Bundesregierung: Doch (k)eine Distanzierung von der Armenien-Resolution?

Erwartet wurde, dass Regierungssprecher Seibert eine ausgehandelte Formel verkündet, um den Streit über das Besuchsrecht in Incirlik beizulegen. Update

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Noch am heutigen Freitag wird eine Erklärung der Bundesregierung zur Armenienresolution erwartet. Sie soll in einer diplomatisch abgefederten Form den Incirlik-Streit beilegen. Abgeordnete des Verteidigungsausschusses des Bundestags sollen wieder die Bundeswehrsoldaten auf dem Militärflughafen in der Türkei besuchen können (Incirlik: Weiterhin keine Besuchserlaubnis für deutsche Politiker). Im Dezember läuft das Mandat aus, der Bundestag muss es verlängern, ohne Besuchsrecht stehen die Chancen für eine Verlängerung schlecht.

Armenier werden von türkischen Soldaten zu einem Gefängnis in Mezireh geführt, 1915. Bild: American red cross; gemeinfrei

In dem Streit, der sich aufgrund der Armenienresolution Anfang Juni entwickelt (Bundestag verabschiedet Armenien-Resolution) und rasch hochgeschaukelt hatte, spielt das Ehrverständnis von Erdogan eine große Rolle. Er reagierte mit groben Aussagen auf die Bundestagsresolution (Erdogan bezeichnet deutsche Abgeordnete als verlängerten Arm der Terroristen). Seine Regierung verhängte ein faktisches Besuchsverbot deutscher Abgeordneter in Incirlik. Übermittelt wurde eine Forderung, die einer Art Kniefall der Bundesregierung gleichkäme (Nordsyrien: Türkei-Islamisten-Allianz greift Anti-IS-Allianz an): Entweder die Bundeskanzlerin oder der Außenminister sollte sich öffentlich von der Resolution distanzieren.

Eine "politische Geste"

Laut Informationen des Spiegel plant die deutsche Regierung eine "politische Geste". Weder Merkel noch Steinmeier, sondern der Regierungssprecher Steffen Seibert solle ein Formel verkünden, auf die man sich offensichtlich in vielen Hintergrundgesprächen geeinigt hat.

Seibert solle laut Spiegel im Namen der Bundesregierung mitteilen, "dass die Resolution des Bundestags keinerlei bindende Wirkung für die deutsche Regierung habe". Dass es sich lediglich um "eine politische Erklärung des Bundestags ohne jede juristische Bedeutung" handele.

Es heißt, dass die Regierung in Istanbul damit zufrieden wäre. Damit würde diese Nagelprobe vorerst beendet, auf die nächsten kann man warten. Das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland bietet dafür viele Gelegenheiten: die Frage des Umgangs mit Kurden, mit der türkischen Opposition, der Flüchtlingspakt, die Visaerleichterung, das Verhältnis zur Ditib, damit verbunden Fragen nach der Einmischung der türkischen Regierung in deutsche Belange, die Debatte über die Deutsch-Türken, den Islamismus und Nationalismus Erdogans etc. Die Liste hochbrisanter Themen ist lang.

Steinmeiers Linie

Insofern setzt die Art, wie die Kompromissformel zustande kam, auch ein Zeichen. Sie folgt der Linie Steinmeiers, der vor allem auf Gespräche setzt, statt auf Konfrontation. Steinmeier hatte schnell erkennen lassen, dass er mit der Armenienresolution im Bundestag nicht wirklich einverstanden war. Auch von der Einschätzung der Türkei als "zentrale Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen" vom BND, die Mitte August durchgesickert war, distanziert er sich schnell, das sei ihm zu pauschal.

In den letzten Wochen schickte das Außenamt mehrere Emissäre nach Istanbul, um in Hintergrundgesprächen auszuloten, wie man sich beim Streit über das Besuchsrecht deutscher Abgeordneter in Incirlik einigen könnte. Beim ersten überraschenden "Nein" hieß es noch, dass die Armenienresolution "hinter verschlossenen Türen" als Grund für die Weigerung genannt wurde (Türkei: Deutsche Politiker nicht erwünscht).

Erst zuletzt wurden die beiden Themen Incirlik und die Resolution ganz offiziell miteinander in Verbindung gebracht von Außenminister Cavusoglu: Wer sich in die türkische Geschichte einmische und sie verfälsche, werde keine Erlaubnis bekommen.

Steinmeier habe diese Verbindung zurückgewiesen, berichtete die Zeit vor ein paar Tagen. Nun hat er anscheinend eingelenkt. Ob das nun ein Kotau ist oder notwendiger Kompromiss, ist längst nicht ausgehandelt oder ausdiskutiert. Eine Maßgabe wird sein, wie Erdogan die Angelegenheit in der türkischen Politik in seinen Reden verwendet und wie sie die türkischen Medien darstellen.

Update

Regierungssprecher Seibert gab am Freitag eine Erklärung ab. Die innerdeutsche Diskussion ist damit nicht beendet und eine Reaktion aus der Türkei steht ebenfalls noch aus. Bislang ist nicht klar, ob Besuche deutscher Abgeordneter in Incirlik künftig wieder zugelassen werden.

Zwar tätigte Seibert die Aussage, wonach die Armenien-Resolution des Bundestages nicht rechtsverbindlich sei, wie dies ja auch auf der Homepage des Bundestages nachzulesen sei. Dies würde der "politischen Geste" entsprechen, von welcher der SpOn berichtet hatte.

Aber als Hauptmotiv der Erklärung Seiberts war anderes herauszuhören: Er sprach sich schon mit den ersten Sätzen gegen die "intensive Medienberichterstattung" aus, die "fälschlich behauptet, die Bundesregierung wolle sich von der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestags distanzieren". Davon, so Seibert, "kann überhaupt nicht die Rede sein". Der Bundestag sei ein eigenständiges Verfassungsorgan, es stehe der Regierung nicht zu, sich wertend einzumischen.

Der Regierungssprecher reagierte auf die heftige Kritik, die der im obigen Artikel erwähnte Insiderbericht des Spiegel ausgelöst hatte. So kommentierte etwa die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke, dass sich die Bundesregierung von Erdogan zum Affen machen lasse. Sie wirft der Regierung einen Kniefall vor, ein "feiges, verantwortungsloses und hochnotpeinliches Verhalten".

Indessen legte die Unionsführung großen Wert darauf, dass sich Merkel nicht von der Armenien-Resolution distanziere, wie die FAZ berichtet. Demnach heiße es im Vorstand der Unionsfraktion, dass eine Distanzierung durch Merkel wäre "das völlig falsche Signal" an den türkischen Präsidenten. Die Zeitung zitiert den CDU-Politiker Kauder, wonach Merkel auch nicht die Absicht habe. In einem Gespräch am Freitagmorgen habe sie ihn darauf hingewiesen, dass sie selbst die Resolution unterstützt habe.

Zitiert wird auch ein Sprecher des SPD-Außenministers Steinmeier: "Herr Steinmeier stand, er steht und er wird zu der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages stehen." Der nicht namentlich genannte Sprecher fügte hinzu, der Außenminister sei selbst Abgeordneter, das gelte "auch persönlich".

Von Distanzierung kann überhaupt keine Rede sein.

Zum geschichtlichen Hintergrund der Armenien-Resolution: Völkermord an den Armeniern