Debatte über Streichung der Homöopathie aus den Leistungskatalogen

Globuli. Foto: Hofapotheke St. Afra, Apotheker Tobias Müller. Lizenz: Public Domain.

Heilpraktikergesetz aus der Nazizeit soll reformiert werden

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Vor zwei Wochen errechnete der Medizinmanagement-Professor Jürgen Wasem, dass dem deutschen Durchschnittsverdiener eine Erhöhung des alleine vom Arbeitnehmer getragenen Zusatzbeitrags zur Krankenversicherung auf 55 Euro droht. Wohlgemerkt: Dabei handelt es sich nicht um den monatlichen Krankenkassenbeitrag, der schon für sich alleine bis zu 618,66 Euro betragen kann (und hälftig von Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer bezahlt wird), sondern um einen Zusatz, der aufs Jahr gerechnet eine Mehrbelastung von 660 Euro ergibt (vgl. Krankenkassen-Zusatzbeitrag: 55 Euro mehr im Monat?).

Angesichts dieser Mehrbelastung wird nun darüber gesprochen, wie sich die Kosten im deutschen Gesundheitssystem in Grenzen halten lassen und welche Leistungen unsinnig oder vielleicht sogar kontraproduktiv sind. Ein sehr offensichtlicher Kandidat dafür ist die Homöopathie, die etwa zwei Drittel der gesetzlichen Krankenkassen in ihren Leistungsumfang aufnahmen, als es ihnen finanziell gut ging und zu deren Kosten sie schweigen.

Nun fordern Josef Hecken, der Vorsitzende der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, und Andreas Gassen, der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dass solche Therapien ohne nachgewiesenen Nutzen nach britischem Vorbild aus den Leistungskatalogen der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen werden. Hecken meinte dazu, es sei ihm "unverständlich, warum ein Patient ein Nasenspray selbst bezahlen müsse, dessen therapeutischer Nutzen empirisch belegt sei, seine Kasse aber Arzneimittel bezahle, deren Wirksamkeit völlig unklar sei."

Unter Homöopathie versteht man den Glauben daran, dass kleine Zuckerkügelchen ohne nachweisbaren Wirkstoffgehalt - sogenannte "Globuli" - Krankheiten kurieren können. Durch den Placeboeffekt klappt das in manchen Fällen tatsächlich, weshalb wenig dagegen spricht, dass Menschen, die daran glauben, diese Alternative zum Gesundbeten bei Menstruationsbeschwerden oder anderen kleineren Wehwehchen einsetzen. Etwas anders sieht das bei schweren ansteckenden Krankheiten aus, die nicht nur das Leben des Infizierten, sondern auch das vieler anderer Menschen gefährden (vgl. "Homöopathie ist institutionalisierter Geisterglaube" und Liberianische Behörden retten Ebolakranke vor Homöopathen).

Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach ermittelt derzeit gegen den Betreiber des "Biologischen Krebszentrums" im niederrheinischen Brüggen, in dem ein Heilpraktiker drei Patienten mit dem Präparat "3-Bromopyruvat" behandelte und möglicherweise fahrlässig umbrachte. In Osttirol wurde 2011 in einem Homöopathiefall eine einjährigen Bewährungsstrafe gegen ein Esoterikerpaar verhängt, weil es seinen Sohn, der an der angeborenen Immunsystemstörung SCID litt, so lange nur mit Zuckerkügelchen behandeln ließ, bis er starb. Der Mediziner, der den Jungen homöopathisch behandelte, erhielt eine Strafe in gleicher Höhe. Er hatte die notwendige Wiedereinweisung in ein Krankenhaus unterlassen und sogar dann auf die Gabe von Antibiotika verzichtet, als sich die Krankheit deutlich verschlimmerte (vgl. Gefährlicher Glaube).

Hecken erwartet Widerstand aus der Politik

Hecken fordert angesichts solcher Fälle, dass Heilpraktikern die Behandlung von Krebs und anderen schweren Krankheiten mittels "ganz klarer Verbote" gesetzlich untersagt wird. In diesem Punkt ist er sich mit Rudolf Henke, dem Vorsitzenden der Krankenhausgewerkschaft Marburger Bund einig, der es ebenfalls "nicht für vertretbar" hält, "dass Heilpraktiker die Behandlung von Patienten mit Krebserkrankungen übernehmen". Cornelia Bajic, die Chefin des Zentralvereins homöopathischer Ärzte spricht angesichts dieser Vorschläge zwar von "falschen Anschuldigungen", räumt aber ein, es sei "legitim darüber nachzudenken", ob und wie man das aus der esoterikdurchfluteten Nazizeit stammende Heilpraktikergesetz den "aktuellen medizinischen Gegebenheiten anpasst".

Der Selbstverwaltungsvorsitzende, der bei Einschlafproblemen ein warmes Bier empfiehlt, ist sich nach eigenen Angaben klar darüber, dass er mit seinem Vorschlag in der Politik auf Widerstand stoßen wird - vor allem bei den Grünen, bei denen es die Homöopathie-Anhängerin Barbara Steffens in Nordrhein-Westfalen bis zur Gesundheitsministerin brachte. 2011 eröffnete sie den Deutschen Homöopathiekongress mit der Forderung, dass Homöopathie im deutschen Gesundheitssystem "einen festen Platz brauchen muss" [sic]. Sie wolle in diesem Zusammenhang "die Kostenträger überzeugen", dass homöopathische Maßnahmen "in vielen vielen Fällen […] der richtige Weg" seien.

Schon damals meinte die mehrfache Studienabbrecherin, man solle "Ausbildungsberufe weiterentwickeln" und brauche "natürlich auch Studiengänge", weshalb sie in Nordrhein-Westfalen nicht nur in der Weiterbildung, sondern auch beim Bachelor und beim Master "andere Wege gehe". Den Liberalen Hochschulgruppen zufolge unterminierte sie auf diesen "anderen Wegen" die "Maßstäbe wissenschaftlicher Lauterkeit" und propagierte angesichts des Fehlens "evidenzbasierter Nachweise der Wirksamkeit homöopathischer Mittel" einen anderen Maßstab der Beurteilung (vgl. Esoterik an Hochschulen auf dem Vormarsch).

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