Afghanistan: Von Königen und Banditen

Kalakani-Zeremonie am Donnerstag. Bild: Screenshot aus dem Tolonews-YouTube-Video

Alte ethnische und ideologisch-religiöse Konflikte bestimmen weiter die Lage in Afghanistan

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Das Porträt von König Amanullah ziert in diesen Tagen weiterhin die Straßen Kabul. Vor fast einem Jahrhundert kämpfte Amanullah gegen die Briten. Nur wenige Monate dauerte der Dritte Anglo-Afghanische Krieg. Nachdem die britische Krone ihre Kolonialisierungspläne am Hindukusch endgültig als gescheitert sah, wurde Afghanistan letztendlich als souveräner und unabhängiger Staat betrachtet.

Vor einigen Tagen, am 19. August, wurde diese Unabhängigkeit ein weiteres Mal gefeiert. König Amanullah gilt seit jeher als Volksheld. Unumstritten ist er allerdings keineswegs. Amanullah ermordete seinen Onkel und - so mutmaßen zumindest manche Historiker - auch seinen eigenen Vater, um den Thron zu erlangen. Politisch wollte er sich streng am Westen orientieren. Mustafa Kemal Atatürk war nicht nur sein Vorbild, sondern auch sein Freund. Ähnlich autoritär wie Atatürk regierte auch Amanullah. Auf strikte Art und Weise wollte er deutlich machen, dass er von den religiösen und traditionellen Werten der meisten Afghanen nicht viel hielt.

König Amanullah Khan zusammen mit Reichspräsident Hindenburg in Berlin 1928. Bild: Deutsches Bundesarchiv, Bild: 102-05493. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Bundesarchiv, Bild 102-05493 / CC-BY-SA 3.0

Dies führte letztendlich dazu, dass diese ihn vom Thron stürzten. Angezettelt wurde der Aufstand von einem Mann namens Habibullah Kalakani, einem puritanischen Rebellenführer, der in Afghanistan hauptsächlich als "Bach-e Saqqao" ("Sohn eines Wasserträgers") bekannt ist.

Kalakani und seine Gefährten, die hauptsächlich aus den nördlichen Bergen stammten, stellten den absoluten Kontrast zu Amanullahs Herrschaftselite dar. Während Erstere die unterste Schicht der Gesellschaft darstellten und streng an teils extrem konservative Werte - etwa der Vollverschleierung der Frau - festhielten, waren Letztere Abkömmlinge einer elitären Gesellschaft, die vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr westlich-moderne Züge annahm.

Ethnischer Konflikt hält bis heute

Abgesehen davon gab es auch einen ethnischen Unterschied. Regiert wurde Afghanistan nämlich seit jeher von Paschtunen, hauptsächlich vom Stamm Amanullahs, der Mohammadzai. Währenddessen wurde der Aufstand Kalakanis stark von der tadschikischen Minderheit im Norden des Landes getragen.

Habibullah Kalakani. Bild: gemeinfrei

Nachdem Kalakani und seine Schützlinge wenige Monate in Kabul regierten, wurden sie gestürzt. Eine federführende Rolle spielte dabei Mohammad Nadir, ein Vetter Amanullahs. Kalakani und seine Männer wurden umgehend hingerichtet - obwohl Nadir auf den Koran geschworen hatte, dies nicht zu tun, falls sie die Waffen niederlegen würden.

Obwohl die Mohammadzai wieder auf den Thron saßen, war Amanullah niedergeschlagen. Er wusste, dass sein Sturz nicht möglich gewesen wäre, wenn weite Teile der Bevölkerung Kalakani nicht unterstützt hätten. Enttäuscht von seinem eigenen Volk zog er sich ins Exil in die Schweiz zurück, wo er 1960 verstarb. Seine Nachfolge übernahm Nadir, der sich als grausamer Tyrann einen Namen machte.

Obwohl der damalige Konflikt schon längst Geschichte ist, ist er in diesen Tagen lebendiger denn je. Angefacht wurde das Ganze während der Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag. Neben all den paschtunischen Herrschern der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte war plötzlich auch das Antlitz jenes verrufenen Sohnes eines Wasserträgers zu finden. Für viele Paschtunen war das ein Skandal. Was ein Dieb und Verbrecher da verloren habe, hieß es nicht nur in den Sozialen Netzwerken.