Türkischer Giftgasangriff?

Attacken türkischer Truppen und verbündeter dschihadistischer Milizen auf Selbstverteidigungskräfte Rojavas eskalieren. Berichte über Giftgaseinsatz südlich von Jarabulus

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Bislang haben die türkisch-islamistischen Invasionstruppen, die seit dem 24. August auf nordsyrisches Territorium vordringen, kein einziges Gefecht mit der Terrormiliz Islamischer Staat geführt. Das ganze Grenzgebiet wurde von den Dschihadisten geräumt.

Die massiven Angriffe der türkischen Armee und verbündeter dschihadistischer Milizverbände richten sich bisher ausschließlich gegen Einheiten der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), die dem türkischen Vormarsch verzweifelt Widerstand leisten. In dem vom Islamischen Staat weitgehend geräumten Grenzgebiet findet eine Art Wettlauf statt, bei dem die SDF bemüht ist, die türkisch-dschihadistische Expansion im Grenzgebiet einzudämmen, während die Invasionstruppen die SDF möglichst weit südlich zurückzuwerfen versuchen.

Laut US-Angaben haben sich die kurdischen Teile der SDF, die Volksverteidigungseinheiten YPG, aus den Gebieten westlich des Euphrats zurückgezogen, um die Offensive auf Rakka vorzubereiten. Geblieben sind westlich des Euphrat die lokalen, nichtkurdischen Verbände, die inzwischen rund 40 Prozent der SDF ausmachen.

Jaysh Thuwwar, Miliz der SDF, Screenhot aus einem Video, Dr. Partizan

Bei ihren Angriffen - die sich bisher ausschließlich gegen die SDF richteten - setzt die türkische Armee Artillerie, Panzer und Kampfflugzeuge ein. Im Zentrum der Kämpfe befindet sich die am Euphrat gelegene Ortschaft Amarinah, die trotz heftigen Artilleriebeschusses und etlicher türkischer Luftangriffe von den lokalen Gruppen der SDF eingenommen werden konnte. Die angreifenden islamistischen Milizen konnten hier erstmals erfolgreich zurückgeschlagen werden.

Nach diesem erfolgreichen Gegenangriff der SDF tauchten verstörende Bilder und Videos aus dem Umkreis der Ortschaft Amarinah in den sozialen Netzwerken auf, die den Einsatz von Giftgas durch türkisch-dschihadistische Milizen belegen sollen: Zivilisten mit Hautverätzungen, wie sie nach chemischen Angriffen auftreten, sind auf den Bildern zu sehen.

Nach Angaben der SDF sollen Raketen aus Richtung Jarabulus abgefeuert worden sein, die mit chemischen Kampfmitteln gefüllt waren. Auch die syrische Nachrichtenseite Al Masdar News meldet inzwischen diesen Vorfall, bei dem "Dutzende von Zivilisten" verletzt worden sein sollten. Eine unabhängige Bestätigung dieses potenziellen Kriegsverbrechens steht noch aus.

Propaganda des türkischen Militärs

Afrin und Türkei

Neben der Eskalation südlich von Jarabulus geht die türkische Armee mit Milizanhang auch in dem westlichen, isolierten Rojava-Kanton Afrin in die Offensive. Die türkische Artillerie beschießt massiv die von der SDF gehaltene Menegh-Luftwaffenbasis sowie die nördlich von Aleppo gelegene Stadt Tal Rifaat.

Aus dieser Stadt wurden ebenfalls Luftangriffe der türkischen Luftwaffe gemeldet. Kämpfe und Mörserduelle zwischen den SDF und den türkischen Islamistenmilizen wurden aus Marea und Kaljibrin im Azaz-Korridor berichtet. Überdies zieht die türkische Armee weitere Kräfte vor der Stadt Tel Halaf im Osten Rojavas zusammen.

Zudem scheint die türkische Intervention auch die militärischen Auseinandersetzungen in der Türkei weiter anzufachen, wo Erdogan ethnische Säuberungskampagnen gegen die kurdische Minderheit im Südosten des Landes führt.

In Cizre, von der türkischen Armee weitgehend zerstört, wurden elf Polizisten bei einem Anschlag getötet, für den türkische Regierungsvertreter umgehend die PKK verantwortlich machten.

Der syrische Bürgerkrieg droht somit, auch auf die Türkei überzugreifen, die bislang mit Zustimmung der NATO - und unter weitgehender Ignoranz der westlichen Mainstreampresse - ihren schmutzigen Krieg gegen die türkischen Kurden führen konnte.