"Das Schachbrett des Teufels"

Interview mit dem Allen-Dulles-Biographen David Talbot

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Nur wenige Menschen haben den Verlauf der Geschichte im 20. Jahrhundert nachhaltiger beeinflusst als der Wallstreet-Anwalt und CIA-Chef Allen Dulles. Selbst im Ruhestand rangierte der mächtige Strippenzieher im US-Establishment noch über dem Vizepräsidenten. Historiker ziehen es überwiegend vor, das in vielfacher Hinsicht unangenehme Thema auszulassen, obwohl Dulles’ Intrigen zum Verständnis der 40er, 50er und 60er Jahre und dem Geheimdienstwesen der USA unerlässlich sind.

Allen Dulles. Bild: US Governement

Nun erschien im Westend-Verlag eine deutsche Fassung der beeindruckenden Biographie Das Schachbrett des Teufels - Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg Amerikas heimlicher Regierung, die weder die Verstrickungen des Intriganten mit den Nazis noch dessen zentrale Rolle beim Kennedy-Attentat auslässt. Autor David Talbot ist Gründer der unabhängigen journalistischen Plattform Salon.com und fungierte u.a. als Herausgeber des linksliberalen Magazins "Mother Jones". Talbots gefeierte Biographie "Brothers" (2008) über die Kennedys wurde ein Bestseller. Während er in "Brothers" die Attentate auf die beiden Brüder nur am Rande behandelte, löst Talbot mit seiner Dulles-Biographie überzeugend alle wesentlichen Rätsel des Kennedy-Puzzles.

Allen Dulles beeinflusste den Verlauf des Zweiten Weltkriegs, bereitete den Kalten Krieg während des heißen vor und bescherte Westdeutschland mit der Organisation Gehlen einen obskuren Geheimdienst. Sind Sie überrascht, dass der für die deutsche Geschichte so bedeutende Dulles hierzulande praktisch unbekannt ist?

David Talbot: Ja! "Die Vergangenheit ist niemals tot", wie uns William Faulkner gesagt hat. "Sie ist nicht einmal Vergangenheit". Dies ist sehr wahr im Fall von Allen Dulles, der, wie Sie sagten, nicht nur bei der Erschaffung der Organisation Gehlen half, sondern auch von Deutschlands Geheimdienst-Establishment. Die äußerst paranoide Sicht auf Russland, die Männern wie Allen Dulles und Reinhard Gehlen zu eigen war, behauptet sich mal wieder auf der Bühne der Welt. Und viele der Sicherheitstechniken die heute eine hitzige Debatte provozieren - inklusive Entführung, Folter, politischer Mord, "Black Site"-Lager und Massenüberwachung aller Bürger - haben ihre Ursprünge in der Dulles-Ära. Die Vergangenheit ist niemals tot, in der Tat.

In den wenigen deutschen Publikationen, die Allen Dulles überhaupt erwähnen, etwa im Zusammenhang mit Fritz Kolbe, wird er als "Meisterspion" gefeiert. Zu Recht?

David Talbot: Nein. Dulles war als amerikanischer Top-Spion im kontinentalen Europa während des Zweiten Weltkriegs ein Desaster. Er nutzte seinen Posten im schweizerischen Bern, um seine eigene Politik voranzutreiben - nämlich einen Separatfrieden mit Nazi-Emissären auszuhandeln, im direkten Widerspruch zur von den Alliierten verlangten bedingungslosen Kapitulation. In mehrfacher Hinsicht hatte Dulles mehr mit dem Nazi-Regime gemein als seinem eigenen obersten Dienstherrn, Präsident Franklin Roosevelt. Denn die von ihm und seinem Bruder John Foster Dulles geleitete Wallstreet-Kanzlei hatte seit vielen Jahren Geschäfte mit Mitgliedern von NS-Staatsfirmen gemacht, und Allen hielt diese Kanäle während des Krieges weiterhin offen. Die Dulles-Brüder sahen in der Sowjetunion den Hauptfeind des Westens - eine Sichtweise, die von vielen ihrer Deutschen Partner geteilt wurde.

Das Buch von David Talbot über Allen Dulles ist eben im Westendverlag erschienen: Das Schachbrett des Teufels. Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg Amerikas heimlicher Regierung.

Während des Kalten Krieges unterminierten Dulles‘ ideologische Ansichten weiterhin seine geheimdienstlichen Einschätzungen, bis hin zur katastrophalen 1961er CIA-Invasion auf Kuba in der Schweinebucht, vor der Dulles Präsident Kennedy versichert hatte, das wäre eine ruhige und einfache Sache. In Wirklichkeit wusste Dulles, dass die CIA-unterstützte Brigade von Exil-Kubanern keine Herausforderung für Fidel Castros Militär war - aber er dachte, dass sich der junge amerikanische Präsident in der Hitze des Gefechts dazu genötigt sähe, die volle Kraft der US Air Force und der Marines zu entsenden. Dieses Mal klappte Dulles' Schachzug nicht. Kennedy gab dem Druck nicht nach, und so war Dulles Karriere vorbei - zumindest offiziell.

Wie reagierte die US-Öffentlichkeit darauf, dass Dulles Roosevelt den Holocaust verschwieg und mit Nazideutschland anrüchige Geschäfte gemacht hatte?

David Talbot: Das amerikanische Volk wurde hierüber während des Kriegs grundsätzlich in Unkenntnis gelassen. Doch die Dulles-Brüder und ihre Gesinnungsgenossen in Zirkeln der Republikaner und der Wall Street wurden von der Roosevelt-Administration als Hochverräter angesehen. Wenn Roosevelt nicht in den letzten Wochen des Kriegs gestorben wäre, hätte die Roosevelt-Administration nachweislich die Dulles-Brüder und ihre Kumpanen wegen Verrats angeklagt.

1956 bot BND-Chef Gehlen seinem Förderer Allen Dulles für den Fall eines Wahlsiegs der Sozialdemokraten in Westdeutschland einen Staatsstreich von rechts an, wie er um diese Zeit in Griechenland, in etlichen Ländern in Afrika, Mittel- und Südamerika, sowie in Indonesien geschah. Wie realistisch wäre eine solche Option aus US-Sicht gewesen?

David Talbot: Ich glaube, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass dies passiert wäre. Bedenken Sie, dass die Dulles-Brüder die Außenpolitik unter Präsident Eisenhower dominierten, mit John Foster als Außenminister und Allen als CIA-Direktor. Westdeutschland wurde als Frontlinie im Kalten Krieg gesehen und die Dulles-Brüder demonstrierten wiederholt, wie weit sie gehen würden, um US-Interessen zu schützen, selbst wenn dies eine aggressive Störung der Souveränität eines ausländischen Partners bedeutet hätte.

Wie ich im "Schachbrett des Teufels" geschrieben habe, war ein paar Jahre später der französische Präsident Charles de Gaulle überzeugt, dass Dulles’ CIA hinter dem französischen Militärstaatsstreich stand, der ihn als Präsident stürzen sollte - ein anderer dramatischer Moment in der europäischen Geschichte, während dem die französische Demokratie nur überlebte, weil die populäre Unterstützung für de Gaulle überwältigend in den Straßen von Paris gezeigt wurde.

Der Militärgeheimdienstler Fletcher L. Prouty deutete an, der Abschuss der U2 könne von Allen Dulles forciert worden sein, um ein vorzeitiges Ende des Kalten Kriegs zu verhindern. Plausibel?

David Talbot: Erneut: ja. Prouty - ein Verbindungsmann zwischen der U.S. Air Force und der CIA - war in einer guten Position, um dies zu überschauen. Er arbeitete eng mit Dulles und wusste, wozu dieser fähig war. Die Dulles-Brüder waren entschlossen, rücksichtslos den Druck auf Moskau aufrecht zu erhalten und sahen jede diplomatische Anstrengung in Richtung Entspannung als ein Zeichen von Schwäche. Gegen Ende seiner Präsidentschaft war Dwight Eisenhower gewillt, Schritte in Richtung Frieden mit dem Chruschtschow-Regime zu gehen, und er sah das Gipfeltreffen in Genf mit den Sowjets als seine letzte Chance dazu.

Doch der Abschuss des U2-Spionageflugzeugs kurz vor dem Treffen ruinierte diese letzte Hoffnung auf Frieden. Eisenhower war wütend auf Dulles, der Eisenhower zur Genehmigung des Flugs gedrängt hatte, trotz der Bedenken des Präsidenten, wobei Dulles Eisenhower versicherte, das die hochfliegende Maschine außer Reichweite der sowjetischen Raketen sicher sei. Prouty argwöhnte, dass das Flugzeug manipuliert gewesen sei, um es verwundbarer zu machen. In jedem Fall ruinierte der Absturz das Gipfeltreffen und Eisenhower beklagte sich bitter über Dulles, der ihm ein "Erbe aus Asche" hinterlassen habe.

Warum stellte sich keiner der mächtigen Dulles-Brüder jemals selbst zu einer Wahl?

David Talbot: Tatsächlich haben das beide getan, allerdings mit desaströsen Ergebnissen. Allen wurde schwer geschlagen, als er sich 1938 für den Kongress im Manhattan-Bezirk aufstellen ließ, von einem Gegner, der den Wählern erzählte, dass Dulles in der Tasche der Wall-Street-Interessen stecke. Sein Bruder John Foster verlor 1949 seinen eigenen Wahlkampf für den Senat. Mit ihren patrizierhaften und rechthaberischen Empfindungen fehlte den Brüder klar das Fingerspitzengefühl für das Populäre, das Gerangel demokratischer Politik.

Warum protegierten die Dulles-Brüder, die normalerweise ihre Millionärsfreunde unterstützten, den aus einfachen Verhältnissen stammenden Richard M. Nixon?

David Talbot: Nixon bewies sich als nützliches Werkzeug der Dulles-Brüder: Ein rücksichtslos ambitionierter und gerissener Politiker, der nur allzu willig war, als ihr Ausputzer für die verbliebenen Mitglieder von Rossevelts New Deal zu fungieren. Nixon wurde ein führender Kalter-Kriegs-Inquisitor, der politische Gegner der Dulles-Brüder als kommunistische Verräter brandmarkte und aus dem öffentlichen Leben beförderte.

John Foster Dulles gewann Nato-Chef Dwight D. Eisenhower für eine Kandidatur mit dem Versprechen, den Ostblock atomar anzugreifen. Auch Militärs wie Curtis LeMay und Lyman Louis Lemnitzer wollten einen Dritten Weltkrieg beginnen, als die CIA die fehlende Zweitschlagskapazität der Sowjets erkannte. Wäre das Pentagon für eine Beseitigung der insoweit unkooperativen Kennedys auf Dulles angewiesen gewesen?

David Talbot: Die Arroganz der Kalten-Kriegs-Elite war wahrhaft beängstigen in der Zeit, als Kennedy Präsident wurde, und viele hochrangige Pentagon- und CIA-Leute waren überzeugt, dass die Vereinigten Staaten einen Atomkrieg mit der Sowjetunion "gewinnen" könnten. Die Aussicht auf so einen Krieg erschreckte JFK, und er war entschlossen, einen Weg zum Friedensschluss mit Chruschtschow zu finden, insbesondere nach der kubanischen Raketenkrise im Oktober 1962, welche die Welt an den Rand des Atomkriegs brachte.

Tatsächlich gab es einen breiten Konsens, nicht nur in diesen Washingtoner Zirkeln, sondern auch in solchen der Wall Street, dass Kennedy ein schwacher Präsident sei und die Nation in Gefahr bringe. Ich glaube, dass Allen Dulles - der als "Vollstrecker" der amerikanischen Machtelite gesehen wurde - der Auftrag gegeben wurde, Kennedy gewaltsam aus dem Amt zu entfernen. Anschließend übernahm Dulles die Führung, um das Cover Up des Verbrechens zu arrangieren, aus seiner praktischen Position in der Warren Kommission, dem offiziellen Untersuchungsausschuss.

Vor dem Attentat in Dallas besuchte John F. Kennedy Italien und segnete dort eine Koalition zwischen den Sozialisten und den Christdemokraten ab, wodurch er Dulles Politik konterkarierte. Waren den Kennedys die Manipulationen der CIA wie die Finanzierung und Protektion der italienischen Christdemokraten in Italien unbekannt?

David Talbot: Ich glaube, dass Kennedys Kreise von den verdeckten Aktivitäten in Italien wussten. Kennedys Berater Arthur Schlesinger Jr. war teilweise über die italienische politische Szene informiert, und er war verantwortlich, Kennedy für die Unterstützung einer sogenannten "Offenheit zu den Linken" überzeugt zu haben. Davon, dass die Sozialistische Partei mit den Christdemokraten eine Links-Mitte-Einheitspartei bilden kann - ein Plan, der, wie Sie sagen, von Dulles‘ CIA erbittert abgelehnt wurde.

JFK versuchte ein Gegengewicht zu den CIA-Zahlungen an die Christdemokratische Partei zu schaffen, indem er finanzielle Unterstützung aus den USA von linksliberalen Quellen wie der Gewerkschaft United Auto Workers Union arrangierte. Kennedys Ziel war die Stärkung der nicht-kommunistischen Linken in Italien - aber selbst das betrachtete Dulles‘ Bande als Verrat.

Zu den dreistesten Aspekten des Kennedy-Attentats gehört die Tatsache, dass man zur Aufklärung ausgerechnet Dulles und seine Freunde in die Warren-Kommission (1963) und die Rockefeller-Kommission (1975) berief. Lag Dulles mit seiner Einschätzung richtig, dass das US-amerikanische Volk nicht liest?

David Talbot: Nein, Dulles lag falsch mit seiner paternalistischen Attitüde gegenüber dem amerikanischen Volk. Zu seinem großen Entsetzen wurde der Warren-Report von der Öffentlichkeit mit zunehmender Skepsis aufgenommen, und frühe Kennedy-Verschwörungs-Bücher wie "Rush to Judgment" und Edward Jay Epsteins "Inquest" wurden Bestseller. Wie ich in meinem Buch geschrieben habe, versuchte Dulles hartnäckig die Medienberichterstattung über die Ermordung und die zweifelnden Kritiker am Warren Report wie Lane oder den Bezirksstaatsanwalt von New Orleans Jim Garrison zu manipulieren.

AIdentification Card of Allen W. Dulles. Bild: CIA

Doch für den Rest von Dulles‘ Leben setzte sich die öffentliche Kontroverse um den Warren-Report und seine Alleintätertheorie immer weiter fort. Gegen Ende seines Lebens wurde Dulles an der Universität von Kalifornien in Los Angeles face-to-face von einem Ingenieursstudenten damit konfrontiert, der den Kennedy-Fall sehr genau studiert hatte. Die Fragen die ihm der Student in einem öffentlichen Forum stellte, und der fotographische Beweis, den er ihm vor Augen führte, hinterließen den alten Mann schwer getroffen. Der Student, David Lifton (der dann seinen eigenen Bestseller über die Ermordnung schrieb - "Best Evidence"), erzählte mir, dass er sich während der Begegnung mit Dulles in der "Gegenwart des Bösen" gefühlt habe.

Das Church-Komitee verhörte 1975 den Leiter des CIA-Mordteams, William King Harvey, der aus seiner Todfeindschaft gegen die Kennedys keinen Hehl machte. Massive Indizien sprechen für den Verdacht, dass Harvey das Attentat in Texas vorbereitet hatte. Wieso ließ man Harvey ungeschoren?

David Talbot: Harvey war tatsächlich ein Hauptverdächtiger im Kennedy-Fall - ein schießwütiger Kennedy-Hasser, den Dulles zum Leiter der Mordversuche gegen Fidel Castro gemacht hatte. Harvey hatte Zugang zu Waffen und Profikillern - und er hatte ein Motiv, um Kennedy zu ermorden, den er als schwachen und feigen Anführer betrachtete, der die Anti-Castro-Rebellen in der Schweinebucht betrogen hatte. Doch, wie er wahrheitsgemäß vor dem Church Committee aussagte, war Harvey der Typ von Mann, der Befehle ausführt - er hätte kein "eigenmächtiges" Komplott zur Tötung des Präsidenten organisiert, wenn er nicht das Gefühl gehabt hätte, dass die ihm übergeordneten Beamten, eingeschlossen Leute wie Dulles, dies autorisiert hätten.

Dies ist der Grund, warum die Ermittler des Kongresses nicht alle Wege der Untersuchung beschritten haben - die politischen Figuren, die das Church Committee und später das House Select Committee on Assassinations betrieben, spürten, dass bei einer vertieften Durchleuchtung ihre Untersuchung in jedem Falle zur Spitze der CIA und darüber hinaus führen würde. Dies war dicht vermintes Gebiet.

Jedenfalls starb Harvey 1976 an einem Herzschlag, womit er der CIA jegliche Befürchtung ersparte, bei einer vertieften Untersuchung freier zu sprechen. Tatsächlich lebte in dieser Zeit eine Reihe an Hauptzeugen im Kennedy-Fall bequemerweise ab, wenn die Ermittler damit begannen, endlich Licht in die Ermordung zu bringen.

Der australische Historiker Greg Poulgrain sieht die Morde an Dag Hammarskjöld und John F. Kennedy u.a. in Zusammenhang mit Interessen von Dulles Freund und Mandanten Rockefeller an Bodenschätzen in Indonesien. Was halten Sie von der These?

David Talbot: Mir sind diese Verdächtigungen bekannt, aber ich habe keine eigene Untersuchung angestellt, so dass ich das nicht kommentieren kann. Jedenfalls aber kann ich sagen, dass Zentralafrika, wo Hammarskjöld bei einem verdächtigen Flugzeugabsturz starb, voller Geheimdienst-Intrigen war. Der UN-Generalsekretär versuchte im Auftrag von Patrice Lumumba, dem charismatischen Anführer des Kongo, zu intervenieren. Der forderte mit der Kontrolle seiner jungen Nation an an den Bodenschätzen starke westliche Interessen heraus, inklusive die der American Metal Climax (jetzt: AMAX), die von der Rechtsanwaltskanzlei der Dulles-Brüder repräsentiert wurde.

Die CIA arrangierte die Gefangennahme und Exekution Lumumbas im Januar 1961, um sicher zu gehen, dass die Ermordung vor der Inauguration Kennedys als Präsident erledigt sei, denn wie Hammarskjöld versuchte JFK, den kongolesischen Politiker vor seinem ultimativen Schicksal zu bewahren. Nachdem er den brutalen Mord an Lumumba arrangiert hatte, verheimlichte Dulles die Nachricht von dessen Tod vor Kennedy mehrere Wochen.

Ich möchte auch noch anmerken, dass die Rockefeller-Brüder - namentlich der Bankier David Rockefeller und der Politiker Nelson Rockefeller - eng mit den Dulles-Brüdern verbandelt waren. Und die Rockefellers teilten Allens tiefe Ablehnung von JFK. (John Foster war während der Präsidentschaft Kennedys bereits tot.) Ich glaube, dass 1963 in den Industrie- und Sicherheitszirkeln, welche die Rockefellers und Dulles dominierten, ein Konsens darüber erwuchs, dass Kennedy ein Problem sei, das gelöst werden müsse.

Die einflussreiche Illustrierte DER SPIEGEL, die in ihren ersten Jahrzehnten vom BND gesteuert wurde, zieht noch heute Zweifel an der offiziellen Version des Kennedy-Attentats ins Lächerliche. Hat Dulles gewonnen?

David Talbot: Ja, wenn man Erfolg daran misst, wie die Industrie-Medien an ihren Glauben an den Warren-Report festhalten - dann hat Dulles in der Tat gewonnen. Der 50. Jahrestag von Kennedys Ermordung, im November 2013, war eine widerwärtige Zurschaustellung der Medienkonformität und Feigheit. Mit sehr wenigen Ausnahmen haben die Medien einfach die Gelegenheit zur Wiederholung jahrzehntelanger Lügen und Fabrikationen über den "Alleintäter" Lee Harvey Oswald genutzt. In dieser Lawine von Desinformation war jeder Hinweis auf die Arbeit des Church Committee oder des House Select Committee on Assassinations verloren, obwohl sogar das HSCA zu dem Schluss kam, dass Kennedy als Ergebnis einer Verschwörung starb. Dazu kommt die Arbeit von Hunderten hochrespektierten Journalisten und Wissenschaftlern, die gähnende Löcher in die offizielle Version bohrten.

Sie schreiben, dass Dulles mehrmals die Woche mit einflussreichen Zeitungsverlegern, Radiochefs und prominenten Journalisten speiste, was einen ausgesprochen freundlichen Umgang der US-Medien mit der CIA bewirkte. Wie reagierten die US-Medien auf das Erscheinen Ihres auch insoweit unbequemen Buchs?

David Talbot: Ja, Dulles war ein Meister im Manipulieren seiner Freunde in der Presse, zum Teil Familien, denen so führende Medieninstitutionen wie die New York Times, die Washington Post, Time-Life und CBS gehörten. Die Industriemedien setzten hier höchste Ehrerbietung gegenüber dem nationalen Sicherheitsestablishment fort, wie etwa das fast vollständige Ausblenden meines Buchs in der Presse bewies, obwohl es fantastische Besprechungen in den Zeitungen und Zeitschriften anderer Verleger und in den unabhängigen Medien erhielt. Ich bin erfreut, zu sagen, dass mein Buch trotz der Art, wie es von der New York Times ignoriert wurde, nichts weniger als ein New-York-Times-Bestseller wurde. Zum Glück kann die Kunde von Büchern wie meinem durch soziale Medien und progressive Plattformen wie die Fernsehsendung Democracy Now, Salon und Pacifica Radio die Runde machen.

Dulles-Biograph Peter Grose erwähnt zwei Aspekte in Dulles Leben, die man positiv bewerten könnte. So wirkte Dulles an der Entlarvung der "Protokolle der Weisen von Zion" als Fälschung mit und bewies Haltung im Fall der Mississippi Civil Rights Workers' Murders. Warum haben Sie beides nicht erwähnt?

David Talbot: Ich teile Grose’s Interpretation dieser Vorfälle nicht. Als junger Diplomat, der in der Türkei nach dem Ersten Weltkrieg stationiert war, spielte Dulles eine verwerfliche Rolle bei der Verbreitung der "Protokolle", indem er ein Exemplar des skurrilen Traktats, das er in einem Buchladen erstanden hatte, nach Washington brachte, als ob es sich um ein wichtiges Geheimdienst-Dokument über die Enthüllung einer dunklen jüdischen Verschwörung gehandelt hätte.

Wenn er auch nicht ein offener Antisemit war, so teilte Dulles sicherlich die damals üblichen Vorurteile seiner weißen, anglosächsisch-protestantischen Kaste (WASP). Er hatte kein Mitleid mit den in Notlage geratenen Juden während des Zweiten Weltkriegs, und als amerikanischer Topspion in der Schweiz saß er auf essentiellen Berichten, die Aufschluss über den anwachsenden Holocaust gaben - Berichte, welche die Roosevelt-Administration dazu hätte bewegen können, intensivere Maßnahmen gegen die Lager und Bahnlinien zu ergreifen.

Im Fall der ermordeten Bürgerrechtler sehe ich ebenfalls keinen humanitären Impuls. Dulles erfüllte schlicht eine Aufgabe, um die ihn Präsident Johnson gebeten hatte - eine weitgehend zeremonielle Aufgabe, welche die Öffentlichkeit darüber beruhigen sollte, dass die führenden Männer in Washington die schockierenden Morde ernst nahmen. Und vergessen Sie nicht, dass Dulles bei Johnson in der Schuld stand, der eine Schlüsselrolle beim Cover Updes Kennedymords spielte, indem er Männer wie Dulles in die Warren-Kommission holte.

Von Markus Kompa aktuell im Westendverlag erschienen: Der Politthriller Das Netzwerk.

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