Russland-Sanktionen rücken auf den Prüfstand

Die Sanktionen haben nichts bewirkt, ebenso wenig kommt das Minsker Abkommen voran. Putin, Holland, Merkel und Poroschenko im Februar 2015 in Minsk. Bild: Kreml

Außenminister Steinmeier will zudem von "einer Phase der Konfrontation" zu einem "belastbaren Verständnis gemeinsamer Sicherheit" kommen

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Schon im Mai warf Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in die Debatte, bevor die umstrittenen Russland-Sanktionen im Juni erneut verlängert wurden, dass Widerstände gegen weitere Strafmaßnahmen wachsen würden. Das änderte zunächst an der Haltung in Europa nichts. Nachdem Steinmeier im Juni nachgesetzt hatte und sogar vor einem "Säbelrasseln" gegenüber Russland warnte, legt er nun erneut nach und erklärte, man könne "sich Russland nicht wegwünschen". Während Merkel von Maximalpositionen abrückt, wirbt er für eine Deeskalation und für einen neuen Vertrag zur Rüstungskontrolle, für "Transparenz, Risikovermeidung und Vertrauensbildung".

Es ist nun gut zwei Jahre her, seit erstmals seit dem Kalten Krieg wieder Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt worden sind (Sanktionen gegen Russland werden verhängt). Das geschah genau zwölf Tage nach dem mutmaßlichen Abschuss von Malaysia Airlines Flug MH17 über dem Osten der Ukraine. Diese Sanktionen waren stets schwer umstritten, sie wurden aber eine gewisse Zeit trotz allem von der EU immer weiter ausgeweitet (EU dreht weiter an der Sanktionsschraube gegen Russland). Dabei war ohnehin stets sehr fraglich, ob Russland sich davon tatsächlich beeindrucken lassen würde. Diese Frage kann zwei Jahre später klar mit einem Nein beantwortet werden.

Dazu kommt aber, dass bis heute auch kein Beweis erbracht wurde, dass Russland in den Abschuss der MH17 verwickelt war. Auch heute liegt noch kein Abschlussbericht vor und ist weiter umstritten, ob das Flugzeug überhaupt mit einer der BUK-Rakete abgeschossen wurde. Wäre diese Frage geklärt, müsste allerdings immer noch bewiesen werden, wer sie abgeschossen hat (Aufklärung über den Abschuss von MH17 steckt im Informationsnebel fest). Auf Antworten wartet man nach einer schnellen Schuldzuweisung, die durch Sanktionen untermauert wurden, aber weiterhin.

Als geklärt dürfte inzwischen aber auch gelten, dass die Sanktionen schädlich für die europäische Wirtschaft sind. Die dümpelt weiter mit einem schwachen Wachstum vor sich hin. "Im Vergleich zum Vorquartal stieg das saisonbereinigte BIP im zweiten Quartal 2016 im Euroraum (ER19) um 0,3% und in der EU28 um 0,4%", hatte die europäische Statistikbehörde gerade mitgeteilt. Damit war das Wachstum sogar noch schwächer als im Vorquartal, als im Euroraum noch 0,6% und in der EU 0,5% verzeichnet wurden. Dazu kommen die Erwartungen, dass sich der Brexit zudem negativ auf die europäische Konjunktur Europa auswirken dürfte, was sich auch auf die Front der Sanktionsbefürworter auswirkt.

Das Szenario hat sich aber nicht nur wirtschaftlich verändert, sondern durch vermehrte Anschläge radikaler Islamisten in Europa hat sich auch die sicherheitspolitische Lage verändert. Auf politischer Ebene sind zudem die Spannungen mit der Türkei nach dem gescheiterten Putsch weiter gewachsen. Und die hat Russland sofort genutzt, um wieder zu freundschaftlichen Beziehungen mit der Türkei zu kommen. Und dann ist da natürlich auch die russische Rolle beim Kampf gegen den selbsternannten islamischen Staat. Auf der einen Seite sitzt man dabei mit Russland zum Teil in einem Boot, allerdings verfolgen die Russen auch ihre eigene Agenda.

Das sind nur einige der Vorgänge, die den Bundesaußenminister Steinmeier entweder schon im Frühjahr dazu veranlasst haben, sich zaghaft gegen die Versuche zu stellen, Russland weiter zu isolieren, oder die ihn weiter in seinen Positionen bestärkt haben. Und er hatte schon im Mai offen erklärt, dass es in der Gemeinschaft längst keine einheitliche Haltung mehr zur Sanktionsfrage gab. "Wir merken, dass die Widerstände in der EU gegen eine Verlängerung der Sanktionen gewachsen sind", sagte Steinmeier in einem Interview. Gegenüber dem vergangenen Jahr werde es schwieriger, in dieser Frage zu einer geschlossenen Haltung zu kommen.

Ob er die Sanktionen aufheben oder aufweichen will, ließ er dabei noch offen. Doch er sprach sich schon klar für eine Rückkehr der Russen in die G8 aus. Gerade in Krisenzeiten seien Formate wichtig, "in denen wir die gemeinsame Sprachlosigkeit überwinden und an den Verhandlungstisch zurückkehren können." Isolierung und Abschottung hätten den Frieden in der Welt niemals näher gebracht. "Deshalb sollten die wichtigsten Industrieländer der Welt ein Interesse daran haben, dass Russland in den Kreis der G8 zurückkehrt."

Gut einen Monat danach legte Steinmeier nach. Er ließ sich groß und breit in der "Bild"-Zeitung zitieren und warnte - angesichts der Verlegung von Nato-Truppen nach Osteuropa - davor, "durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul" die Lage weiter anzuheizen. "Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt. Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern."

Dass Steinmeier damit zum "Russlandversteher" wurde, ist natürlich falsch, wie einige aus der CDU behaupteten. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble meinte, das sei "nicht nur ein rhetorischer Fehlgriff" gewesen. Im Umgang mit Moskau dürften Signale der Entspannung niemals ohne Elemente der Abschreckung erfolgen, sagte Schäuble. Dabei sieht Steinmeiers Konzept genau das vor. Doch Bild hatte durch Weglassen die Aussagen Steinmeiers verzerrt. Er hatte erklärt, unter anderem mit den "militärischen Aktivitäten in der Ost-Ukraine hat Russland bei unseren östlichen Nachbarn ein Gefühl der Bedrohung entstehen lassen". Dagegen könne aber niemand, schwächte er in Bezug auf die Truppenverlegungen ab, "den vorgesehenen Umfang der Nato-Maßnahmen als Bedrohung für Russland werten". Oft werde aber die "zweite Säule völlig vergessen", sagte er auch mit Blick auf Schäuble.