch nicht explizit geschieht.

"Erbarmungsloser Hybridkrieg" gegen Polen

Unter den rechten Publizisten gibt es unterschiedliche Stoßrichtungen, einige wollen der deutschen Öffentlichkeit ihre Standpunkte nahebringen, die sich teils auch mit liberaleren Polen decken - so eine kritischere Haltung zu Russland oder ein Verständnis für Polens ablehnende Haltung gegenüber Flüchtlingen. Die "Gazeta Polska Codzienna" ging darum mit ihrem Titel auch vielen regierungsnahen Medien wie "Do Rzeczy", "Rzeczpospolita" und TVP Info zu weit.

Es bleibt zu hoffen, dass angesichts kommender Reibungsthemen wie der Flüchtlingspolitik der Ton aus Warschau nicht schärfer wird. Doch es schaut nicht danach aus. In der aktuellen Ausgabe von "wSieci" beschwert sich der PiS-Abgeordnete und Wirtschaftsberater Janusz Szewczak über die deutschen Medien und die polnischen in Verlagen mit deutschem Kapital. Diese würden einen "erbarmunglosen Hybridkrieg" gegen Polen führen. Polen würde als Land primitiver, böser und dummer Menschen dargestellt, deutsche Medien betrieben Geschichtsverfälschung, wofür sie millionenschwer bezahlen müssten.

Wann unternehmen endlich die staatlichen Organe und die Justiz Polens nach dem Gesetz vorgesehene, entschlossene und erfolgreiche Schritte, um endlich den Vormarsch der deutschen "Medienhunnen" und ihren Helfern, die so tun als ob sie Journalisten wären, zu stoppen?

Janusz Szewczak

Ob dies schon eine Aktion der Regierung gegen deutsche Verlage oder Journalisten einleitet oder nur eine nicht abgesprochene Meinung eines Abgeordneten darstellt, ist noch offen.