Afghanische Flüchtlinge sind Pakistans Sündenböcke

Afghanische Flüchtlinge, die heimkehren wollen, in einem Reptriierungszentrum in Peshawar im Februar 2016. Bild: European Union/ECHO/Pierre Prakash/CC BY-ND 2.0

Die drei Millionen Flüchtlinge, die teils schon Jahrzehnte in Pakistan leben, sind zahlreichen Repressalien ausgesetzt

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Seit Jahrzehnten gehört Pakistan zu den Fluchtländern von Afghanen. Mittlerweile leben im Land fast drei Millionen afghanische Flüchtlinge. Da Islamabad jedoch seit jeher im Nachbarland zündelt, ist eine solche Entwicklung alles andere als verwunderlich. Doch anstatt diesbezüglich Einsicht zu zeigen, sind die geflüchteten Menschen aus Afghanistan zahlreichen Repressalien ausgesetzt.

Nachdem etwa pakistanische Taliban-Kämpfer im Dezember 2014 in Peschawar eine Schule angegriffen und dabei 132 Kinder ermordeten haben, kündigte die Regierung in Islamabad harte Maßnahmen an. Da Gerüchten zufolge auch Afghanen an dem Angriff beteiligt waren, mussten vor allem afghanische Flüchtlinge dafür büßen.

Allein in den ersten Wochen nach dem Anschlag wurden knapp 52.000 von ihnen gezwungen, nach Afghanistan zurückzukehren - mehr als doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2014. Dabei leben viele der rund drei Millionen afghanischen Flüchtlinge schon seit Jahrzehnten in Pakistan. Doch plötzlich waren sie den Behörden hilflos ausgeliefert. Sie wurden zu Sündenböcken gemacht.

"Plötzlich wurde ich mitten auf der Straße verhaftet und in eine dreckige Zelle gesteckt", meint etwa der 53-jährige Hamid. Der Händler lebt seit fast dreißig Jahren in Peschawar, der Hauptstadt der nordwestlichen Provinz Khyber Pakhtunkhwa nahe der afghanischen Grenze. Da Hamid keine Dokumente bei sich hatte und offensichtlich als Afghane erkennbar war, gingen die Polizisten brutal mit ihm um. Erst nachdem seine pakistanische Ehefrau zur Wache ging, ließ man ihn gehen. Der Grund: Flüchtlinge, die mit einem pakistanischen Staatsbürger verheiratet sind, haben nichts zu befürchten.

Dass Afghanen wie Hamid mit dem Schulmassaker in Verbindung gebracht werden, ist für ihn mehr als tragisch. Denn auch ein Neffe seiner Frau wurde bei jenem blutigen Massaker in der Schule ermordet.

Nichtsdestotrotz hatte er im Vergleich zum 20-jährigen Zubair und dessen drei Brüdern noch Glück. Auch sie wurden damals willkürlich ins Gefängnis geworfen. Dort wurden sie drangsaliert und als "Terroristen" beschimpft. Freigelassen wurden sie erst, nachdem Zalmay, ihr greiser Vater, 60.000 pakistanische Rupien (540 Euro) Schmiergeld zahlte und sie damit freikaufte.

In den letzten Jahren und Monaten hatten die Repressalien seitens der pakistanischen Regierung stets ihre Höhen und Tiefen. Meist waren sie von der Nachrichtenlage sowie von bestimmten Ereignissen abhängig. Im vergangenen Juni drohte die Situation abermals zu eskalieren. Nachdem es am Grenzübergang in Torkham zu Ausschreitungen zwischen afghanischen und pakistanischen Soldaten kam und sowohl ein afghanischer Soldat als auch ein pakistanischer Major getötet wurden, ergriff Islamabad abermals harte Maßnahmen.

"Wir müssen weg von hier"

Der Vorfall sorgte für diplomatische Verstimmungen zwischen Kabul und Islamabad. Beide Seiten machten einander für die Eskalation verantwortlich. Daraufhin sperrte Pakistan den Grenzübergang ab, während die afghanischen Flüchtlinge im Land ein weiteres Mal als Sündenböcke fungieren mussten. Bereits in den ersten Tagen nach dem gegenseitigen Beschuss wurden afghanische Migranten in Pakistan willkürlich auf den Straßen verhaftet. Pakistanische Offizielle trugen teils gezielt zur Eskalation bei, indem sie sämtliche Afghanen im Land des "Terrors" bezichtigten und darauf hinwiesen, dass in afghanischen Flüchtlingslagern Terrorismus gedeihe.

Daraufhin reagierte auch die UN. Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Filippo Grandi, rief zu mehr Besonnenheit auf und forderte Pakistan auf, nicht alle Afghanen als "Terroristen" zu betrachten. "Mein Appell gilt nicht nur den Behörden, sondern auch der einheimischen Bevölkerung und lautet wie folgt: Flüchtlinge sind, wie Sie wissen, keine Terroristen", meinte Grandi während seines letzten Besuches in Peschawar im Juni.

Für Familien, wie jener von Zalmay, hat sich allerdings kaum etwas geändert. Viele von ihnen stehen völlig hilflos und mittellos da und wollen nach Afghanistan aufbrechen. "Wir müssen weg von hier. Die Armut in meiner Heimat ist mir lieber als die Schikane in diesem Land, in dem Afghanen als Menschen zweiter Klasse betrachtet werden", meint etwa Zalmay.

Laut der UN haben mindestens 6.000 Afghanen Pakistan in diesem Jahr verlassen. Die Dunkelziffer könnte jedoch weitaus höher sein. Die Flüchtlinge können oft nur ihr nötigstes Hab und Gut mitnehmen. Viele überqueren die afghanische Grenze zu Fuß. Dabei sind sie der Gefahr von Räubern, militanten Islamisten oder auch Drohnenangriffen ausgesetzt.