Österreich plant Migrationsgipfel

Christian Kern am Wochenende mit Angela Merkel auf Schloss Meseberg. Foto: Andy Wenzel / Bundeskanzleramt Österreich

Vertreter der Balkanrouten-Länder sollen sich im September treffen - Doskozil kritisiert deutsche Kanzlerin

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Nach einem Treffen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel am Wochenende hat ihr österreichischer Amtskollege Christian Kern angekündigt, die CDU-Politikerin und Vertreter der Balkanroutenländer Slowenien, Kroatien, Bulgarien und Griechenland zu einem Migrationsgipfel nach Wien einzuladen, der dort nach dem informellen EU-Brexit-Gipfel am 16. September stattfinden soll. Ob darüber hinaus Vertreter weiterer Länder teilnehmen, steht noch nicht fest.

Vorab forderte Kern in einem Interview mit der Kleinen Zeitung, dass Migranten, die man im Mittelmeer aufgreift, nicht mehr nach Italien oder Griechenland, sondern in "sichere Herkunftsländer" verbracht werden. Dazu soll die EU Aufnahmezentren in Nordafrika einrichten. Das, so Kern, sei "vielleicht nicht immer leicht, aber vertretbar". "Boote abzudrängen" oder "Leute ihrem Schicksal zu überlassen" hält er dagegen für "nicht mit dem europäischen Wertekanon vereinbar". Gleichzeitig müsse die EU und in Ländern wie Niger und Mali mit Finanztransfers dafür sorgen, dass sich die Infrastrukturen und die Lebensstandards verbessern.

"Maßgeschneiderte Europäisch-Türkische Interessensunion"

Hinsichtlich des Aufnahmegesuchs der Türkei muss sich Brüssel Kerns Ansicht nach klar werden, dass ein Beitritt des Landes Länder wie Österreich überfordern würde, weil die Arbeitslosigkeit durch den Zuzug aus den osteuropäischen Mitgliedsländern trotz 1,3 Prozent mehr Jobs schon jetzt steige. Weil Rechtsstaatlichkeit und politische Kultur in der Türkei unter der Herrschaft der AKP litten, empfiehlt Kern eine "maßgeschneiderte Europäisch-Türkische Interessensunion (ETI)" - ein Konzept, das die Zollunion von 1996 auf Agrarprodukte, Kohle und Stahl erweitern würde und der Presse zufolge aus der ÖVP stammt.

Ein ÖVP-Integrationskonzept hat Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz seinem Regierungschef inzwischen offiziell zugeleitet. Es sieht unter anderem vor, dass die "bedarfsorientierten Mindestsicherung" an Migranten erst nach mehreren Jahren Aufenthalt gezahlt wird und dass diese verpflichtet werden, gemeinnützige Ein-Euro-Jobs anzunehmen und auf Werbung für Salafismus ebenso wie auf Vollverschleierung verzichten (vgl. Vollverschleierungsverbot und Arbeitspflicht).

Vor dem Treffen von Kern und Merkel hatte der SPÖ-Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil in der Kronen-Zeitung kritisiert, dass die deutsche Bundeskanzlerin ihren "Wir-schaffen das"-Slogan im Juli 2016 bekräftigte, anstatt die "richtigen Lehren [….] aus den Vorgängen im Jahr 2015" zu ziehen und ihre Politik zu ändern. Der Slogan ist dem Sozialdemokraten zufolge ein "Anziehungsfaktor für Fluchtbewegungen nach Europa" und außerdem falsch, wie man gerade in Mailand sehe, wo mitten in der Stadt Zelte errichtet werden. "Österreich", so der Verteidigungsminister, "ist nicht das Wartezimmer für Deutschland"." Kern bezeichnete Doskozils Äußerungen als "realitätsnah", schränkte aber ein, er sei "nicht der Meinung, dass Frau Merkel unverantwortlich gehandelt hat".

Hofer lobt Doskozil, Kurz und Sobotka

Dafür wurde Doskozil - ebenso wie die ÖVP-Minister Sebastian Kurz und Wolfgang Sobotka - vom FPÖ-Bundespräsidentschaftskandidaten Norbert Hofer gelobt. Der meinte im Hinblick auf die Vorschläge der Drei zur Bewältigung der Migrationskrise, diese Minister machten einen "guten Job" und er hoffe, dass er mit ihnen "gut kooperieren werde". Anders als van der Bellen wolle er keine Partei von der Regierungsbildung ausschließen, sondern "demokratische Entscheidungen respektieren" und den Auftrag dazu dem "Wahlgewinner" erteilen. Außerdem möchte er "heraus aus der Hofburg [und] hin zu den Leuten" und seine Neujahrsansprachen in einem Seniorenheim und auf einem Bauernhof halten.

Bei den österreichischen Grünen, denen Hofers Konkurrent Alexander van der Bellen lange vorstand, konzentriert man sich derzeit eher auf "Hate Speech": Nachdem Bundeschefin Eva Glawischnigg am 3. August einen Plan ihrer Partei vorstellte, der vorsieht, dass ein neuer Paragraf 115a in das österreichische Strafgesetzbuch aufgenommen wird, mit dem "beleidigende, verhetzende und sexualisierte Posts" mit bis zu sechs Monate Freiheitsstrafe geahndet werden, hat die Partei nun die FPÖ-Nationalratsfraktion auf 19.620 Euro verklagt, weil ein Kommentator auf deren Website seine Meinung über den grünen Abgeordneten Harald Walser in eher derber Form zum Ausdruck brachte.

Eine aktuelle Gallup-Umfrage legt nahe, dass die Strategie Hofers bei den österreichischen Wählern besser ankommt als die der Grünen: Danach führt der Freiheitliche im Mittelwert mit sechs Punkten Abstand vor van der Bellen. Vor der vom österreichischen Verfassungsgerichtshof wegen Unregelmäßigkeiten bei der Briefwahlauszählung aufgehobenen ersten Stichwahl im Mai hatte Gallup beide Kandidaten praktisch gleichauf gesehen. Fünf Prozent der Umfrageteilnehmer geben an, am 2. Oktober definitiv einen anderen Kandidaten zu wählen als im Mai. Weitere zwölf Prozent wollen das möglicherweise. Besonders hoch ist der Anteil der Anderswähler mit 26 Prozent bei den Anhängern der christdemokratischen ÖVP, die bei der ersten Stichwahl überwiegend für van der Bellen gestimmt hatten.

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