Syrien: Alle Hoffnung auf USA-Russland-Abkommen?

Al-Qaida-Gruppe Jund al Aqsa greift die syrische Armee in der Provinz Hama mit einer Drohne an

Lawrow deutet an, dass eine Übereinkunft bevorsteht. Allerdings spricht die anhaltende Unterstützung der Dschihadisten durch die USA oder ihrer Partner gegen Erfolgsaussichten

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Vorgesehen war, dass die Genfer Gespräche im August eine wichtige Etappe erreicht haben. Die Internationale Syrien-Unterstützergruppe (ISSG) hatte im November letzten Jahres einen Friedensfahrplan vereinbart. Der sah vor, dass bis zum August 2016 Abmachungen für einen "echten politischen Übergang" getroffen werden.

Unterstützt, ermuntert und bekräftigt wurde das Wiener ISSG-Statement durch die Sicherheitsrats-Resolution 2254 vom Dezember letzten Jahres.

Aleppo: Endloser Kampf

Stand der Dinge Anfang September 2016 ist, dass die Gespräche nicht stattfinden und augenblicklich auch kaum Aussicht auf eine Weiterführung besteht. Die militärischen Auseinandersetzungen bestimmen das Geschehen in Syrien. Es war bislang noch nicht einmal möglich, eine wöchentliche zweitägige Waffenruhe in Aleppo einzurichten. Die Sache ist erst einmal vom Tisch. Das "Pilotprojekt" (vgl. Aleppo: Russland bereit für wöchentliche 48-stündige Feuerpause) kam nicht bis zum Testlauf. Man hört nichts mehr davon.

Am Wochenende gelang es der syrischen Armee und Verbündeten, die Militärbasis in Ramousah (oder Ramouseh) im Süden Aleppos zurückzuerobern, wie auch sogenannte Militärakademien in diesem Stadtteil. Damit ist es ihnen zum zweiten Mal gelungen, eine für die Versorgung des Ostteils der Stadt wichtige Position einzunehmen. Entsprechend lauten die Nachrichten: "Die Versorgungslage im syrischen Aleppo spitzt sich wieder zu."

Genau genommen spitzt sich die Versorgungslage für diejenigen Stadtviertel in Aleppo zu, die von al-Qaida-Gruppen beherrscht werden. Gut möglich, dass sich hier eine Wiederholung anbahnt: Meldungen über Bomben auf den Ostteil der Stadt, die Versorgungsnot der Bevölkerung, verletzte oder getötete Kinder, die dann illustrieren, was im Mainstream ohnehin als Elementarsatz gilt "Assad, der Schlächter seines Volkes".

Ausgeschlossen ist aber auch nicht, dass die Dschihadisten (oder Jihadisten) neue Unterstützung bekommen (vgl.Link auf 49077) und die strategischen Stellungen ihrerseits zurückerobern und der al-Qaida-Scheich al-Muhaysini in Aleppos "Rebellenvierteln" lächelnd von einer Umarmung zur anderen tänzelt.

USA/Russland: Der Teufel steckt in den Details

Die Situation ist verfahren. Nun hegt man einige Hoffnung, dass ein Abkommen zwischen den beiden mächtigsten ISSG-Mitgliedern, die USA und Russland, einen Ausweg aus dieser Sackgasse bietet. Obama und Putin trafen sich am Rande des G-20-Treffens zu einem längeren persönlichen Gespräch. Die Tass-Meldung dazu hat einen leicht positiven Ton, nicht unähnlich dem Motto des deutschen Außenministers Steinmeier, "Hauptsache, es wird miteinander gesprochen".

Sein russischer Amtskollege Lawrow sprach sogar ausnehmend positiv über die Entwicklungen der Gespräche mit John Kerry. "Ohne zu zögern, sage ich, dass wir einer Übereinkunft sehr nahe sind", meldete die TASS am Sonntag. Das war in den vergangenen Wochen mehrmals zu hören.

Der Teufel liegt in den Details, die Abmachung werde deswegen nicht funktionieren, halten pessimistische Beobachter, eigenen Angaben nach aus Aleppo, entgegen.

Eins dieser "Details" hat Lawrow noch einmal betont, wie schon seit vielen Wochen:

Das Wichtigste ist, dass keine dieser Vereinbarungen mit den Amerikanern, ob sie praktische Aktionen betreffen oder die Koordinierung von Operationen gegen Terroristen, implementiert wird, wenn sich unsere amerikanischen Partner nicht an das Versprechen halten, sich von den Terroristen, vor allem der al-Nusra-Front, abzuspalten.

Viele der Gruppen, die von den USA als akzeptabel angesehen werden, sind mit der al-Nusra-Front verbunden, indessen sich die Nusra-Front ihrer bedient, um nicht angegriffen zu werden.

Es geht, wie immer oder noch immer, um die Kampfbündnisse der Milizen und wie damit verfahren wird. Zwar deutet der stellvertretende russische Verteidigungsminister Rybkov an, dass man zu einem besseren Verständnis darüber gelange, "wo Terroristen sind, die alle bedrohen", aber es gibt Gründe für Zweifel.

Fehleinschätzung Ahrar al-Sham

Die liefert zum Beispiel die Einschätzung der USA von Ahrar al-Sham. Wie ein Bericht des US-Magazins Foreign Police darlegt, unterhält die Miliz von sich aus seit ihrer Gründung gute, ideologisch sehr enge Kontakte zur al-Qaida. Sie steht also nicht nur über ihr Kampfbündnis mit der al-Nusra-Front mit al-Qaida in Verbindung, sondern grundlegend in ihrer Konzeption.

"Ahrar al-Sham dient als syrisches Verbindungsgewebe für die globale salafistisch-jihadistische Bewegung", schreibt das Magazin, das gewiss keine russische Propaganda betreibt. Wie auch ihm verlinkten Artikel zu erkennen ist, steht das Medium deutlich auf einer US-Position. Gewarnt wird vor einem Fehler, den die US-Regierung mit einer Fehleinschätzung von Ahrar al-Sham begehen könnte: Das könnte der nächste "islamische Staat" sein, warnt der Bericht.

Ahrar al-Sham sei alles andere als Mainstream, es sei vielmehr Bestandteil eines größeren Plans der al-Qaida (Foreign Policy ist übrigens auch kein Propagandablatt der syrischen Regierung).

Extremisten, von der CIA überprüft und bezahlt

Ein Bericht in der Londoner Times macht auf ein anderes Detail aufmerksam, das für Probleme im Abkommen zwischen den USA und Russland sorgen könnte: der Prüfungsprozess, im Orginal vetting process, dem Milizionäre von der CIA unterzogen werden, bevor sie als moderat eingestuft werden und mit Waffen versorgt.

Der britische Journalist Anthony Loyd weist mit einem erstaunlichen Hintergrund darauf hin, wie lausig dieser Prozess aktuell abläuft. Loyd wurde 2014 von Extremisten mit al-Qaida-Verbindungen in Syrien entführt. Einer seiner Entführer, Hakim Anza (oder auch Hakim Abu Jamal), gehört nun, wie er mit Erstaunen beim Betrachten von aktuellen Videos feststellte, einer Gruppe von "syrischen Rebellen" an, die gegenwärtig von der CIA unterstützt werden.

Die Verbindungen des Mannes zur al-Qaida seien bekannt, so Loyd, selbst Kerry sei der Mann bekannt. Nun macht er mit bei der al-Shamia Front, die bei der türkischen Operation Euphrates Shield mit von der Partie ist und von den USA unterstützt wird.

Sogar Charles Lister, bekannt für sein publizistisches Engagement für die "moderate Opposition" und seine Gegnerschaft zur syrischen Regierung und zu Russland gesteht ein, dass es "beunruhigend" sei, wenn jemand wie Hakim Anzu durch die Überprüfungsmaschen schlüpfe.

Er ist allerdings kein Einzelfall, wie die US-amerikanische-türkische Unterstützung von jihadistischen Gruppen wie Nour al-Dine Zinki bereits zeigte. Der gemeinschaftliche Operationsraum der beiden Staaten, MOM (Musterek Operasyon Merkerzi) in der Türkei, fällt dadurch auf, dass immer wieder Fehleinschätzungen passieren.

Kein Wunder, wenn auf russischer und syrischer Seite der Argwohn groß ist, dass von den USA und ihren Verbündeten Türkei, Saudi-Arabien oder den Golfstaaten verdeckt Jihadisten unterstützt werden.