Deutschland hilft Erdogan bei der Kurdenverfolgung

RheinEnergieStadion Südseite. Bild: Raimond Spekking/CC BY-SA 4.0

Kurdische und türkische linke Oppositionelle werden in Deutschland inhaftiert, ohne dass sie Straftaten begangen haben. Das kurdische Kulturfestival in Köln wurde faktisch verboten

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Das kurdische Kulturfestival in Köln, das seit 24 Jahren stattfindet, wurde faktisch verboten. Stattdessen findet eine ganztägige Kundgebung statt, auf der auch Selahattin Demirtas (Co-Vorsitzender der HDP/Türkei), Salih Muslim (Co-Vorsitzender der PYD/Nordsyrien-Rojava) und Bernd Riexinger (Co-Vorsitzender Die Linke) sprechen werden.

Die Absage des kurdischen Kulturfestivals am 3. September im Rhein-Energie-Stadion begründete der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies mit der Gefahr, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Festivalbesuchern und türkischen Nationalisten kommen könnte - und dass Werbung für die in Deutschland verbotene Arbeiterpartei PKK gemacht werden könnte. Zudem sei eine Gegendemonstration angemeldet worden.

Veranstalter ist das Demokratische Gesellschaftszentrum der Kurden und Kurdinnen in Deutschland NAV-DEM. Der Verfassungsschutz rechnet den kurdischen Verein zum Umfeld der in Deutschland verbotenen PKK:

Der illegal tätige Funktionärsapparat der PKK beeinflusst unverändert ihr nahestehende legale Strukturen in Deutschland, zu denen hauptsächlich das Nav-Dem gehört.

Zunächst hatten sich die Sportstätten, Vermieter des Stadions, hatten sich für die Veranstaltung ausgesprochen. In einer Pressemitteilung stellten sie sich hinter NAV-DEM. Dies sei ein eingetragener Verein, der "sich mit seinen Tätigkeiten am Meinungsbildungsprozess der deutschen demokratischen Gesellschaft beteiligt".

Nachdem nun der Polizeipräsident interveniert hatte, wurden die Verhandlungen von den Sportstätten abgebrochen. Die Argumentation des Polizeipräsidiums wirkt fadenscheinig. Zu vielen Demonstrationen gibt es Gegendemonstrationen, man denke nur an die Gegendemonstrationen gegen Naziaufmärsche, das gebietet die Meinungsfreiheit in Deutschland.

In diesem Fall handelt es sich aber um ein Kulturfestival, wo neben kurdischer Musik, Kunst und Kulinarischem aber auch Redebeiträge über die Situation der Kurden in den kurdischen Gebieten in der Türkei, Rojava/Nordsyrien, Iran und Irak zu erwarten waren. Die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün kritisierte das Verbot. Wenn die Demokratie in der Lage sei, Demonstrationen von türkischen Nationalisten auszuhalten, müsse man auch ein kurdisches Kulturfest ertragen können, sagte sie dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Bei dem geplanten Kulturfestival hätte es sich um eine geschlossene Veranstaltung gehandelt, mit Eingangskontrollen. Unwahrscheinlich, dass sich da türkische Nationalisten eingeschlichen hätten. Die jetzt angesagte öffentliche Kundgebung ist, angesichts der angekündigten hochkarätigen Redner Demirtas, Muslim und Riexinger, schlechter zu sichern.

Aufruf zur Demonstration am 3. September in Köln. Bild: Civika Azad

Verbot nicht zufällig

Das Verbot des Festivals fügt sich in ein größeres Bild. Das ist markiert von zunehmenden Einschüchterungen und Gängelungen von Kurden und Kurdinnen auch in Deutschland sowie von Gerichtsurteilen, die im völligen Einklang mit politischen Interessen Erdogans stehen. So berichtete die ARD-Sendung Report München Anfang August, dass kurdische Bürger in den türkischen Generalkonsulaten Hannover und Essen diskriminiert und geschlagen wurden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Diskriminierungen und tätliche Übergriffe auf kurdische Einrichtungen oder türkische Geschäfte, die von türkischen Nationalisten und hiesigen AKP-Anhängern als "links" oder alevitisch identifiziert wurden, häufen sich. Nicht nur türkische Behörden und Vereine wie Ditib diskriminieren kurdische und türkische Oppositionelle. Auch deutsche Gerichte, Verfassungsschutzbehörden, Polizei und nicht zuletzt auch die Bundesregierung handeln so, dass man den Eindruck hat, dass die Hetzpropaganda der AKP gegen Oppositionelle auch hierzulande Wirkung hat.

Immer mehr kurdische, aber auch türkische linke Aktivisten sitzen in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. Der Vorwurf: Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach § 129b StGB. Individuelle Straftaten müssen ihnen dafür nicht nachgewiesen werden. Allein der Vorwurf, Mitglied oder Unterstützer z. B. der PKK zu sein, reicht aus. Da der Verfassungsschutz vielen kurdischen Vereinen oder Dachverbänden PKK-Nähe unterstellt, - dafür reicht möglicherweise schon ein Bild von Öcalan in den Vereinsräumen -, werden kurdische Aktivisten pauschal einem Verdacht und Beschuldigungen ausgesetzt.

Es zeigt sich ein Paradox: Türkische und syrische Kurden, die sich solidarisch mit der demokratischen "Föderation Rojava - Nordsyrien" erklären, stehen in Deutschland unter Generalverdacht, Terroristen zu sein. In Nordsyrien selbst kämpfen die Einheiten aus Rojava, die Syrian Democratic Forces (SDF) mit den USA gegen den IS. Hier gelten sie als Terroristen.

Die Stimmungsmache gegen Kurden nimmt zu, so wird es für kurdische Organisationen zunehmend schwieriger, legale Demonstrationen durchzuführen. Die von den Behörden erteilten Auflagen sind sehr streng. Dagegen erhalten die nationalistischen Demos der AKP-Anhänger nur sehr laxe Auflagen.

So war es zum Beispiel bei der türkischen Großdemo Ende Juli in Köln (Köln: Erdoğan-Jubelshow ohne größere Zwischenfälle beendet) nicht verboten, dass die türkischen Faschisten, die "Grauen Wölfe", mit ihren nationalistischen Fahnen und Emblemen dort mit demonstrieren durften. Auch der ‚Wolfsgruß‘ wurde nicht verboten. Der Wolfsgruß ist für türkische Faschisten eine wichtige Geste: Daumen und Mittelfinger zusammengebracht als Kopf, Zeigefinger und Ringfinger als Ohren. Paradoxerweise gibt es bei uns in den Grundschulen die gleiche Geste als "Leise, Fuchs", um die Schüler zur Ruhe zu ermahnen.

Für Kurden ist es schwer geworden, Demonstrationen, Kundgebungen und Kulturfeste als öffentliche Veranstaltungen anzumelden, weil sie damit Gefahr laufen, als Terroristen angesehen und juristisch verfolgt zu werden. Mittlerweile befinden sich 12 kurdische und 10 türkische Aktivisten in U- bzw. Strafhaft - ohne individuelle Straftaten begangen zu haben.

Bedrettin Kavak aus Hamburg

Anfang August wurde der 58 jährige Kurde Bedrettin Kavak in Hamburg zu 3 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der kurdische Politiker soll von 2012 bis 2014 als Gebietsleiter der PKK in Deutschland tätig gewesen sein. Wie das konkret ausgesehen haben soll, bleibt völlig nebulös. Beweise für Straftaten gibt es nicht, wie auch in einem NDR-Bericht zu lesen ist, der die PKK-Anklage überhaupt nicht weiter befragt und die spärlichen Anklagepunkte wiedergibt: So soll der Angeklagte Spendensammlungen und Propagandaveranstaltungen organisiert haben.

Bedrettin Kavak war als Oppositioneller in der Türkei 22 Jahre inhaftiert, unter anderem im berüchtigten Foltergefängnis von Diyarbakir. Für ihn ist unverständlich, dass er, der gegen die nationalistische Geisteshaltung in der Türkei 41 Jahre lang Widerstand geleistet hat, mit dem gleichen Strafmaß bedacht wurde wie ein Dschihadist, der in Syrien mit Geköpften posiert hatte.

Er wirft der Bundesregierung vor, dass sie die Kurden "auf Wunsch der Türkei" seit über zwei Jahrzehnten bis heute verfolge, "obwohl sich die Sachlage geändert habe". Er befürchtet, dass nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei "eine zivile Diktatur aufgebaut" wird. Von Demokratie könne keinesfalls mehr die Rede sein. Während der sogenannte Islamische Staat Kurden töte, kurdische Frauen auf Märkten verkaufe und von der Türkei unterstützt werde, so Kavak, wende sich der türkische Staat an Europa und fordere, "den kurdischen Befreiungskampf auszumerzen".

Hasan Dutar aus Dänemark

Am 28. Juni wurde der in Deutschland lebende kurdische Politiker Hasan Dutar von Dänemark an die deutsche Justiz überstellt. Es gab einen europäischen Haftbefehl gegen ihn. Am 8. Juni wurde er zwar in Kopenhagen freigesprochen, aber zeitgleich erging ein Haftbefehl des OLG Hamburgs. Ihm wurde vorgeworfen, Spenden für den damaligen Fernsehsender ROJ-TV gesammelt zu haben, dem unterstellt wird, Propaganda für die PKK verbreitet zu haben.

Der linke Sender verfügte über eine legale dänische Sendelizenz und berichtete über die Situation der Kurden in der Türkei. Das passte der türkischen Regierung nicht. Jahrelang übte die türkische Regierung massiven Druck auf Dänemark aus, dem Sender die Lizenz zu entziehen. Laut der kurdischen Webseite Civaka Azad hat erst die Nominierung des damaligen dänischen Ministerpräsidenten Fogh Rasmussen zum NATO-Generalsekretär zu einem Verbot von ROJ-TV geführt. Nach ihren Informationen hatte die türkische Regierung ihre Zustimmung zu seiner Ernennung von einem Lizenzentzug abhängig gemacht.

Mustafa Çelik aus Celle

Ende August wurde der 38 jährige Kurde Mustafa Çelik vom Oberlandesgericht Celle wegen Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung im Ausland" - gemeint ist die PKK - nach §§129a, 129b StGB zu 2 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt. Man wirft ihm die Organisation von Protesten, Wahlkampf für die im Juni 2015 in der Türkei legal kandidierende Demokratische Partei der Völker (HDP), das Sammeln von Spenden und die Teilnahme und Bewerbung von Bildungsveranstaltungen vor.

Vier Monate lang ließ das Gericht Zeugen - vor allem von Polizei und Geheimdienst - anhören, abgehörte Telefonate und SMS vorlesen. Straftaten konnten ihm nicht nachgewiesen werden. Das Gericht anerkannte zwar bei der Begründung des Strafmaßes, dass Mustafa Çeliks Engagement sich gegen die die Unterdrückung des kurdischen Volks und die Menschenrechtsverletzungen des türkischen Regimes gerichtet hätte. Aber das türkische Regime sei "keine Besatzungsmacht und kein rassistisches System" und sein Engagement wäre im Einklang mit der PKK gewesen.

Der Azadi-Rechtshilfefonds für Kurden und Kurdinnen hat auf seiner Homepage Kurzbiographien der Inhaftierten veröffentlicht. Daraus wird ersichtlich, dass keiner der Inhaftierten Straftaten begangen hat.

Am heutigen Donnerstag, den 01.September, wurde der kurdische Aktivist Mustafa Celik am Dienstag vom Oberlandesgericht (OLG) Celle zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Für seine Verurteilung reichte, wie die Junge Welt berichtet, dass er "an sich legale Aktivitäten wie das Organisieren von Demonstrationen und Bildungsveranstaltungen, Wahlkampf für die linke Demokratische Partei der Völker (HDP) aus der Türkei sowie Spendensammlungen in Kaderfunktion durchgeführt habe".

Deutsche Gerichte und türkische Interessen

Die Beispiele zeigen, dass sich auch unsere Gerichte dem Druck der Politik beugen. Denn mit der Ermächtigung des Bundesjustizministeriums vom 6. September 2011, generell alle mutmaßlichen Regional- und Gebietsverantwortlichen der PKK nach § 129b StGB (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland) verfolgen zu lassen, hat die Politik letztlich Fakten geschaffen.

Dass dies längst nicht nur kurdische Publikationen, Aktivisten und Anwälte kurdischer Oppositioneller beunruhigt, zeigt ein Bericht der konservativen Springer-Zeitung Die Welt. Sie berichtet, dass die Türkei Hilfe von deutschen Strafverfolgern gegen Kurden, Gülen-Anhänger und Linke erwartet. Die Strafverfolger würden "nicht Erdogans Handlanger" sein wollen, aber internationale Abkommen würden das erschweren, heißt es dort:

Die Bedenken jedenfalls sind groß, dass Ankara hiesige Ermittler als Handlager im Kampf gegen Oppositionelle und Kritiker einspannen könnte. Um das zu verhindern, mahnen deutsche Ministerien nach Recherchen der "Welt" ihre Behörden in internen Anweisungen zur erhöhter Sensibilität und umfassender Prüfung, bevor Amtshilfe geleistet wird.

Die Welt

Dass es die PKK als Organisation in Deutschland nicht gibt, scheint bei alledem unerheblich zu sein. Linke kurdische Vereine werden einfach unter Generalverdacht gestellt. Dies muss weder begründet werden, noch ist das rechtlich angreifbar. In allen § 129b-Verfahren geht es einzig um die Frage, ob kurdische Angeklagte als Mitglieder oder Unterstützer der PKK anzusehen sind. Individuelle Straftaten müssen ihnen hierbei nicht nachgewiesen werden.

Seit den 1980er Jahren wird versucht, die politisch aktiven Kurden zu kriminalisieren. 1993 wurde vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) das PKK-Betätigungsverbot verfügt. Von da an standen sämtliche kurdische Organisationen, Institutionen mit vermuteter PKK-Nähe, Informationsbüros, Nachrichtenagenturen unter Generalverdacht. Demonstrationen, Veranstaltungen, selbst Hochzeiten wurden verboten. Einbürgerungen wurden verweigert, Asylanerkennungen widerrufen und Abschiebungen angedroht, wenn sich Kurden politisch engagierten und sich für ihre Anerkennung als Minderheit in der Türkei einsetzten.

Treffen mit Öcalan

1996 trafen sich Beauftragte der Bundesregierung zu Gesprächen mit dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan in Syrien. Ziel war es, eine gewalttätige Eskalation in Deutschland zu verhindern. Denn in der Vergangenheit gab es immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen, Autobahnbesetzungen und Selbstverbrennungen. Öcalan sicherte in den Gesprächen zu, dass es künftig keine Gewaltaktionen in Deutschland mehr geben sollte. Dies wurde bis heute weitestgehend eingehalten.

Das änderte jedoch nichts an der strafrechtlichen Verfolgung politisch aktiver Kurden. 2010 wurde die PKK als "terroristische Vereinigung im Ausland" nach § 129b StGB eingestuft. Seitdem wird allen Kurden, die Leitungsaufgaben in Vereinen oder Dachorganisationen innehatten, die Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung im Ausland vorgeworfen. Aber: Welcher Verein funktioniert ohne Leitung? Welche Dachorganisation unserer NGO’s hat keine Gebietsleiter, die die Strukturen der Ortsvereine koordinieren?

Der § 129b Abs. 1 Strafgesetzbuch im Wortlaut:

Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

Dem entsprechend könnte man auch die Frage stellen, ob die Bestrebungen der türkischen Nationalisten (Graue Wölfe) oder der Milli Görüs (Islamisten) in der Bundesrepublik nicht auch gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und geahndet werden müssten.