Die Unruhe des Geldes

Grafik: TP

Dirk Baecker über die Ambivalenz der modernen Ökonomie

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Die modernen Geldverhältnisse haben die ständischen Hierarchien vormodernen Gesellschaften nivelliert, aber auch neue wachsen lassen. Außerdem oktroyieren sie der Gesellschaft ihre eigene Taktung auf. Ist das nun ein ökonomisches Problem oder eines der Politik? Ein Gespräch mit dem Soziologen Dirk Baecker.

Herr Baecker, Sie stellen die These auf, dass das Geld die Unruhe in unsere Gesellschaft gebracht habe: Was verstehen Sie darunter und werden diese Verhältnisse auf die Dauer nicht doch etwas zu turbulent?

Dirk Baecker: Ja, das Geld hat eine beachtliche Unruhe in die Gesellschaft gebracht. Es löst Beziehungen, auf die verwandtschaftlich oder gemeinschaftlich vorher bestanden haben. Und es knüpft neue Beziehungen, für die der Moralhaushalt einer Gesellschaft zunächst einmal kein Verständnis hat. Niklas Luhmann hat in diesem Zusammenhang von der nicht nur symbolischen, Dinge neu zusammenbringenden, sondern auch diabolischen, Dinge trennenden, Funktion des Geldes gesprochen.

Aber die These hat noch eine andere Seite. Das Geld fängt eine beachtliche Unruhe der Gesellschaft auch auf. Das wissen wir spätestens seit René Girards Forschungen zur rivalisierenden Imitation in späten Stammesgesellschaften, etwa im vorhomerischen Griechenland. In allen Gesellschaften konkurrieren Menschen miteinander, um Frauen, um Prestige, um Ruhm und Ehre. Solange die "Güter", um die konkurriert wird, knapp sind, brechen immer wieder sogenannte Opferkrisen aus, in denen der zunehmend gewalttätige Wettbewerb nur dadurch zum Stillstand gebracht wird, dass ein Opfer, irgendein Schurke, ein Sündenbock gefunden wird, dem die Verursachung deren Krise in die Schuhe geschoben wird.

Sie gehen also von einer quasi pazifizierenden Wirkung des Geldes aus?

Dirk Baecker: Geld hat die von Aristoteles vielfach beklagte Eigenschaft, nahezu nach Belieben (abhängig von der Kreditschöpfung durch Palastwirtschaften) gesteigert werden zu können. Das heißt, man kann eine gewaltfreie Konkurrenz um Reichtum ermöglichen, die eine in jeder Hinsicht zivilisierende Wirkung hat. Die Situation heute ist damit natürlich nicht in jeder Hinsicht vergleichbar. Es überwiegt der Neid auf diejenigen, die es sich leisten können, an der Reichstumskonkurrenz teilzunehmen. Und es wirkt zynisch gegenüber den Armen, wenn man diejenigen bemitleidet, die an dieser Konkurrenz teilnehmen.

"Der wichtigste Störfaktor ist die Politik"

Arbeitslosigkeit, Migrationsströme, Umweltzerstörung: Wie kann es sein, dass ein an sich rationelles Verhältnis wie der Warentausch solche Monster gebiert?

Dirk Baecker: Sind wir denn sicher, dass der Warentausch daran schuld ist? Was ist mit denen, deren Macht es ihnen ermöglicht, den Zugang zu Märkten auszuschließen, und sich ohne Ende die Renten aus der Ausbeutung von Ressourcen anzueignen? Was ist mit denen, deren Macht es ihnen ermöglicht, die Produktion welcher Güter auch immer zu subventionieren und ihren Absatz auf Märkten, die sich gerade erst entwickeln, zu erzwingen? Was ist mit denen, auf die der peruanische Ökonom Hernando de Soto aufmerksam macht, denen es an jenen minimalen verschriftlichten und verrechtlichten Eigentumstiteln mangelt, um auch nur anfangen zu können, an Investitionen zu denken?

Man darf die Freiheit und Wachstum fördernden Wirkungen von Märkten wahrhaftig nicht überschätzen. Zu sehr neigen Kaufleute wie Konzerne dazu, den Wettbewerb, dem sie ihren Erfolg verdanken, gleich im nächsten Schritt nach Möglichkeit zu beschränken. Schon Adam Smith hat dieses Lied gesungen und er wusste noch nichts von Konzernen, die ja mittlerweile in Sachen Gütern, Dienstleistung, Finanzierung und Arbeit ihre eigenen "Märkte" sind. Aber der wichtigste Störfaktor ist doch nach wie vor die Politik, sei es, das sie zu viel Macht hat und sich selbst die Märkte aneignet (siehe das Phänomen der "deep states"), sei es, dass sie zu wenig Macht hat und unter den Folgen der von ihr selbst in die Welt gesetzten Deregulierung leidet.

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