Kiewer Fernseh-Kanal Inter wegen "Russlandfreundlichkeit" in Brand gesteckt

Ermittlungen wegen "Hooliganismus". Alle acht Verdächtigen wieder auf freiem Fuß. Der Politiker Viktor Medwetschuk sieht Parallele zum Brandanschlag in Odessa im Mai 2014

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Am Sonntagnachmittag um 16 Uhr blockierten zwanzig ukrainische Nationalisten das Gebäude des Fernsehsenders Inter in der Kiewer Schusewa-Straße, nordwestlich des Stadtzentrums, und steckten es dann in Brand (Fotos und Videos). Wer sich von den Journalisten nicht aufs Dach retten konnte, wurde verprügelt. Die Angreifer riefen: "Ukraine über alles", "Moskauer ans Messer". Am Eingang des Redaktionsgebäudes wurden ukrainische Flaggen gehisst, Zelte aufgestellt und mitgebrachte Autoreifen in Brand gesteckt.

Reifen wurden vor dem Redaktionsgebäude in Brand gesetzt. Screenshot aus dem YouTube-Video

Nach einem Bericht der ukrainischen Nachrichtenagentur Unian brannte es im Erdgeschoss und in der ersten Etage des Redaktionsgebäudes auf zwei Flächen in der Größe von zehn und 20 Quadratmetern. Nachdem diese Brände gelöscht waren, brannte es in der ersten Etage auf einer Fläche von 60 Quadratmetern. Um 18:01 war auch dieser Brand gelöscht.

Das Studio des Enthüllungsprogramms "Podrobnosti" brannte vollständig aus. Die Journalisten auf dem Dach konnten mit Feuerleitern gerettet werden (Fotos und Videos).

Ermittlungen wegen "Hooliganismus"

Acht Personen wurden verhaftet, dann aber wieder freigelassen, offenbar weil sie Veteranen der "Antiterroristischen Operation" (ATO) in der Ost-Ukraine waren. Gegen die Brandstifter wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Beschädigung von fremdem Eigentum und Hooliganismus eingeleitet.

Am Montag ging die Blockade des Redaktionsgebäudes weiter. Auf einem provisorisch errichteten Metallzaun sprühten Aktivisten Sprüche wie "Burn, Inter, burn" oder "Raus mit den Inter-Agenten Moskaus" (Fotos). Blockierer schleppten Autoreifen vor das Redaktionsgebäude, offenbar um sie zu gegebenem Zeitpunkt in Brand zu setzen.

Screenshot von dem YouTube-Video

Präsident Poroschenko: "Russisches Geld destabilisiert die Ukraine"

Der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, forderte den Generalstaatsanwalt am Montag auf, die Untersuchung des Brandes persönlich zu kontrollieren. Poroschenko erklärte auch, es sei nicht zulässig, dass ukrainische Medien "mit russischem Geld die Situation in der Ukraine destabilisieren", man müsse aber "im Rahmen des Gesetzes" reagieren. Beweise für den behaupteten Finanzierungsvorwurf aus Moskau nannte Poroschenko nicht.

Bereits am Mittwoch hatte der ukrainische Innenminister Arsen Awakow gefordert, der ukrainische Geheimdienst SBU müsse auf die "Fakten" reagieren. Es sei erwiesen, dass der Fernsehkanal Inter mit "russischem Geld" arbeite. Beweise nannte Awakow nicht. Der Innenminister behauptete, im Internet sei ein Schriftwechsel zwischen Mitarbeitern des Fernsehkanals und "ungesetzlichen militärischen Einheiten der DNR ("Volksrepublik Donezk", U.H.) aufgetaucht."

Parallele zu Odessa

Der Leiter der Partei "Ukrainische Wahl", Viktor Medwetschuk, erklärte, dass die Angreifer im Redaktionsgebäude von Inter offenbar das gleiche erreichen wollten, wie die Organisatoren des Brandangriffes auf das Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2016. Am schlimmsten sei, "dass die Regierung noch nicht mal versucht, die Radikalen bei ihren Versuchen zu stoppen, Hass und Aggression zu säen".

Am 2. Mai 2014 hatten in Odessa ukrainische Nationalisten das Gewerkschaftshaus angesteckt Die Tragödie von Odessa), wodurch mindestens 42 Menschen starben. Bis heute haben die ukrainischen Behörden das Pogrom gegen Anti-Maidan-Demonstranten, die sich in das Gewerkschaftshaus geflüchtet hatten, nicht aufgeklärt (Tragödie vom 2. Mai 2014 in Odessa weiter unaufgeklärt).

Das russische Außenministerium sprach am Montag von einem weiteren Beweis für die traurige Situation in der Ukraine bezüglich der Menschenrechte. In der Ukraine werde "künstlich eine Atmosphäre des Hasses und der Angst geschürt" Das russischen Außenministerium rief westliche Medien und Menschenrechtsorganisationen auf, die Brand-Attacke gegen den Fernsehsender "juristisch und moralisch zu bewerten" und ein Ende der Unterdrückung des freien Wortes in der Ukraine zu fordern.

Wer waren die Angreifer?

Viele der Angreifer auf den Fernsehkanal Inter hatten ihre Gesichter hinter Masken verborgen. Sie erklärten, sie seien Mitglieder der Organisation "Wilnije Ljudi"(Freie Menschen). Doch die Redaktion Podrobnosti, deren Räume komplett ausbrannten, gelang es, einzelne der Angreifer über Aufnahmen von Überwachungskameras zu identifizieren. Nach den Ermittlungen der Redaktion gehörten zu den Angreifern:

  • Sergej Kusan, ein von Andrej Parubi geförderter Rechtsaktivist. Parubi war 1991 Mitbegründer der National-Sozialen Partei der Ukraine und ist jetzt Parlamentspräsident. Nach ukrainischen Medienberichten soll Parubi an der Vorbereitung des Pogroms in Odessa 2014 beteiligt gewesen sein.
  • Iwan Kischka, ein ehemaliger Stellvertreter des ukrainischen Innenministers Arsen Awakow.

Wie der Koordinator der Blockade-Aktion, Aleksej Serdjuk, ein Kämpfer des Bataillons "Heilige Maria", gegenüber Journalisten am Montag erklärte, erwarte man 200 Blockierer sowie Lastwagen mit Sand. Serdjuk erklärte, an der Aktion würden sich Veteranen der Antiterroristischen Aktion (ATO), sowie die Gruppen "Linkes Ufer", die "Studentische Selbstverteidigung", "Ukraine - das sind wir", "Revanche" und "Schwarzes Komitee" beteiligen.

Der erste Skandal: Russische Schlagersänger durften in der Silvesternacht auftreten

Der Fernsehkanal Inter wurde 1996 gegründet. Er sendet auf Ukrainisch und Russisch. Der Kanal gehört dem ukrainischen Oligarchen Dimitrio Firtasch und Segej Lewjotschkin. Er greift heiße Themen auf, etwa die schlechte Versorgung der Soldaten oder die nicht-legale Sammlung von Waffen für die Soldaten in der Ostukraine.

Zu einem ersten Skandal wegen eines angeblich Russland-freundlichen Programms kam es am 31. Dezember 2014, als im Inter-Silvesterprogramm russische Schlagerstars auftraten, von denen einige in der Ukraine unerwünschte Personen sind, wie Josif Kobson, Valeria und Oleg Gasmanow. Schon damals forderte der Leiter des ukrainischen Sicherheitsrates Aleksandr Turtschinow, dem Kanal die Lizenz zu entziehen.