Parlamentsputsch in Brasilien ist nun offiziell

Auch der populäre Amtsvorgänger Lula konnte Rousseff nicht mehr helfen. Bild: José Cruz - Agência Brasil/CC BY 3.0 br

Gewählte Präsidentin Dilma Rousseff ist abgesetzt. Ex-Vizepräsident führt Amt fort, zahlreiche Gegner der Politikerin sind mutmaßlich korrupt

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In Brasilien hat eine Allianz aus zentristischen und rechten Parteien die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff im Zuge eines in dem südamerikanischen Land und international umstrittenen Verfahren des Amtes enthoben.

Nach einer mehr als 13 Stunden währenden Marathonsitzung stimmten 61 von 81 Abgeordneten des Senats für die Absetzung der Politikerin von der linksgerichteten Arbeiterpartei (PT). Für diesen Schritt nötig waren 54 Stimmen. Eine solche Mehrheit hatte sich abgezeichnet, nachdem sich der ehemalige Koalitionspartner PMDB gegen Rousseff gewandt hatte. Das Präsidentenamt wird bis zum Ende der Legislatur Rousseffs ehemaliger Vizepräsident Michel Temer fortführen, der in der Bevölkerung wenig Zustimmung erfährt und dessen PMDB bei den Wahlen 2014 auf weniger als 14 Prozent kam. Eine Neuwahl lehnen die Gegner Rousseffs ab, die ihrerseits von einem Putsch gegen die brasilianische Demokratie sprach. Die Politikerin wird trotz der Amtsenthebung weiterhin politische Ämter bekleiden können.

Mitte Mai hatte der Senat nach einer über 20 Stunden währenden Debatte mit 55 zu 22 Stimmen für die Suspendierung Rousseffs gestimmt und damit den Weg für ein Amtsenthebungsverfahren freigemacht. Dieses Verfahren wird nicht, wie oft fälschlich berichtet, mit Korruption begründet, sondern mit Regelverstößen beim Umgang mit Staatsgeldern. Rousseff und hochrangige Juristen verweisen darauf, dass auch vorherige Regierungen in ähnlicher Weise in den Haushalt eingegriffen haben, die suspendierte Präsidentin spricht daher von einem Staatsstreich. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass Rousseffs Gegner sie gestürzt haben, um selbst Korruptionsermittlungen zu entgehen (Brasiliens korrupte Bonzen setzen zum Putsch an).

Bei der abschließenden Aussprache im Senat, bei dem jeder Sprecher zehn Minuten Zeit hatte, wurde das Verfahren mehrfach hinterfragt. Der ehemalige Justizminister José Eduardo Cardozo etwa verurteilte das "Impeachment" scharf. Sollte Rousseff verurteilt werden, "bitte ich Gott, dass eines Tages ein neuer Justizminister die Ehre hat, sie um Entschuldigung zu bitten", sagte der PT-Politiker: "Sollte sie noch leben, dann sie direkt, oder aber ihre Tochter und ihre Enkel", so Cardozo. Die Geschichte werde Rousseff freisprechen, sagte der Ex-Minister - offenbar in Anlehnung an Fidel Castros Verteidigungsrede gegen Juristen der Batista-Diktatur im Jahr 1953.

Rousseff ist dennoch von einer korrupten Bonzokratie wegen Bilanztricks aus dem Amt gedrängt worden. Zugleich sind von 65 Mitgliedern der ursprünglichen Amtsenthebungskommission 37 - über alle politischen Lager hinweg - wegen Korruption und anderer Delikte angeklagt. Das geht aus einer ständig aktualisierten Aufstellung hervor, die von der Organisation Transparency International in Brasilien erstellt wurde. Im Parlament sehen sich 303 Abgeordnete Ermittlungen wegen Straftaten ausgesetzt, im Senat wird gegen 49 von 81 Mitgliedern ermittelt. Mit der Absetzung von Rousseff dürften sich die Ermittlungen gegen mutmaßlich kriminelle Politiker nun schwieriger gestalten.